Laissez-faire

Text

von  Alex



Er war, nach eigener Einschätzung, ein echter Lappen. Aber nicht im dramatischen Sinne – er mochte sich eigentlich ganz gern. Schließlich hatte er seinen Charme, wenn auch eher auf die fahrlässige, abgeklärte Art. Aber sein Leben hatte sich verändert, seit der Transition. Und irgendwie fand er das ganz okay so.


Früher war er als Stricher recht erfolgreich gewesen. Es waren vor allem Männer, die ihm schrieben, dass sie „Bock“ auf ihn hätten. Es war eine Zeit, in der er sich oft selbst darüber wunderte, wie einfach es war, viel Geld zu verdienen. Ein falsches Lächeln hier, ein paar flache Sprüche da – und schon war der Job erledigt. Aber nach der Transition hatte sich etwas verschoben. Die Anfragen wurden weniger.


Er hatte sich daran gewöhnt. Und ehrlich gesagt? Es störte ihn nicht. Ganz im Gegenteil. Die meisten Typen standen nicht mehr auf ihn, und er fand das irgendwie geil. 


Was ihn jedoch noch mehr freute, war, dass er sich selbst viel mehr mochte als früher. Sein zunehmend maskuliner werdendes Aussehen, das er immer mehr schätzte, ließ ihn fühlen, dass er nun der wurde, der er immer sein wollte. Es war nicht mehr das alte Gesicht, das sich immer angefühlt hatte, als würde es jedem, nur nicht ihm gehören. Jetzt fühlte er sich so viel mehr wie er selbst – und das war alles, was zählte.


Er stand auf, zog seine abgenutzte Jogginghose und das alte, ausgeleierte T-Shirt an, das schon längst seinen besten Glanz verloren hatte. Doch in diesem Moment fühlte er sich irgendwie gut. Und das war die Sache. Er fühlte sich gut. Keine Notwendigkeit, sich für irgendjemanden schick zu machen, kein Zwang, sich für einen äußeren Eindruck zu verbiegen, niemand, dem er etwas beweisen musste.


Seit seiner Transition hatte sich noch etwas anderes verändert: Er hatte endlich angefangen, zu essen, worauf er wirklich Lust hatte. Und ja, ein bisschen hatte er zugelegt. Aber das war ihm egal. Es war der erste Moment in seinem Leben, in dem er sich erlaubte, einfach zu genießen. Ein Stück Kuchen hier, eine fette Pizza da – er aß, worauf er Lust hatte. 


Sein Handy vibrierte. Aus Gewohnheit schaute er nach „Lust?“, stand da. Einmal mehr eine Anfrage von jemandem, der noch nicht verstanden hatte, dass er nicht mehr das war, was er einmal war. "Nein". Ein Wort, so leicht, und dabei fühlte es sich so machtvoll an. "Macht euren Scheiß doch allein", dachte er sich und lachte. Der Gedanke, sich wieder in dieses Spiel zu stürzen, ließ ihn kalt. Keine Lust, wieder den Charmeur zu spielen oder mit Typen zu reden, die in ihm nur das sahen, was sie haben wollten. Nur das Ding mit der Kohle nervte bisschen. 


„Vielleicht sollte ich endlich mal was tun, eine Ausbildung machen oder so“, dachte er gelegentlich. Aber der Gedanke hielt nicht lange an. Warum sich stressen? Was würde es ihm bringen? Er hatte schlicht und einfach keinen Bock. Und wenn er ganz ehrlich war, konnte er sich auch nicht vorstellen, in irgendeinem Job zu arbeiten, den er hasste, und dort dem nächsten Wichser in den Arsch zu kriechen, für weit weniger Geld als fürs Schwänze lutschen.


Wenn er nachts die Wohnung verließ, hatte er keine Angst mehr. Er lief aufrecht, fühlte sich selbstbewusst in seinem gammeligen Outfit. Niemand schaute ihm nach, aber das war okay. Er war OK, mit sich, und das war mehr, als er sich je hätte erträumen können.


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Kommentare zu diesem Text


 Quoth (16.03.25, 12:22)
Stimmt: Erwachsenwerden ist auch eine Transition.

 Isensee (16.03.25, 12:39)
Liest sich wie ein Prospekt zu nem Specksteinkurs. Gerichtet an 8std und zwei Tage Frei -Traditionierte in grau getakteter Karneval-Weihnachtlichkeit. Organisiert von Kleingartenpächtern die auf All inclusiv oder Hurghada Zaunhaie füttern.
Aber Nett
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