Es zu unterlassen, über Anwesende in der dritten Person zu reden, war nur eines der geglückten Erziehungsziele meiner Eltern. Ein anderes war die Unterlassung von Aufrechnung. Wann immer wir Kinder mit einfachen, kindischen Aufrechnungsversuchen daherkamen, brachte meine Mutter diesbezüglich ein entspanntes Desinteresse zum Ausdruck: "es interessiert mich nicht, was der oder die gemacht oder bekommen hat, es geht hier um dein Verhalten". Ich muss zugeben, dass es einige Jahre bis in die frühe Jugend brauchte, bis wir den Wert hinter dieser Regel verinnerlicht hatten und das Verhalten aufgaben, zumal es außerhalb der Familie viele Kinder und Erwachsene gab, die diesem Verhalten nahezu frönten.
Bis heute habe ich mich nicht daran gewöhnen können, dass Erwachsene Opfer von Straftaten nicht nur gegeneinander aufwiegen, sondern sie auch noch ausbeuten und für ihre politische Agenda instrumentalisieren. Eine besonders perfide Absurdität liegt darin, derlei Ausbeutung als Ausdruck von Anstand darzustellen. Politiker, Presse und Privatpersonen, all diese Erwachsenen haben offenbar bis ins hohe Alter hinein nicht begriffen, dass es unhaltbar ist, den Selbstzweck eines Opfers gegen den eines anderen, ein Leid gegen ein anderes aufzurechnen und aufzuwiegen. Es jemandem schon ganz gehörig an Urteilskraft mangeln, der glaubt, diesen Menschen läge tatsächlich ein Opfer am Herzen, nicht bloß die eigene Agenda.
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