Gegenschlag
Verstand vs. Irrsinn
Eine archivierte Kolumne von Melodia
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In der Familie sei sparsam...
Nach letztwöchiger Kolumne wurde mir mehrfach angetragen, genauer die Unterschiede zwischen West und Ost herauszustellen, bzw. unsere hiesige mit der Kultur Chinas zu vergleichen. Das es einige fundamentale Differenzen gibt, dürfte auch unkundigen Menschen logisch erscheinen. Auf Grund der Menge, werde ich mich auch nächste Woche damit auseinandersetzen.
Die chinesische Kultur beruht auf dem Selbstverständnis, dass das Land der Mittelpunkt der zivilisierten Welt war; der Sinozentrismus. So sind Schrift und Sprache über 2200 Jahre alt; das Chinesische ist die einzige Hieroglyphenschrift die es noch gibt. Die Menschen sind stolz auf historischen Errungenschaften, wie Jade, Seide und Kompass. Hinzu kamen die Staatsphilosophie des Konfuzianismus, die daoistische Weltanschauung und der sinisierte Buddhismus, welche die Gesellschaft grundlegend über Jahrhunderte hinweg prägten. So sind z.B. Pietät, Respekt und Hierarchie noch immer wichtige Bestandteile der Kultur, auch wenn viele kleinere Rituale und Traditionen allmählich verschwinden.
So auch das Spucken auf die Straße. Während es bei uns zum guten Ton gehört ein Taschentuch zu benutzen und dieses sofort oder später wegzuwerfen, übergibt man in China sein Auswurf der Straße. Als weilen konnte man dieses Verhalten auch in Restaurants beobachten; das Naseschnäuzen im Lokal war dagegen lange Zeit etwas verpönt. Das würde ich gerne mal hier erleben. Aber während Chinesen auch Taschentücher benutzen und sich auch im Ausland anpassen, finden Touristen dieses Verhalten in der Volksrepublik meist nur widerlich. Man könnte nun darüber streiten, was hygienischer und gesünder ist. Pragmatischer ist sicher die asiatische Variante, auch wenn ich insgesamt den Eindruck hatte, dass das Spucken im Vergleich zu meinem letzten Besuch deutlich abgenommen hat. Gerade die Jugend scheint sich dieses Verhalten nicht anzueignen.
Wo wir gerade bei Pragmatismus und Aneignung sind: Der Modegeschmack wäre mit „gewagt“ recht wohlwollend formuliert. Weder scheint es farbliche Verbote zu geben, noch ein Bewusstsein für stilistische Kombinationen. Im Prinzip sieht es meist so aus, als ob morgens der Schrank geöffnet wird und man das Erstbeste anzieht. Da kommt es schon mal zu sehr innovativen und kreativen Vermischungen. Dieses Phänomen könnte allerdings auch Schuld der Modegeschäfte sein. An jeder Ecke gibt es ein, zwei kleine Ramschläden, die jedoch sehr oft mit dem Schriftzug „westliche Mode“ werben. Und alles was aus dem Westen kommt, wird als modern und trendig angesehen. Ich hoffe inständig, dass dies nicht stimmt. Von Mode habe ich nur bedingt eine Ahnung; von Farbkombinationen allerdings schon und fairerweise muss ich an dieser Stelle auf die „Mode“ der Jugend an einem Samstagabend hinzuweisen. Was man da alles sieht, grenzt beinahe an Augenkrebs.
Ganz anders sieht es hingegen bei der Architektur aus. Die traditionell geschwungenen und überragenden Dächer werden auch heute noch oft verwendet, darunter nicht nur neue Wohnhäuser, sondern auch Museen und sogar Wolkenkratzer. Übrigens wurden diese alten Dächer lediglich zusammengesteckt. Die Bauwerke sind meist sehr groß, stets imposant und wenn doch einmal ohne chinesischen Einschlag, zumindest mit einer unglaublichen Architektur. In Deutschland sucht man meiner Meinung nach beides größtenteils vergebens. Viele Altstädte sind zweifelsohne wunderschön, dennoch ist es eine andere Einbindung in das Stadtbild und auch nicht ganz so alt. Was die modernen Gebäude betrifft, so schlage ich euch vor, dass ihr euch erst mal Bilder vom neuen CCTV-Tower, dem Nationale Zentrum für Darstellende Künste oder dem China World Trade Center anzuschauen. Das Nationalstadion „Vogelnest“ und den Watercube sollte jeder kennen. In China können sich Architekten austoben. Dafür würde man in Deutschland niemals eine Baugenehmigung bekommen. Und die chinesische Bürokratie ist durchaus auch sehr eigen.
Am interessantesten ist allerdings der Alltag. Von den vielen Fahrrädern und Elektrorollern abgesehen ist das Brettspiel beständiger Teil des Straßenbildes. Egal ob Mahjong (eigentlich Má Jiàng), das Go-Spiel oder chinesisches Schach (Xiàngqí); überall sitzen Menschen um einen kleinen Tisch und spielen, wobei anscheinend Damen Mahjong und Herren Schach bevorzugen. Manchmal spielen sie stundenlang, so dass man sich durchaus des Öfteren fragt, ob die Leute nichts zu tun haben. Vor allem weil sich meist eine kleine Menschentraube um den Tisch versammelt, um lautstark und engagiert jeden Spielzug zu kommentieren. Andererseits gibt es solche Treffen und gesellschaftliche Zusammenkünfte auch in Südeuropa. Leider kann ich mir sowas in Deutschland nicht vorstellen; außer abends, am Stammtisch mit viel Bier.
Noch ein eklatanter Unterschied gibt es bei der älteren Generation. In China sehen viele 90jährige aus wie 60jährige in Deutschland; wenn man die fehlenden Zähne außer Acht lässt. Vor allem sind sie fitter. Wer nicht frühmorgens sein Taijiquan ausübt, bei uns oft Tai-Chi genannt, der trifft sich abends zum gemeinschaftlichen Fitnessprogramm oder Tanz. Getanzt wird übrigens auch tagsüber oft, wobei öffentliche Parks bevorzugt werden. Dabei kann die Musik durchaus mal laut und live sein. Was nicht jedermann Geschmackssache sein dürfte. Denn die Musik in China hingt teilweise einige Jahre hinterher, wohingegen die eigenen Produktionen zwar eine große Spannbreite bieten (von Pop über Elektro bis hin zu Metal ist alles vertreten), allerdings wird fast ausschließlich auf Chinesisch gesungen. Dass es gewöhnungsbedürftig sein kann, verstehe ich sehr gut. Aber hier Radio hören möchte ich auch nicht! Da stecke ich mich lieber in einen Sack voller hungriger Katzen.
Mal schauen wer jetzt den Übergang von den Katzen errät?
Bis dahin
Zaijian!