Es wird Nacht in der Au
Erzählung
von Hannes
's wird Nacht in der Au
Vor ein paar Stunden schon ist der rote Feuerball der Sonne hinterm Deutschen Museum versunken. Dunkelheit hat die ganze Münchner Stadt zugedeckt, wie die Oma ihren Enkel Wiggerl mit der Steppdecken. Aber während der Bub träumt, dass seine Schul' samt den Zeugnissen abbrennt und im Schlaf leise lacht, leidet die Stadt unter chronischer Schlaflosigkeit.
Grüne Auto mit dem blauen Irrlicht obenauf fetzen durch ihre Straßen. Und die elfenbeinfarbenen Benzinkutschen mit dem eingebauten Chronometer und ebensolcher Vorfahrt haben Hochkonjunktur.
Das Heute dauert bloß noch zwei Stunden. Zehnmal schlägt vom Turm der Maria-Hilf-Kirchen d' Glocken. Dabei schämt sie sich doch so stark, weil der Turm keine Spitzen mehr hat. Und jetzt ausschaut wie ein VW-Fahrer ohne Hut. Doch grell und unbarmherzig beleuchten sie ein paar schadenfrohe Scheinwerfer.
Die Sandler in der „Giasinger Heiwoog“ kriegen das große Rennen in ihren selten gewaschenen Füßen, weil doch das Pilgersheim um diese Zeit zumacht.Und weil nach dem Zapfenstreich keiner mehr rein darf ins Städtische Zwei-Mark-Hotel.
Einige der zu spät gekommenen Isar-Clochards probieren's zwar noch, aber der Pförtner ist unerbittlich und stellt einfach die Klingel ab. So wanken sie dann hinunter an die Isar mit ihrem ganzen Besitz. Der besteht eh' nur aus einer Plastiktüten, einem Alkoholspiegel und einer Trumm Fahne und sie haben nicht viel zu tragen.
Auch dem Kowal Egon sin Bett ist heut' nacht nur eine grünlackierte Bank am Schyrenbad. Eine übriggebliebene Abendzeitung ist sein Bettlaken,und weil das Boulevard-Blattl noch vollständig beinander ist, wird er weich schlafen drauf, der Egon. Seite an Seite mit der Uschi Glas, dem Kissinger Henry und der Loren Sophie.
Derweil macht um's stille Polizeirevier in der Schweigerstraß' der ledige Polizeihauptwachtmeister Josef Obacht seinen letzten Kontrollgang um seine Dienststelle. Er schaut nach, ob ihm nicht ein paar böes Buben einen Molotov-Cocktail hinter's Fensterladl serviert haben. Dann sperrt er die Wachstuben zu und träumt sich in den alten Schwarz-Weiß-Fernseher hinein. Dort läuft nämlich ein Western mit dem John Wayne und der Josef hätt' halt auch so gern einen Sheriff-Stern mit sechs Zacken an der Brust und nicht bloß ein Sterndl am Kragen.
Aber da schimpft auf einmal das Telefon und macht aus ihm, der im Traum grad noch der Marshal Joe Getup aus Colorado war, wieder den Schandi Josef Obacht.
Am anderen Ende der Leitung keift die mehr oder weniger tugendsame Witwe Rosina Malterer. Direkt unter ihrem Bettkammerl ist nämlich das Restaurant „Jugoslavia“, wo die „Drei Montengros“ ihren heimatwehen Landsleuten noch einen aufspielen.
Und die Rosina mag doch nur „Die drei lustigen Moosacher“, vor allem, weil die in Schwabing auftreten und nicht bis in die Hochau zu hören sind.
Wie der Josef aufgelegt hat, sagte bloß noch „Oide Goaß“ und setzt sich wieder vor's Flimmerkastl. Dort empfängt ihn der Köpcke mit Toupet und Spätnachrichten.
Derweil ist es ruhig geworden draußen.
Die Wirtschaften haben ihren Zigarettenrauch und die letzten Gäste auf die Straße gehustet. Die standhaftesten Kartler hat die letzte Straßenbahn, der „Lumpensammler“, nachhause gebracht und jetzt liegen sie schon lang bei der Mutti im fünfunddreißigjährigen Ehebett.
An den Kreuzungen haben sich die rot-gelb-grünen Lichtorgeln ausgeschalten, nur manche binzeln noch ihr gelbes „Paßauf-Paßauf-Paßauf“.
Jetzt ist es ganz still in der Au.
Der Auer Mühlbach ruht in seinem Bett, das so schmal ist, daß es eigentlich nur ein Ufer hat. Er träumt von seiner großen Liebe Isar, mit der er sich unter der Prater-Insel wieder vereinigt.
Auch der Wind ist eingeschlafen und die Kirchenglocken und der Taxifahrer an seinem Standplatz.
Eine ganze Zeitlang schaut sich der neue Tag das Bild an und horcht in die Dunkelheit hinein. Noch hat niemand sein Kommen bemerkt, auch er ist noch müd'.
Aber weil's sein muss, dreht er halt ganz langsam das Licht in seinem Wohnzimmer München wieder auf. Ein erster schwacher Dämmerschein zeigt sich ganz weit hinterm Salvatorkeller. Die Amseln im Kronepark haben ihn als erste gesehen und pfeifen es fröhlich ihren gefiederten Kollegen zu.
Aber auch die ersten Menschlein sind schon auf. Sie duften nach Erdbeermarmelade, Rasierwasser und heißem Kaffee. Ein paar Fischer halten ihre Ruten über die Isar und ihre Lateinstunde.
Noch in der Stille zwischen Dunkelheit und Dämmerung geht die wasserstoffblonde Theres' Hupf aus Cham i. d. Oberpfalz von der Arbeit in der Zamdorfer Straß' heim und legt sich – das erste mal allein heut' nacht – müd ins Bett.
Unterwegs ist auch schon die anatolische Schwadron der städtischen Straßenreiniger. Diese türkischen Saubermänner tragen alle leuchtorangene Plastiksmokings und so einfache Namen wie Üskügül, Yjildirim und Köcikoglu. Mit ihren abgewetzten Reiserbesen fegen sie Zigarettenkippen, Kaugummipapierl und die Dunkelheit endgültig vom Trottoir.
Sprengwagen ziehen mit frischen Fontänen Wasserstreifen durch die Straßen und waschen dem jungen Tag den letzten Schlaf aus den staubigen Augen. Wie die Lider eines müden Träumers heben sich da und dort Jalousien. Wecker rasseln durch offene Fenster und aus einem Koffergrammola singt Katja Ebstein ihr Lied „...und wenn ein
neuer Tag erwacht“.
„D' Giasinger Heiwoog“ macht auf und gleich sind die ersten zwanzig Halbe verkauft.
Erste Sonnenstrahlen fallen von der Hochau sanft und warm herunter und blinzeln ein freundliches „Guten Morgen“ ins Polizeirevier. Der Schandi Josef Obacht blinzelt zurück, geht heim, zieht die Vorhänge zu und dreht sich gegen die Wand.