Zeugnistag

Text

von  Saudade

Nein, nichts Religiöses, es wird kein Zeugnis abgelegt, sondern die Schüler in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland bekommen heute ihre Zeugnisse, die anderen Bundesländer folgen nächste Woche, so auch meine Nichte, und dann haben sie zwei Monate Ferien. Das Modell ist schwer veraltet und gehört prinzipiell verändert, denn früher war Mutti noch zuhause oder man brachte die Kinder zur Omi. Heutzutage sind viel zu viele Alleinerziehende und Omi ist auch noch berufstätig oder sie haben sich zerstritten. Wohin mit den Kindern zwei Monate lang? Langsam öffnen Schulen im August für die Sommerschule, da kann man die Kinder bis Mittag "parken", keine schlechte Idee. Das Konzept läuft schleppend an.

Sommerferien, das war in Wien früher immer witzig zu beobachten, schon am ersten Ferientag war die Stadt leer. Dafür die Türkei oder Griechenland überfüllt, auch Jugoslawien, so hieß es damals noch. Die Wiener machten sich auf ans Meer. Natürlich auch "das Meer der Wiener", der Neusiedlersee, unsere Naturkloake. Heute gibt es dort fast nur noch Privatgrundstücke, die Wiener haben investiert. Hat ja nichts gekostet, heute schon. 

Fliegen war fast unleistbar, die Reichsten flogen auf die Malediven, das klang exotisch. Aber, der Großteil blieb in der Nähe. 

Die Türken holten sie in den 70' nach Wien für den U- Bahnbau. Die blieben dann und obwohl das brave Arbeiter waren, nannte man sie nur abschätzig "die Gastarbeiter", obwohl sie Jahre schon da waren und deren Kinder waren "die Gastarbeiterkinder", dann folgte "die Tschuschen" oder böse "Kanacken", das ist wie "Neger", nur "Neger" hat niemand böse gemeint, "Kanaken" schon. 

Das Problem war, die Türken wollten fast nie Deutsch lernen, das stieß sauer auf. Aber, diese Generation, "die Gastarbeiter" sind heute die Großeltern der nächsten zwei "Gastarbeitergenerationen", längst schon Österreicher, sind zwar in ihren türkischen Lokalen unter sich und sprechen noch immer kein Deutsch, jedoch sind die zumeist absolut höflich und nett, besonders zu Frauen, wie immer, nicht alle, sondern die, die man kennengelernt hat. Die Enkelkinder sind sehr bedacht auf die "Türkei" und wehen Fahnen im Fußballstadion, dies als Österreicher. Man sieht es im Fernsehen gut. Ein Phänomen, das keiner versteht. Die "Gastarbeiter" und die "Gastarbeiterkinder", die Enkeln, sind keine "Gastarbeiterenkeln" mehr, sondern einfach nur "Türken", obwohl sie Österreicher sind, auf jeden Fall, packten am ersten Ferientag ihre sieben Sachen und fuhren in die Türkei, dies zwei Monate lang, denn die U-Bahn war längst gebaut worden. 

Und die Wiener, die echten, wie sie sich gerne nannten, die fuhren auch weg, Schwechat oder die Autobahn war voll. 

Wir stiegen in den Zug und fuhren ins Höllental zur Oma. Obwohl vor der Schule waren wir jedes Jahr in Dubrovnik oder Split, im Flieger wurde noch geraucht, und waren in schneeweißen Bungalows nahe am Meer. Dort stieg ich, ich weiß nicht mehr wo, auf einen Seeigel und bekam einen Gips. Da warf die Großmutter der Mutter vor, dass sie beide, Mutter und Vater, Rabeneltern seien und das Kind dürfe nur noch zu ihnen im Sommer, sonst scheppert's, das sagte sie, erzählte mir der Vater, ich weiß nichts mehr davon. Auf jeden Fall, nachdem Jugoslawien gestrichen wurde, bestieg ich immer nur den Zug, der war auch bummvoll und verraucht. 

Ja, die Stadt war leer, es fehlten auch die Kinder. Die Zurückgebliebenen fand man in den Freibädern, das waren "Arme-Leute-Kinder", die wurden durch die "Kinderfreunde", eine Betreuungseinrichtung für Kinder von den Roten, betreut, das kostete wenig Geld, denn ihre Eltern waren "Systemerhalter", hielten die Stadt am Laufen. Die hatten keine Omi am Land, vielleicht in der Stadt, aber die Omi war schon zu alt oder auch noch berufstätig. 

Ja, so war das, heute ist das nur bedingt anders, die halbe Stadt bleibt zuhause, es muss gearbeitet werden, die andere Hälfte ist auf der Welt verstreut, zumeist in Kroatien oder jetzt "in" und "billig" in Bulgarien am "Goldstrand". 

Die Öffis bleiben voll, trotz vielen Betriebseinstellungen, Baustellen und Umleitungen, die ärgerlich sind. 

Die Türken müssen arbeiten, die Wiener arbeiten nicht am Bau, die fahren kaum noch "nachhause", wie die Wiener sagen, dabei sind sie Österreicher. Die neuen "Gastarbeiter" sind Polen. Es muss immer eine Bezeichnung gefunden werden. 

Auf jeden Fall, wohin mit den Kindern? Diese Frage wird immer dringlicher, aber eine Lösung geht schleppend voran. 


Hinweis: Der Verfasser wünscht generell keine Kommentare von Isensee.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Zur Zeit online: