Wie vergewaltige ich einen Schuh?

Kurzgeschichte zum Thema Mode

von  püttchen

Conversation All- Star Chucks


High an alle Fußtreter!
Mein Name ist Billy. Killy Billy. Nein, eigentlich nur Billy. Ich bin der linke Chuck von einem fabrikneuen, teuren Conversation All- Star Chuck Paar. Der rechte ist Killy. Voller Erwartungen liefen wir vor ein paar Monaten vom Fließband. Killy ist ein Querschießer. Zu jedem Tritt bereit. Ich bin wohl eher der denkende, sorgenvolle Teil unserer neugeborenen Turnschuhkarriere. Während ich mir ein gemütliches Leben am Fuße einer vielleicht etwas Trotteligen Träumerin vorstellte, schwärmte KIlly vom Leben am Fuße eines Hardcorepunk. Wir liebten, das Gefühl als Chucks geboren zu sein. Chucks verkörpern Freiheit, Einfachheit, einen leichten hang zu Wildnis und alles was diese abgesnobte Modewelt da draußen nicht zu bieten hat.
Die ersten Paar Tage lagen wir schlafend und gelangweilt von der Welt und dem Leben in einem muffigen schäbigen Kasten, fälschlicherweise auch Schuhkarton genannt. Fehlten nur noch die Luftlöcher. Aber so lange mussten wir gar nicht warten, bis so eine kleine rundliche Verkäuferin uns mit ihren speckigen Wurstfingern uns aus unserem traumlosen Kartonschlaf zu reißen und hinaus ins Leben zu zerren. Verkauft wurden wir an ein junges, puderquastikes Mädchen, eine richtig echte Barbiebitch. Ihr Name war Julia oder Melanie. Vielleicht auch Nadine, oder wie sonst diese blonden Plastikluder so eben so heißen. Sie brauchte die Chucks, uns, um cool zu sein. Sie erstand uns in dem gleichen Laden in dem ihre Mutter auch diese löchrigen Designerjeans, die ja gerade so in waren, und das viel zu kleine Playboybunnytop gezahlt hatte. Sie trug uns fast einen ganzen Sommer lang. Hielt uns frei von Flecken und Löchern, sorgte dafür dass wir auch in der spätesten Stunde wie gerade erst gekauft aussahen. Wenn sie von ihren endlos, sich dahinschleppenden Schoppingtouren oder vom ewigen Zeitabsitzen in der Schule in ihr bürgerliches, penibel sauber gehaltenes und steriles käfigartiges, auch oft fälschlicherweise Wohnung genanntes Heim zurückkehrte, stellte sie uns jedes Mal in das saubergeleckteste Schuhregal der Welt. Natürlich nie ohne uns vorher in schöngeredetem Desinfiktionsspray zu ertränken. Wie wir das alles überlebt haben? Ich weiß es nicht und ich kann es mir auch selbst nicht recht erklären. Das einzige was ich wusste war. Das wir ein zu Hause hatten, manchmal mehr, manchmal weniger geliebt wurden und uns bis zur Spätherbstsaison ein sorgenfreies Dasein vorherbestimmt war. Killy sah das ein wenig anders. Er hatte das behütete, stressfreie Leben und das endlose in- der- Schlange- stehen satt. Er sehnte sich nach der Straße. Nicht nach der mehr Kopf als Stein gepflasterten Fußgängerzone, sondern nach einer richtigen Straße, Bier, Krawallen, nach Nightlife. Nicht einmal eklig klebrige Kaugummis, tödlich brennende Zigaretten und eventuelle Hundescheiße, von denen ich ihm erzählte konnten ihn von seiner Sehnsucht abbringen. Nun, es sollte bald eine Wendung in unser Leben treten, auch wenn nicht ganz so wie ich und Killy es uns je erhofft und/ oder erträumt hätten.
Der Herbst kam und damit auch die neusten modischen Exzesse. Es dauerte keine paar Tage des neuen Stiefeltrends da mussten wir auch schon einem Paar in kackebraun mit riesigen, fluffigen Bommeln, die an einer Mörderkordel erhängt der Tussi im Takt ihrer Schritte um die Füße baumelten, weichen mussten.

Kaputt. Killy hatte seine „Straße“ nie gesehen und ich musste meinen Traum vom Leben auch aufgeben. Tja, so kann’s gehen. Shit Happens, baby. In einem einsam stinkenden Container, die Sonne nie wieder erblickend vegetierten wir nun vor uns hin. Einsam und verlassen. Melanie/ Julia/ Nadine, wo bist du nur? Noch nie hatte ich mich so sehr nach dem penetrant beißenden Geruch irgendeines schweineteuren Schuhdeosprays gesehnt wie jetzt. Alles wär mir recht, so lange es nur Sicherheit und Wärme versprach. Doch mein Wunsch sollte wohl für immer ungehört in den Ewigkeiten des Kontainerfriedhofs ungehört vergehen…

… und Killy schweigt schon lange…

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Kommentare zu diesem Text

pyrieth (53)
(05.05.06)
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 püttchen meinte dazu am 01.06.06:
danke für dein kommentar, pyrieth. Lang leben die chucks!
Sebastian (37)
(22.05.06)
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 püttchen antwortete darauf am 01.06.06:
ein grinsen macht die welt doch gleich schöner! Danke!
Grufti.Ente (28)
(29.05.07)
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 püttchen schrieb daraufhin am 29.05.07:
Meine chucks sehen übelst vergewaltigt aus. aber die sind schon zufrieden damit, glaub ich. gruß, jointy

 Maya_Gähler (29.05.07)
eine hübsche Idee, humorvoll rübergebracht...
gerne gelesen.. Maya

 püttchen äußerte darauf am 29.05.07:
dankschön! gruß, jointy
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