... ich verzweifelt versucht hatte, W.B. Seabrook ("Laß den Vogelfänger kommen! Abenteuer eines Trinkers") in der Städtischen Bibliothek zu bekommen und zu scheitern, schrieb ich meine Freundin an, die ein Antiquariat hat, aber auch sie verneinte, so muss ich es anderswo besorgen.
Es ist ja so, wenn ich mir ein Buch in den Kopf gesetzt habe, dann muss ich es lesen, das ist ein Zwang.
Nun denn, so beschloss ich, "Man sieht sich" von Julia Karnick weiter zu lesen, das mich fürchterlich ärgert, weil die Autorin, Jahrgang 1970, eine Geschichte erzählt, die zum großen Teil in den 1990- Jahren spielt, jedoch die Jugendsprache nicht beherrscht, schon gar nicht die aus den 1990 - Jahren und ich, die ein "Kind der 90'" war, beherrsche die Sprache nicht mehr, und so klingen die Dialoge der Erwachsenen genauso wie die der Pubertären, auch die inneren Monologe sind die von einer Erwachsenen, denn keine 17-Jährige denkt während des Schmusens und Fummelns daran, dass ihr Mantel nun dreckig werden würde und die Raulederschuhe bereits verdreckt sind, das ist absurd und überhaupt geht es so weiter, aber dennoch, obwohl ich nur eine Stunde lesen wollte, las ich dann fünf Stunden, denn die Geschichte fasziniert mich und jede Platte, die erwähnt wurde, "legte ich" mir während ich las dazu "auf", was bedeutet, ich drehte YouTube auf, das hatte einen gewissen nostalgischen Charme. Und plötzlich sah ich auf, da war es bereits dunkel.
Elke Heidenreich sagte oft: "Lesen Sie ein Buch, es heilt keine Probleme, aber es lenkt sie zumindest für ein paar Stunden ab."
Irgendwann musste es aufhören und es nützt auch nichts, das Papier quer zu legen, um die Sätze länger werden zu lassen, sie müssten noch länger sein, viel länger, um alles aufzuschreiben, was ich denke und fühle.
Der schiefe Vorderzahn ist schon lange überkront, die Zeit vergangen, Liebe hängt am Jungen, der erwachsene Mann ist mir fremd.
Ich höre die Flugzeuge über meinem Haus, der Lärm wird zur Abschiedsmelodie.
Lange habe ich gebraucht, bin dreimal davongelaufen, wieder zurückgekehrt, aber jetzt stehe ich am Dreimeterbrett, vor dem ich immer Angst hatte, und springe, so schlimm wird es nicht sein.
Zurück in die Realität. Ovid schrieb: Spes est, quae pascat amorem.
Ich habe die Hoffnung verloren, irgendwann zwischen gestern und morgen.
Ja, das Lesen lenkte ab, das war angenehm. Jetzt werde ich mir einen belanglosen Film ansehen, da kann das Hirn abschalten.
Aber, vielleicht erzählt mir jemand, ob Seabrook lesenswert wäre, ich habe keine Lust mehr, Sinnlosem hinterher zu jagen. Nur noch Dingen, die sich auch lohnen.