NNT
Reportage zum Thema Vernunft/ Unvernunft
von Jack
Nassim Nicholas Taleb: Der Schwarze Schwan
Eine Welt ohne Atomwaffen. In Russland passiert Unvorstellbares: bei freien Wahlen gewinnt der Nationalist Wladimir Wolfowitsch Schirinowski und erklärt der Ukraine den Krieg. Putin gibt ein Interview: "Seht ihr jetzt ein, dass meine gelenkte Demokratie besser war?" Gerhard Schröder kommentiert: "Und übrigens war Putin dabei immer ein lupenreiner Demokrat!" Doch zurück zum Krieg: es wird ein paar Monate gekämpft, schließlich einigt man sich auf ein Unentschieden, Schirinowski wird abgewählt und die Bruderländer lernen, als friedliche Nachbarn zu leben.
Eine Welt mit Atomwaffen. Putin lässt erstmals freie Wahlen zu, Schirinowski gewinnt und überfällt überraschend die Ukraine. Putin ruft zum Sturz Schirinowskis und landet im Knast. Der übergeschnappte neue Präsident trifft alle strategischen und taktischen Entscheidungen allein und ist nach zwei Monaten dabei, den Angriffskrieg zu verlieren. Also droht er allen Unterstützern der Ukraine mit Atomkrieg. Bricht dieser aus, so handelt es sich um einen Schwarzen Schwan, um ein seltenes, aber enorm mächtiges Ereignis.
Viele Verschwörungstheorien basieren auf der intuitiven Annahme, dass seltene Ereignisse nicht selten, sondern unmöglich seien. Denen wäre das Buch des Finanzmathematikers NNT eine große Hilfe. Vor 20 Jahren ging Robert in Erfurt postal. Nein, das war nicht irgendeine rechte Verschwörertruppe, das war nicht der deutsche, russische oder amerikanische Geheimdienst, sondern das war der Amokläufer Robert, ein school shooter. Ein solcher Amoklauf ist selten. Aber Winnenden? Nun, seltene Ereignisse unterliegen auch einem Gesetz der Wahrscheinlichkeit: sie sind nicht gleichmäßig verteilt, sondern wahrscheinlichkeitsverteilt. Es kann in einem 7-Jahres-Zeitraum mehrere Amokläufe an Schulen geben, dann 7 Jahre keinen einzigen.
Vor negativen seltenen Ereignissen müssen wir uns schützen. Darum ist es sinnvoll, eine Welt ohne Atomwaffen anzustreben. Ein erfolgreiches Leben wird aber so gelebt, dass es für positive seltene Ereignisse offen ist. Was damit gemeint ist, erzählt der Schwarze Schwan.
Antifragilität
Die Selbsttechnik (Du musst Dein Leben ändern) und die Anthropotechnik (Regeln für den Menschenpark) Sloterdijks basieren auf älteren Techniken des ersten technischen Tieres der Natur: wir Menschen sind Natur plus Technik, und unsere Vorfahren sind exakt ab dem Punkt keine Menschen, wo sie noch Natur pur sind. Es gibt die extravertierte und die introvertierte Technik: der Mensch strebt danach, nicht nur die äußere Natur zu beherrschen, sondern auch die innere.
Was uns nicht umbringt, macht uns stärker, besser, cooler, creepier, stranger, ja nach Kontext. Hat ein fragiles Wesen überlebt, was es nicht überleben sollte, wird es schlechter: es hat einen Schaden. Ein robustes Wesen bleibt was es ist. Erst ein antifragiles Wesen verbessert sich nach einer Leiderfahrung. Die beschädigte Blume wird nie wieder schön, der Kieselstein bleibt Kieselstein, wenn er nicht durch einen Aufprall zweigeteilt oder durch eine hydraulische Presse zu Sand zerrieben wird. Der Mensch wächst über sich hinaus, kann struggelnd besser werden: der junge Fussballspieler, dem wegen eines Herzfehlers von einer Profikarriere abgeraten wird, wird schließlich Nationalspieler; der Stotterer wird ein großer Redner; das schwächlichste Jüngelchen wird zum mutigsten Kämpfer.
NNT zeigt das Prinzip der Antifragilität an vielen Beispielen und wundert sich, warum es noch keiner herausgefunden hat. Stimmt nicht so ganz, denn die Philosophen haben es längst herausgefunden, nur nicht so genannt. Zu den Lebzeiten unseres Zeitgenossen gilt die Philosophie der Antifragilität als "rechts", und ist daher aus dem Zeitgeist verschwunden. Schon eine Generation vorher wussten Ernst Jünger und Lew Gumiljow ziemlich genau, was Nietzsche mit "Was mich nicht umbringt, macht mich stärker" meinte.
Skin in the Game
Unerwartet moraligeladen präsentiert der coole Trader eine Erweiterung seines trancarnegianischen Gesamtwerks, das für die Orientierung und die Bewältigung des Chaos in der gegenwärtigen Welt lichtblickvolle Klärung erpoltert. Verstärkt wird in diesem Buch der Schwerpunkt auf das Ethos gelegt: Mut zum Risiko, keine Antifragilität auf Kosten Schwächerer, gedankliche und moralische Klarheit werden als postmodernes Ideal des Weisen beleuchtet (was Schatten wirft: viele bekannte Buchautoren und Personen des öffentlichen Lebens kommen als Idioten weg); der ideale Mensch dieser Zeit soll idealerweise Unternehmer sein.