Nächste Woche Samstag, vielleicht ... [ein innerer Dialog]

Text

von  niemand



Renate:


Was ist nur aus diesem kleinen, so liebenswerten Mädchen geworden, das ich auf die Welt brachte. Aus diesem zerbrechlichen, mit Pfirsichhaut beschenkten Wesen, das so wunderbar in all die zauberhaften Kleidchen passte, welche ich ihm kaufte?


Anna:


Das soll meine Mutter sein? Diese alte Frau, die sich wie ein Kind benimmt? Klein ist sie geworden. Die Kopfhaut sieht man auch schon, auch wenn sie es zu kaschieren versucht. Warum werde ich nur so aggressiv, wenn sie mich anschaut?


Renate:


Groß ist sie, dünn und eckig. So war meine Kleine nie. Immer grazil, immer beweglich. Eine kleine Prinzessin mit Kirschmund. Jetzt schaut sie so verbissen und Falten hat sie auch, diese Fremde dort. Sieht aus, wie eine Marionette, von einem alten Puppenspieler geschnitzt.


Anna:


Meine Mutter war immer schön. Sie war groß, kräftig und zärtlich zugleich. Alle haben mich um sie beneidet. Wenn sie mich von der Schule abholte, aßen wir ein Eis, beim Italiener. Meine Mama wischte mir dann immer liebevoll den Mund ab.


Renate:


Das Eisessen war immer das Schönste für mich. Sie war zwar schon in der Schule, meine Anna,aber beim Eisessen wurde sie zum Schoßkind. Ich, ihre Mama, war jemand für sie. Eine Beschützerin, ein Halt. Ja, mein kleines Mädchen …


Anna:


Jetzt müsste ich ihr doch den Mund abwischen, aber das mag ich gar nicht. Meiner Mama müsste ich das nicht, Meine Mama war immer perfekt. Sie war eine Königin. An ihrer Hand zu gehen war daheim sein.


Renate:


Die Zeit zurück drehen. Ja! Das wäre was und meine Anna mit der weichen Hand. Wenn sie aufgeregt war, dann schwitzten ihre kleinen Finger so. Das war schön. Wir beide waren schön.


Anna:


Blödes Leben. Erst bekommt man etwas Festes, Standhaftes und dann. Diese Frau ist mir so fremd.Fast wie ein Kind. Kinder wollte ich nie und jetzt. Manchmal guckt sie wie eine Dreijährige. Das mag ich gar nicht! Meine Mama guckte immer wie Mama. Zu ihr sah ich immer gerne auf.


Renate:


Das Leben ist schon komisch. Nimmt mir mein Püppchen und schenkt mir eine riesige Heuschrecke, mit glühenden Augen und eckigen Bewegungen. Will ich nicht. Wie sie aussieht,so dünn und dann diese Lederjacke. Keine Kleider, keine Pfirsichhaut mehr … Anna!


Anna:


Ach, Mama, was soll das nur werden mit uns? Ich weiß, was du wolltest und ich ahne, was du nicht magst. Der Weg in den Sandkasten ist verbaut. Einen anderen müssten wir finden, aber wie?


Renate:


Anna, nächste Woche, Samstag? Kannst du dann vielleicht ein Kleid …?

Ich hätte Zeit.


Anna:


Zeit hätte ich auch, Mama, aber ob wir beide nochmal …


Renate:


Doch, Anna, ja …


Anna:


Vielleicht, Mutter. Nächste Woche, Samstag … vielleicht ...












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Kommentare zu diesem Text


 Moppel (01.08.25, 18:02)
eine sehr ernste und bedrückende Geschichte, liebe Irene, von dem Moment, wo Alte sich senil verändern, vielleicht gar Demenz bekommen. Ein schmaler Grad, auf dem man wandelt zwischen Liebe und Abscheu, zwischen Fürsorglichseinwollen und Schuldgefühl, nie genug getan zu haben.
Ich hofe, dass meiner Tochter und mir das erspart bleibt. Ich will Vorkehrung treffen... lG von M.

 niemand meinte dazu am 01.08.25 um 18:08:
... ja, das Leben entwickelt sich anders als unsere Illusionen,
welche ja auch irgendwie berechtigt sind, da der Mensch nicht nur
von der Realität lebt, liebe Monika. Man bekommt geschenkt und es wird einem genommen. Das verkraften nur wenige, besonders bezüglich der Eltern, die immer so etwas wie ein Fels in der Brandung waren.  :( Zumindest in der Kindheit. Vorkehrungen treffen ist ja gut,
aber nicht immer real möglich. Mit liebem Dank und Gruß zurück, Irene

 Moppel antwortete darauf am 01.08.25 um 18:19:
ja, das ist meine große Angst. mein Mann ist im Boot, meine Tichter wird mich pflegen, bis ich tot umfalle... :(

 Saudade (01.08.25, 18:18)
Liebe Irene!
Ich möchte mich jetzt outen... dein innerer Dialog mit sich selbst hat mich kalt erwischt und mir Magenweh beschert. Manchmal sehe ich meinen Papa an und bekomme so einen Zorn, weil er gebrechlicher tut als er wäre, noch theatralischer tut, jammert. Dabei, ich habe darüber nachgedacht, triggert mich das enorm, denn in Wahrheit ertrage ich seinen Verfall überhaupt nicht, kann es nicht ansehen, weil es mir weh tut. Es ist leichter wütend oder abgestoßen zu reagieren als seine eigene unendliche Trauer, noch zu Lebzeiten, zugeben zu müssen, denn mit dem kann man sich so schön abgrenzen vom Thema Sterben. Der Vergänglichkeit ins Gesicht sehen zu müssen, das macht etwas mit einem. 
Großartig geschrieben, sicherlich eine, deiner besten Texte. Danke dafür.

Kommentar geändert am 01.08.2025 um 18:19 Uhr

 Moppel schrieb daraufhin am 01.08.25 um 18:21:
eine große Gefahr, saudate, sich einzureden, dass die Alten gar nicht so gebrechlich sind. Nur, weil man es nicht aushalten kann. So ein langer Abschied ( ich schrieb mal ein Kettensonsett darüber) ist schlimmer als der Tod selbst. Er zermürbt, stelt alles in Frage. Selbst sich selbst... lG von M.

 Saudade äußerte darauf am 01.08.25 um 19:07:
Ich weiß, Moni.

 klausKuckuck ergänzte dazu am 01.08.25 um 21:27:
Wunderbar! Ein gelungener Versuch, die kv-vergilbten Seiten neu aufzublättern. 
Und auf Abstand gehalten zum Kitsch, der hier in der Nähe lauert. 
Ich bin begeistert!
KK

 niemand meinte dazu am 02.08.25 um 12:53:
Dankeschön!  :)  das freut mich sehr! 
LG niemand

 AnneSeltmann (02.08.25, 08:16)
Dieser Dialog zwischen Renate und Anna ist ein intensiver, bittersüßer Schlagabtausch zweier Generationen, der leise schreit nach Nähe und gleichzeitig das Gewicht von Entfremdung trägt.
Die Sprache wechselt zwischen Erinnerungen, die weich und warm gezeichnet sind – Pfirsichhaut, Kirschmund, Eis beim Italiener – und der harten Realität des Jetzt – dünn, eckig, fremd, Lederjacke. Diese Gegensätze schaffen eine fast schmerzhafte Spannung, die den Leser hineinzieht in ein komplexes Geflecht aus Liebe, Verlust und unerfülltem Wunsch nach Vertrautheit.
Das Besondere ist die Spiegelung der Gedanken: Beide sehnen sich nach dem Damals, beide erkennen sich im Heute kaum wieder, beide leiden und schaffen es dennoch nicht, die Hand auszustrecken. Das Ende, offen und fragil, lässt Hoffnung durchscheinen – ein vielleicht, das wie ein letzter Faden zwischen Mutter und Tochter hängt...

 niemand meinte dazu am 02.08.25 um 12:54:
Vielen Dank für Deinen ausführlichen Kommentar     :)
Ich freue mich darüber und grüße lieb in Deinen Tag hinein
niemand

Antwort geändert am 02.08.2025 um 12:54 Uhr
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