Engelchen

Satire

von  tastifix

Ach, wie liegt es da so süß, dieses kleine, niedliche Windelpaket. Einfach rührend, der Anblick des zarten und ja ach so hilflosen Bündelchens. Vorsicht! Was so aussieht wie ein putziges, harmloses Geschöpf, ist nicht etwa ein Püppchen, das sich in allem nach dem richtet, womit es die Puppenmutti bzw. den Puppenvati erfreuen könnte. Nein, da liegt ein gänzlich anders veranlagtes Wesen in dem momentan noch viel zu riesigem Kinderbett in seinem ebenfalls noch viel zu großen Strampelanzug. Die Befürchtung, von den frisch gebackenen Eltern nicht ausreichend beachtet zu werden, kann es direkt nach seiner Geburt getrost wieder vergessen. Schließlich haben die monatelang sehnsüchtig auf sein Erscheinen gewartet. Um sich diese Zeitspanne zu verkürzen, kauften sie sich garantiert sogar Bücher über Kinderkriegen und spätere Kindererziehung. Lauter schlaue Schriftwerke, die dazu da sind, um ängstlichen Jungeltern erstens das liebe Geld aus der Tasche zu ziehen und sie nach deren Studiums völlig verunsichert da stehen zu lassen. Mit Gewissensbissen wegen elterlichen Fehlverhaltens, das sie noch gar nicht begangen haben. Und der Sorge, eventuell für die Elternschaft völlig untauglich zu sein. Die, die jenen „Mist“ verzapft haben, erscheinen den frischgebackenen Sorgeberechtigten fast wie Götter. Es klingt ja alles so immens klug, so weise!
Doch gottlob gehört das Elternpaar, an das dieses Briefchen gerichtet ist, zu den denkenden Menschen dieser Welt, die nach kurzem Diagonallesen eines solchen Werkes den ganzen Quatsch tunlichst wieder vergessen und sich vernünftigerweise lieber auf ihren eigenen Verstand verlassen. Und sich nicht irgendeine Art der Kindererziehung aufzwingen lassen, sondern ihre eigenen Ansichten vertreten und diese in die Tat umsetzen.
Hihi!
Was denn das jetzt soll? Erst Ihnen hervorragende pädagogische Begabungen zuzusprechen, und dann soo? Ja, wissen Sie, leider haben Sie Zwei nicht allein das Sagen. Seit ein paar Tagen ertönt ein zaghaftes Stimmchen in Ihrer unmittelbaren Nähe. Es verrät Ihnen auf seine piepsige, wunderbar engelsgleiche Art, dass es Sie nur zu gerne im Glauben lasse, Sie(!) seien die Erziehungsberechtigten. Das allerdings gelingt Babychen ohne allzu große Anstrengung. Denn bei dessen einem Püppchen nicht unähnlichen Äußeren kommen nur die wenigsten frischverliebten Mamis und Pappis auf die Idee, dass dieser Winzling da vor ihnen schon kräftigst dabei ist, ihnen dieses Vorrecht abzuluchsen. Baby registriert höchst zufrieden ab dem ersten Atemzug an der frischen Luft, dass die Großen bei jedem seiner Quietscher zwar stolz wie Oskar, aber gleichzeitig völlig aufgelöst zum Bettchen eilen. Stets in der Angst, das Kleine brauche irgendetwas. Manchmal braucht es wirklich etwas. Z.B. eine saubere Windel oder seine lebendige Milchflasche. Doch die streicht sowieso ohne Unterlass um sein Bettchen herum, um ja nichts zu versäumen. So klein Ihr Töchterchen bzw. Söhnchen noch ist: Für solche Reaktionen hat es einen siebten, nein, ganz offensichtlich sogar einen achten Sinn. Der funktioniert übrigens extrem gut. Denken Sie bloß nicht, Sie könnten das strampelnde Etwas austricksen. Seien Sie besser auf der Hut, dass es das nicht eher mit Ihnen anstellt.
Ich bin ein sehr hilfsbereiter Mensch. Also ein paar nette Hinweise. Hinweise – wohlgemerkt, nicht etwa Ratschläge. Die nämlich überhäufen Sie eh genug, so dass Sie sie spätestens nach drei Monaten nicht mehr hören können bzw. wollen. Bis dahin sollten Sie sich soweit emanzipiert haben, die Sie nervenden, obwohl natürlich nur gutgemeinten Tipps von allen Seiten zu ignorieren. Am cleversten deichselt man das so:
Gibt die liebe oder auch manchmal nicht ganz so liebe Verwandtschaft ´mal wieder zum x-ten Mal ihren Senf dazu, nicken Sie gottergeben und denken Sie sich Ihren Teil. Aber geraten Sie deswegen innerlich bloß nicht in Rage. Das kostet nur Nervenkraft, die Sie besser für vielleicht auch ´mal schlaflose Nächte wegen Babychen aufsparen!
Aber zurück zu dem selbstverständlich stets nur braven Schatz. Dem schönsten Baby der Welt mit einem Charakter, von dem alle übrigen Eltern auf Erden natürlich bei ihren Kindern nur zu träumen wagen. Sie aber haben ein solches Engelchen. Es lässt Sie mit Sicherheit jede Nacht durchschlafen. Schreit nur, wenn es wirklich triftigen Grund dazu hat. Bei nasser Hose, Hunger oder vergessenem Bäuerchen. In dem(!) Alter wird man ja noch gelobt, wenn solch ein Bäuerchen sich möglichst laut hörbar bemerkbar macht.
Ausschließlich bei solchen Gelegenheiten wird das Kleine anfangen, mit engelszartem Stimmchen nach Ihnen zu rufen. Garantiert nur dann! Auch zählt es nicht zu den Ausgaben, die lautstark die Meinung zum Ausdruck bringen, man hätte sich gefälligst nur noch um dieses Kinderbettchen herum zu bewegen. Ausschliesslich die in diesem Frühstadium ach so ergiebige Unterhaltung mit dem Nachwuchs zu suchen. Nein, der Mami, und auch sogar manchmal dem Pappi zuliebe, schläft es von der Fütterungszeiten abgesehen, den ganzen Tag friedlich vor sich hin. Generell ist es in seinem Verhalten seinen Eltern gegenüber die Rücksichtsnahme in Person. Legen Sie das kleine Bündel abends in sein Bettchen, lächelt es Sie selig an und schläft ohne jedes Aufmucken sofort brav ein. Es käme doch nie auf die Idee wie manche seiner Altergenossen, etwa ein langanhaltendes Protestgeschrei vom Stapel zu lassen. So langanhaltend, bis Mami und auch der Pappi sich sagen: Vielleicht fehlt ihm ja doch etwas?? Solche sorgenvollen Gedanken, sage ich Ihnen, sind äußerst gefährlich. Besser sofort davon Abstand nehmen, sonst ist es um die liebe Autorität geschehen. Und dieser Miniengel landet auf dem Arm und natürlich anschließend im Elternbett. Wo die sich dann wundern, wieso plötzlich das Kreischpaketchen so prompt verstummt. Oder höchstens nur noch ein paar selige Quietschtlaute von sich gibt. Womit der Stimmungswandel des entzückenden Strampelanzuges zusammenhängt, kann ich Ihnen ganz fix erklären:
Baby hat instinktiv eine ausgesprochen einschlagende Methode entdeckt, um vom zu heranzuziehenden Lebewesen zum Erzieher zu mutieren. Wofür hat man denn diese Wahnsinnsäugelchen, den süßen verstrubbelten Haarschopf und die winzigen Händchen  mitgekriegt? Bei dem geringsten, auch noch so schüchternen Versuch von Mami oder Pappi, doch noch die Oberhand zu behalten, umschließt man mit eben diesen Puppenhändchen deren Finger ganz fix. Sofort hat man dann die Situation wieder fest im Griff. So schnell geht das. Und Mami und Pappi sind obendrein ob Babys Aktion schrecklich gerührt. Sozusagen mit Kloß im Hals: „Guck doch, die Äugelchen, die süßen Fingerchen! Hast du gesehen, wie niedlich es lacht?“ Achtung! In solchen Minuten grinst Baby innerlich triumphierend vor sich hin. Stellt fest: „Geht das soo weiter, fühle ich mich wie im sechsten Himmel!“ (Für den siebenten ist es denn doch noch ein wenig zu früh!).


Wichtig:
Nur zu lesen...   
in Abwesenheit des geliebten Pseudoengels im
Wachzustand!
                                                Oder...                 
in Anwesenheit des geliebten Pseudoengels im Schlafzustand!

Nichtsdestotrotz wünsche ich Ihnen viel Glück mit dem natürlich entzückendsten Baby der Welt!!
                                                                                                   
                                                  G. Schumacher, 04

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Kommentare zu diesem Text

Tara (43)
(08.07.04)
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 tastifix meinte dazu am 08.07.04:
Hallo, Tara!
Ich freue mich riesig über diese tolle Bewertung. Weisst du, als Mutter von 4 Töchtern weiss ich mehr las gut, was da zwischen Mama, Papa und Klein-Baby so abläuft. Ich konnte gar nicht anders, als anlässlich der Geburt eines Kindes in meinem Bekanntenkreis diese kleine Geschichte zu schicken. Ich gebe auch gerne zu, dass die Eltern sehr gelacht haben.
Was schreibst denn du? Ich bin hier ja noch Seiten-I-Mädchen. Also erst seit ein paar Tagen auf dieser Seite. So langsam gewöhne ich mich hier ein.
Dankeschön nochmal
Tastifix
Symphonie (73)
(29.08.04)
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 tastifix antwortete darauf am 20.10.05:
Hallo Symphonie! Ich freu mich über Deinen etten Kommentar. Ja, die lieben Kleinen wickeln uns vom ersten Augenblick an fein um den Finger...und der konmt dann ein leben lang nicht mehr frei, smile! einen ganz lieben Gruss Gaby

 Sonnenaufgang (18.12.04)
so kann man nur als mutter mit erfahrung schreiben, köstlich, liebe gaby, wie du deinen humor noch mit dazubringst.
ja das neugeborene hält einen ganz schön auf trapp, hergeben möchte man es aber nicht und hand aufs herz, es ist und bleibt, so wie du schreibst, ein engelchen.
lieben gruß von feli

 tastifix schrieb daraufhin am 18.12.04:
Liebe Feli!

Wie lieb von Dir, meine Geschichten direkt zu lesen. Damit machst Du mir eine ganz besondere Freude.
"Babychen" dankt für die vielen Pünktchen. Ich schreibe Dir nachher noch eine Email.

Einen lieben Gruss
Gaby
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