Emmanuel Todd: Das Schicksal der Immigranten

Volksbuch zum Thema Vorurteile

von  Jack

Dieser Text ist Teil der Serie  Wer öfter liest, ist schneller tot

Es gab viele Schwarze in Mexiko. Afrikaner. Wo sind sie? Assimiliert. Die Mexikanier und die Afromexikaner haben so querbeet untereinander geheiratet, dass es keine schwarze Minderheit in Mexiko mehr gibt: sie wurde in der mexikanischen Bevölkerung aufgelöst. Ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, würde Erdogan sagen. Ein gutes Beispiel für gelungene Integration, und zwar seitens der Aufnahmegesellschaft, sagt Emmanuel Todd.


Die Befreiung der Sklaven und 100 Jahre später die Bürgerrechtsbewegung vermochten nicht, in den USA dasselbe Wunder zu vollbringen: der Schwarze blieb der Mehrheitsgesellschaft fremd. Je weniger rechtliche Diskriminierung es noch gab, umso mehr griffen die Weißen zur privaten Ausgrenzung. Die Segregation wurde von der politischen auf die anthropologische Ebene gehoben. Da die Afroamerikaner die Minderheit sind, ist ihre Community psychosozial zerfallen und nicht die der Weißen. Sie sind gesetzlich gleichgestellt, aber für immer fremd im eigenen Land.


Der Macho-Türke in Deutschland, der seine Schwester vor Sex mit den Kartoffeln schützt, und sie ehrenmordet, wenn sie diesen hat, reagiert nur auf den Umstand, dass nur sehr wenige deutsche Männer eine türkische Frau wollen. Die deutsche Herrenanthropologie sagt nunmal, dass die Ausländer Menschen zweiter Klasse sind. Und so überkompensiert der beschützende Bruder, indem er die verzweifelte Schwester, die kein Mann aus der Mehrheitsgesellschaft will, selbst abschirmt.


Überkompensieren tut auch der Jude, der sich in der ersten und zweiten Generation, so gut wie unabhängig vom Charakter des Aufnahmelandes, absichtlich nicht integriert, denn er will nicht in die Unterschicht, sondern mindestens in die Mittelschicht. Da bin ich voll der Jude: solange ich von der deutschen Mittelschicht nicht als gleichwertig behandelt werde, sehe ich mich nicht als Deutscher. Anders die Portugiesen in Frankreich: sie kamen nach dem Zweiten Weltkrieg ins Land und integrierten sich schnell und harmonisch, weil in die Unterschicht.


Todds großes Werk von 1994 ist ein Meisterwerk der soziologischen Literatur. Der Leser erfährt Unerwartetes oder nur Unausgesprochenes über die Gesellschaft, in der er lebt, und vielleicht auch einiges über sich selbst: warum integriere ich mich nur beruflich und kulturell, aber nicht psychosozial? Warum will ich als Immigrant im Aufnahmeland keine Familie gründen? Was ist Diskriminierung und was nur eine Projektion des persönlichen Scheiterns auf soziale Umstände?



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Kommentare zu diesem Text


 Regina (30.03.25, 06:15)
"Der Macho-Türke in Deutschland, der seine Schwester vor Sex mit den Kartoffeln schützt, und sie ehrenmordet, wenn sie diesen hat, reagiert nur auf den Umstand, dass nur sehr wenige deutsche Männer eine türkische Frau wollen. Die deutsche Herrenanthropologie sagt nunmal, dass die Ausländer Menschen zweiter Klasse sind. Und so überkompensiert der beschützende Bruder, indem er die verzweifelte Schwester, die kein Mann aus der Mehrheitsgesellschaft will, selbst abschirmt."
Dieser Abschnitt ist bodenloser Unsinn, weil es nicht der Deutsche ist, der keine Türkin heiratet, sondern es ist der Muslima verboten, einen Nicht-Muslim zu heiraten. Das ist keine Kompensation auf deutsche Verhältnisse, sondern Gebot der islamischen Religion international.

 Regina meinte dazu am 30.03.25 um 06:18:
Auch der Jude hat Heiratsregeln, wenn sie auch weniger streng ausfallen als die muslimischen. Wer keine jüdische Mutter hat, ist kein Jude mehr. Diese Regel hat über die Jahrhunderte der Vermischung entgegengewirkt.

Warum klappt die sprachliche, arbeitsmäßige und soziale Integration, nicht aber die identifikatorische? 
Meiner Erfahrung nach kamen Russlanddeutsche der ersten Generation oft mit einer Überidentifikation. Wer sich als Deutscher wahrnimmt, aber verhält wie ein russischer Bauer, sitzt zwischen allen Stühlen.
Dem deutschen Staat jedenfalls kannst du das nicht anlasten, denn diese Leute wurden wie Königseinwanderer behandelt: sofort einen deutschen Pass und Rentenansprüche, in manchen Fällen Hypothekenkredite. Davon kann kein anderer Immigrant träumen.

Antwort geändert am 30.03.2025 um 06:30 Uhr

 Jack antwortete darauf am 30.03.25 um 06:41:
Es ist in der Tat ein zu sensibles Thema, um es nicht gleich mit der Brechstange zu behandeln.

 Augustus schrieb daraufhin am 30.03.25 um 13:01:
2 Punkte: 

1) Wie verfuhren eigentlich die Nazis beim Überfall Russlands mit Russlandeutschen, die sich ab der herrschenden Zeit Katharina der Großen (etwa 18 Jahrhundert) in Russland angesiedelt haben? Machten die Nazis überhaupt hier eine Unterscheidung, machten die Russen überhaupt hier eine Unterscheidung? Warfen die Russen auch die russlanddeutschen in den Fleischwolf gegen Hitlers-Angriff oder kollabierten die russlanddeutschen mit den Nazis? 

2) die türkischen Mädchen wachsen in zwei Welten auf. Noch vor der „Smartphone-Generation“ verstanden sich die Mädchen und junge Frauen als „exklusiv“, sie verkörperten die „jungfräulichen“ Werte des Islams, und bewahrten dadurch ihren Wert, während die kapitalistisch, nihilistisch, freizügig erzogenen deutsche Mädchen bereits mit 13 die ersten Sexerfahrungen hatten. 
Dass die türkischen Mädchen und die deutschen Jungs einander wenig geben (konnten)liegt auf der Hand, weil die Kartoffel über den Sex hinaus nach nichts weiter suchte. 

Der Tausch, Schande gegen Nichts, war als kluge Vorsicht zu verstehen, während die Kartoffelmädchen in dem Nichts immer noch nach Weininger gesprochen den Gewinn aus dem Koitusgenuss (mit wechselnden Partnern übrigens) herausschlugen, gab die türkische Frau einem einzigen Mann ihren ganzen Wert in die Obhut eines Mannes, für Zwecke 
der Familiengründung. 

 Quoth äußerte darauf am 30.03.25 um 13:17:
RE: Warum klappt die sprachliche, arbeitsmäßige und soziale Integration, nicht aber die identifikatorische?
Bei den Russkanddeutschen ist die Beantwortung dieser Frage sehr einfach: Sie können sich mit dem "Nie wieder", das die Grundlage unseres Staates bildet, nicht anfreunden, denn Stalin hat sie bei Beginn des deutschen Angriffs samt und sonders nach Kasachstan dislozieren lassen. Der Holocaust fand in rund 5000 km Entfernung von ihnen statt, und sie haben sich den naiven Antisemitismus des 19. Jahrhunderts bewahrt. Das beantwortet zugleich auch Punkt 1 von Augustus: Es gab keine Deutschen, die auf russischer Seite für Stalin kämpften, nicht weil sie Stalin nicht mochten, sondern weil er sie nicht mochte, er hielt sie im Kampof gegen Deutschland für geborene Saboteure und Verräter.

Antwort geändert am 30.03.2025 um 13:21 Uhr

 Augustus ergänzte dazu am 30.03.25 um 13:44:
@Quoth:
Danke für den informativen Beitrag, den ich gern gelesen habe.

 Jack meinte dazu am 30.03.25 um 22:50:
Ein Russlanddeutscher wird, insofern er sich in die deutsche Unterschicht integriert, kein Problem mit seinem Antisemitismus haben; der Dunkeldeutsche wird einfach sagen: "Der Russe spricht die Wahrheit aus, die sich keiner zu sagen traut!" 

Aber der Zerfall des Ostblocks ging mit der größten Mittelschichtenverelendung der Geschichte einher: lebten in den 80-ern 14 Millionen Osteuropäer in Armut, waren es in den 90-ern 168 Millionen. Die auslandsdeutsche Mittelschicht konnte sich glücklich schätzen, in Kohls Deutschland auf dem materiellen Lebensstandard der deutschen Unterschicht aufgenommen zu werden. Sie meckerten nicht, dass sie nicht so reich waren wie westeuropäische Mittelschichten. Aber sozialpsychologisch wollten sie nicht Unterschicht sein.

 Regina meinte dazu am 31.03.25 um 03:46:
Nr. 2) von Augustus übersieht wiederum die religiöse Forderung der Jungfräulichkeit und Ehe ausschließlich mit einem Muslim. Das ist keine individuelle Entscheidung der deutsch-türkischen Mädchen.

 Regina meinte dazu am 31.03.25 um 03:54:
Russlanddeutsche haben es ja in der Tat geschafft, mindestens in die Mittelschicht aufzusteigen. Aber die Methoden, die sie anwendeten, stammten eben aus der Sowjetunion. Darüber hinaus haben sie die Geschichte der Deutschen im Mitteleuropa des zwanzigsten Jahrhunderts nicht miterlebt, so dass ihr Verhalten, ihre Ansichten und ihre Form der Identifikation als Deutsche hier Befremden auslösen, mehr als beim Original-Russen, der sich nicht als Deutscher identifiziert.

 Regina meinte dazu am 31.03.25 um 04:01:
Im integrationsfreudigen Mexiko  besteht fast überall eklatante Gefahr, von hochkriminellen Räuberbanden überfallen zu werden. Da könnte man fragen, was für Schichten sich da zusammengeheiratet haben. Integrationsfördernd vielleicht auch die Tatsache, dass dort drei verschiedene Ethnien zusammengekommen sind: indianische Ureinwohner, europäische Siedler und Afro-Amerikaner, nicht zwei einander ausschließende Kulturen.

 Jack meinte dazu am 31.03.25 um 04:12:
Russlanddeutsche haben es ja in der Tat geschafft, mindestens in die Mittelschicht aufzusteigen. Aber die Methoden, die sie anwendeten, stammten eben aus der Sowjetunion.
Was für Methoden? Ich kenne viele Russlanddeutsche ungefähr meines Alters, die nicht wie ihre deutschen Altersgenossen rumgewixxt haben, sondern fleißig gelernt haben und jetzt gute Jobs arbeiten.


Ich habe mich schon wenige Monate nach Ankunft von der russlanddeutschen Community losgesagt, weil sie aus genauso ultradekadenten Degeneraten bestand wie die deutsche Jugend (ich war 13). Vom Hörensagen (Eltern erzählen usw.) und aus Statistiken weiß ich heute, dass dennoch die Spätaussiedler, was die deutschen Tugenden insgesamt betrifft, die besseren Deutschen sind.

Ja, in Mexiko waren die soziokulturellen Verhältnisse nicht dichotomisch, es war ein Mix. Da wurden im Vergleich zu den USA die Ureinwohner nicht ausgerottet, sondern vermischten sich mit zugewanderten Europäern und Afrikanern.

 Quoth meinte dazu am 31.03.25 um 08:52:
Was für Methoden? Ich kenne viele Russlanddeutsche ungefähr meines Alters, die nicht wie ihre deutschen Altersgenossen rumgewixxt haben, sondern fleißig gelernt haben und jetzt gute Jobs arbeiten.
Stimmt.
Vom Hörensagen (Eltern erzählen usw.) und aus Statistiken weiß ich heute, dass dennoch die Spätaussiedler, was die deutschen Tugenden insgesamt betrifft, die besseren Deutschen sind.
Hm. Wählen deshalb so viele, wenn nicht die meisten, die Partei, die den "Schuldkult" ablehnt?

 Regina meinte dazu am 31.03.25 um 08:59:
Du sprichst über die zweite Generation der Russlanddeutschen, die ich nicht erwähnt habe. 
Was für Methoden: Zum Dank für die Privilegien, die ihnen der deutsche Staat anders als anderen Migranten gewährte, haben die meisten Russlanddeutschen, die ich kenne, den Staat nach Strich und Faden durch Schwarzarbeit in höchstmöglichem Ausmaß hintergangen, was bei der ansässigen Bevölkerung nicht populär ist, in der UdSSR aber evtl. nicht anders ging. 
Aus Prostitution, organisierter Kriminalität und Promiskuität haben sie sich wohl weitgehend herausgehalten. Sich als bessere Deutsche zu nennen, halte ich für recht fragwürdig, aber anders, mit anderer Historie, das wohl.

 Regina meinte dazu am 31.03.25 um 09:05:
Im Zielland keine Familie gründen zu wollen, das ist eine individuelle Entscheidungen. Ich meine, dass es an Migrantenfamilien in D nicht fehlt. 
Eine interessante Beobachtung ist allerdings, dass die Nachfahren der türkischen und griechischen Migranten der 60er und 70er Jahre, die damals häufig noch mit 5 bis 6 Kindern in evtl. beengten Wohnverhältnissen lebten, heute sich an Kinderzahl weitgehend der deutschen Bevölkerung angepasst haben und nun Familien bilden mit 1 bis 2 Kindern bei ausreichendem Wohnraum, gänzlich kinderlos allerdings selten.

 Regina meinte dazu am 31.03.25 um 13:00:
"
Ja, in Mexiko waren die soziokulturellen Verhältnisse nicht dichotomisch, es war ein Mix. Da wurden im Vergleich zu den USA die Ureinwohner nicht ausgerottet, sondern vermischten sich mit zugewanderten Europäern und Afrikanern."
Dass die spanischen Siedler sehr rücksichtsvoll mit den Ureinwohnern umgingen, das bezweifle ich allerdings. Da müssten wir jetzt die mexikanische Geschichte nochmal durchlesen. 

 



 Augustus meinte dazu am 31.03.25 um 13:57:
@Regina

hier spielen kulturelle Hintergründe die entscheidende Rollen, etablierte Glaubenssätze, auch wenn sie aus dem Koran stammen, hält die religiös-fromme Muslimin dies als ihre Pflicht, Keuch bis zur Heirat zu bleiben. Dies ist selbst bei islamischen Familien in ärmeren Verhältnissen der Fall, wogegen deutsche Familien in ähnlichen desolaten Verhältnissen lebend, deren Nachwuchs von 13 Jahren bereits selbst Nachkommen gezeugt haben. 

Gewiss hängt das Glück der muslimischen Frau auch vom zukünftigen Gatten ab. Es kann aber nicht pauschal behauptet werden, dass eine individuell gewählte Partnerschaft glücklicher als eine von Eltern ausgewählte Partnerschaft ist. Das müsstest Du erst beweisen.
Der Trend geht eher in die Gegenrichtung; deutsche Ehen (nach Wahlfreiheit der Partner) werden geschieden, Kinder leiden im Fall der Trennung an Traumatas, Verbitterungen und Rosenkriege zerschmettern auch den letzten Glauben an das Gute im Menschen. 

Die muslimische Frau dagegen lernt es als ihre Pflicht zu verstehen ihrem Gatten Harmonie ins Haus zu holen. In diesem Raum sind die Zuständigkeiten der Geschlechterrollen klar geregelt. Nach diesem (erfolgreichen) Familienmodell der Muslime sehnen sich viele Deutsche, deren Sehnsucht entsprechend sich in der Wahl der AfD wiederspiegelt. 

 Regina meinte dazu am 31.03.25 um 18:49:
Frauen für die Harmonie in die Pflicht nehmen? wenn es dann nicht klappt, ist sie schuld.
Gibt es dann auch etwas, wofür du die Männer in die Pflicht nehmen würdest?

 Augustus meinte dazu am 31.03.25 um 20:19:
Liegt das nicht auf der Hand? Ich schieb bereits, dass die Frau ihren ganzen Wert nebst der Jungfräulichkeit in die Ehe mitbringt, um Mutter und Ehegattin zu werden.
Sie soll ja keinen Ochsen heiraten, der keine Werte und Pflichten kennt. Also wäre die erste Pflicht überhaupt die exklusiven Wertigkeiten, die der Mann durch die Frau in Besitz gerät, wertzuschätzen und letztlich zu ehren, woraus weitere Werte erwachsen, wie etwa Achtung und Respekt. Pflichten müssen aber vorgelebt, erlernt und gepflegt werden.

 Jack meinte dazu am 31.03.25 um 22:34:
Die Werdegänge der vor 1996 zugewanderten Aus- und Spätaussiedler sind mir nicht geläufig. Meine Oma, 1994 zugewandert, erzählte, dass Russlanddeutsche, die noch ein paar Jahr früher kamen, von endlosen Privilegien, Zuwendungen, Besserstellungen, Freelunches und Extrawürsten erzählt hatten, was selbst meine katholische Ebenoma neidisch machte.

Die Spanier f*ckten und verskl*vten die von ihnen eroberten Völker, aber sie r*tteten sie im Gegensatz zu den Angelsachsen nicht aus.

 Regina meinte dazu am 01.04.25 um 04:35:
@Augustus: 
Eine ultrakonservative Einstellung zu Familie und Ehe ist noch lange keine Scharia, keine Zwangsverheiratung und keine eheliche Gefangenschaft. Selbst die Nazis waren da noch europäisch.
Leute, die mir erzählen, dass es in ihrer Heimat besser war, frage ich, warum sie nach D gekommen sind.
Das schreibe ich, obwohl ich meine, dass die Kulturen voneinander lernen sollten.
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