„Hallo, Schatz!“ rief Sarah. Ihre Stimme kam aus dem Wohnzimmer.
Martin drückte die Eingangstür zu und zog Jacke und Schuhe aus. Sein Blick mied die geschlossene Tür am Ende des schattigen Flures, auf die ein großes farbenfrohes Schmetterlingsbild gemalt war. Darunter stand noch immer in bunten Buchstaben „Sinas Zimmer“. Auf der Klinke lag staub.
„Martin?“ hörte er.
„Ja?“
„Du kommst spät.“
Er schlurfte schweigend zum Kühlschrank und fischte sich zwei Jever aus dem Gemüsefach. Es störte ihn nicht, dass an den Bierdosen Fetzen welker Salatblätter klebten. „Bier?“ fragte er, bevor er die Küche verließ.
„Nein, danke.“
Als er sich im Wohnzimmer auf die Couch fallen ließ, seufzte er laut. Sie schaltete den Fernseher aus und blickte ihn lächelnd an. Ein müdes Lächeln, das es nicht ganz in ihre Augen schaffte.
„Gleich spielt HSV“, bemerkte Martin, und die Dose zischte bestätigend.
Sarahs Lächeln wirkte wie plötzlich erstarrt, als hielte sie es zwar aufrecht, aber ohne zu wissen warum. „Ach, ja?“
„Nicht?“
„Keine Ahnung.“
Martin trank einen großen Schluck und seufzte wieder, als er die Dose absetzte. „Sarah, bitte. Ich hatte einen harten Tag.“
„Wieso? Was war denn?“ fragte sie kühl.
„Der übliche Mist, du weißt doch. Komm schon, gib mir die Fernbedienung.“
Sie starrte ihn schweigend an. Ihre rechte Hand hielt die Fernbedienung umklammert und lag bewegungslos auf der Lehne des Sofas. Martin runzelte die Stirn. „Ist was?“
„… Ich hatte einen harten Tag“, antwortete sie mit unverändert kalter Stimme.
„Sarah, bitte... Ich weiß, dass es uns nicht so toll geht. Was glaubst du denn, wie ich mich fühle?“
Sie zuckte mit den Schultern.
„Und wenn wir uns gegenseitig ankotzen, geht’s uns bestimmt nicht besser“, sagte er noch, bevor er sich zu ihr hinüberbeugte und ihr die Fernbedienung aus der Hand riss. Sarah nahm es teilnahmslos hin.
Martins Blick klebte an dem Bildschirm. Das Fußballspiel hatte noch nicht begonnen. Sarah drehte sich ebenfalls zum Fernseher und ließ sich eine Weile von einer Werbeunterbrechung betäuben.
Waschpulver. Familienwagen: „Jetzt mit Isofix und Fahrassistent – damit du nichts mehr verlierst.“ Schokoladenkekse. Windeln?
Shampoo: "Weil wir es uns wert sind." Hundefutter. Fertiggerichte. Spielzeug?
Sorglos-Paket einer Versicherung. Smartphones. Kinofilme. Kondome?
Bier. Noch mehr Autos. Schwangerschaftstests?
Sarah sprang auf. „Geht’s uns jetzt besser, ja?“ brüllte sie Martin an und lief aus dem Wohnzimmer. Eine Sekunde später krachte eine Tür zu.
Martin saß noch fassungslos auf der Couch. Zu seinen Füßen breitete sich langsam eine Bierlache aus. Die Dose war ihm aus der Hand gefallen und lag auf seinem Schoß. „Oh, nein!“ stöhnte er.
Er lief ihr hinterher und hörte noch, wie die Schlafzimmertür verriegelt wurde. „Sarah? … Sarah, bitte mach auf! Was… was habe ich denn getan? Ach, hör schon auf damit! Das Spiel läuft doch gleich! Lass uns doch zusammen gucken!“
Sarahs Zähne knirschten. Sie traute ihren Ohren nicht. „Und dann geht’s uns besser?“ schrie sie mit zitternder Stimme. Erst als Tränen ihre Sicht verschwimmen ließen, merkte sie, dass sie weinte.
Sie zog eine große Reisetasche unter dem Bett hervor. Sie war schwerer als erwartet. Als sie sie öffnete, sah sie die Nachthemden, die neuen Hausschuhe, eine flauschige Wärmflasche, einen Bademantel, Still-BHs und einen nie benutzten Babystrampler- alles noch so ordentlich gepackt, wie sie es damals hineingelegt hatte. Für einen Moment stockte ihr Atem. Dann nahm sie jedes Teil behutsam heraus und legte es sorgsam auf das Bett, als könnte es zerbrechen. Erst danach füllte sie die Tasche mit Sachen, die sie wahllos aus dem Kleiderschrank kramte.
Martin klopfte. „Sarah?“
„…“
„Sarah!“
Aus dem Zimmer kamen nur Geräusche, die er nicht einzuordnen vermochte.
„Sarah, wenn du nicht vernünftig wirst, schlage ich die Tür ein!“
„Und dann geht’s uns besser?“
„Du machst mich wahnsinnig! Seit du... seit damals hast du dich nicht mehr so aufgeführt… Du… du bist doch nicht etwa wieder… ?“
„Doch!“
„Aber das ist doch wundervoll! Was soll dieser Streit?“
„Es ist nicht von dir!“
„Was… ? Wie… wieso hast du das getan?“
„Damit es mir besser geht!“