Alle 526 Textkommentare von Habakuk

13.07.19 - Kommentar zum Text  urzeitgemäss von  Artname: "Hätte mir persönlich noch besser gefallen, wenn du es auf noch mehr Verse umgebrochen hättest. Ein rhythmisch tanzendes Klanggebilde voller Klangfiguren. Sehr schön. Ein Auszug von meiner Profilseite: „und das wort diese lausige zufallshure die an unserem mund hängt um mit jedem von der treue zu flüstern“ – Said: ruf zurück die vögel; 110 Seiten; C.H. Beck Verlag, München – „Ein edler Mensch beurteilt niemanden nur nach seinen Worten. In einer kultivierten Welt blühen Taten, in einer unkultivierten Welt Worte“. (Konfuzius) BG H."

12.07.19 - Kommentar zum Text  Kunst von  juttavon: "Gefällt mir, liebe Jutta. Ich werde mich aber noch eingehender mit dem Gedicht beschäftigen. ;-) HG H."

01.07.19 - Kommentar zum Text  "du musst dein Leben ändern" von  juttavon: "Ein beeindruckendes Gedicht, liebe Jutta, was Sinnhaftigkeit, Sprachrhythmus und Musikalität anbelangt. Auf Stilmittel, die ich durchaus sehe, wie Assonanz und Konsonanz, auch Alliteration stellenweise, gehe ich nicht extra ein, da mir der Versuch einer Deutung wichtiger erscheint. Du musst dein Leben ändern! So lautet die Aufforderung des Titels. Was ist Leben? Das Leben ist kein Konglomerat von vagen, nicht genauen, nicht klar umrissenen, unbestimmten Ereignissen oder Zufällen. Das Leben ist ein Spiegelbild unserer Meinungen, Ansichten, Überzeugungen, Vorstellungen, Wahrnehmungen, Einbildungen, Glaubenssätze, unserer Betrachtungen, unserer Anschauungen. Wenn ich das Leben als unzuverlässig, als böse, gefährlich, als hinterhältig, als nicht vertrauenswürdig, als unkalkulierbar ansehe, werde ich es so erleben. Wenn ich von schamhaften Gedanken beherrscht werde, werde ich beschämt werden, bei schuldhaften Gedanken beschuldigt, etc. pp. Das Leben als Spiegel unserer selbst, wenngleich verzerrt durch unsere Projektionen. Das Problem ist, viele unserer Überzeugungen schlummern im Unbewussten. „ich stoße ja nicht an dich / wenn Glas an Glas wir seufzen“ Nein, du stößt nicht an mich, ich stoße stets an mich selber. Und umgekehrt. Was zusammenstößt und das Glas u. U. zersplittern lässt, sind unsere Projektionen, unser Projizieren auf andere. Ein gemeinsames Seufzen sollte nie aus dem Auge verlieren, dass es zuallererst ein Seufzen über sich selbst ist. „das Glas so rissig ist / Gefahr für überschwemmte Sinne / fliehenden Sinn“ Glas als Sinnbild der Transparenz und des himmlischen Elements, will sagen, der Aufhebung aller Grenzen, aller vermeintlich unvereinbaren Gegensätze, ein Bild für eine metaphysische Dimension, aber durchaus auch ein Bild für den tieferen, wahren Zustand des Menschen. Das Glas ist nicht rissig. Wir spiegeln uns nur darin. Das chinesische Schriftzeichen für Krise besteht aus zwei Teilen: der eine Teil symbolisiert Gefahr oder Risiko, der andere Chance. D.h. eine Krise ist eine gefährliche Chance. Wenn wir die Chancen von Krisen erkennen und nutzen, dann können wir uns weiterentwickeln und wachsen. Zufälle sind Illusion. Alles hat potenziell Sinn und kann wachstumsfördernd sein. Aber nicht alles Tun ist zwangsläufig sinnvoll. Um den „fliehenden Sinn“ zu erkennen, bedarf es Achtsamkeit, Selbsterkenntnis, Bewusstwerdung. Die Sinne sind die Pforten unserer Wahrnehmung. Wahrnehmung erschafft u. a. die Welt. Unsere Sinne können überschwemmt sein, überflutet, sowohl von geistigen wie materiellen Belangen. Der unsachgemäßen Umgang damit birgt Gefahr. Eine Saite, die zu straff gespannt ist, reißt. Eine Seite, die zu schlaff gespannt ist, klingt nicht. Der Weg der Mitte ist anzuraten. Im Folgenden möchte ich etwas zum Titel sagen: Wenn ihr euch (selbst) erkennt, dann werdet ihr erkannt werden. Wenn ihr euch aber nicht erkennt, so seid ihr in Armut und ihr selbst seid die Armut. Das steht im apokryphen Thomasevangelium. Ähnlich die einstige Inschrift am Apollotempel von Delphi: Erkenne dich selbst. Konkreter der Ausspruch Jesu im NT: Auf Griechisch lautet diese Aufforderung "Metanoiete!" Damit ist wörtlich „Umkehr" gemeint. Wenn Jesus also Menschen zur Umkehr aufruft, dann will er, dass seine Zuhörer zunächst erkennen, wie ihr Leben verläuft. Sie sollen sich selbst erkennen. Wer umkehren soll, soll etwas Bestimmtes an sich erkennen, nämlich, dass das eigene Leben in eine falsche Richtung verläuft. Sonst macht die Aufforderung keinen Sinn. Hier schließt sich der Ring zu deinem Gedichttitel. „Du musst dein Leben ändern“. das neuzeitlich entdeckte Ich / taucht in die Stärke des Du oder Wir / oder fremd Du nimmst Bezug auf S. Freuds „ICH“. Näher darauf einzugehen, sprengt hier den Rahmen. Der Weg kann nur sein: Vom ICH zum DU zum WIR. Das Ich ist nur eine vorübergehende Chimäre, die aber für unsere Entwickelung notwendig ist. „was bleibt dass wir uns trauen können / einfach für manche Tiere zu schreien / oder schreiben oder überschreiten“ Tiere stehen allgemein für Triebe, Instinkte, Leidenschaften und Begierden, für alles das also, was man als primitiv ablehnt, aber doch nicht übermäßig unterdrücken darf. Grob gesagt ist es das „ES“ in Freuds Strukturmodell der Psyche. „Zu schreien“ interpretiere ich mit akzeptieren, als zu sich gehörend wahrnehmen, als ein nicht verdrängen bzw. unterdrücken. Das Unterdrückte, Verdrängte schreit sinnbildlich. Tiere stellen Energiefelder aus den Tiefen der Seele dar und repräsentieren unsere Triebe und Instinkte, die von unserem Über-Ich, jene durch die Erziehung entwickelte und als eine Art Richtschnur der Kontrolle dienende, regulierende Instanz der Persönlichkeit verurteilt und durch Selbstbestrafung sogar sanktioniert werden können (S. Freud). Hier rede ich nicht einem zügellosen Ausleben das Wort, vielmehr einer Umgestaltung bzw. Transformierung. Dass das nicht von heute auf morgen geht, dürfte klar sein. Zu Beginn steht auch hier das Erkennen. „was bleibt dass wir uns trauen können / Eine Umkehr am Grunde unseres Bewusstseins ist vonnöten. Wir können uns nicht nur trauen, wir müssen uns trauen, wenn wir uns bewusstseinsmäßig entwickeln wollen. Durch unsere Schatten zum Selbst zu gelangen im Sinne von Jungs Individuation. Eine Veränderung unserer Überzeugungen und Glaubenssätze, aber auch unserer Worte, unseres Denkens ist notwendig. Unsere Gedanken haben mehr Macht, als wir uns vorstellen wollen. Transformation ist der Weg, das Gedicht nennt es „überschreiten“. Dein Gedicht enthält eine Fülle von in die Tiefe reichenden Gedanken, liebe Jutta. So lese ich es zumindest. Für mich ist es ein sehr starkes Gedicht. Ich habe mal einen gewagten Interpretationsversuch gemacht. HG H."

01.07.19 - Kommentar zum Text  erinnern von  juttavon: "Gefällt mir sehr gut, liebe Jutta. Da du die Interpretation vorweggenommen hast, bleibt mir diese Arbeit diesmal erspart. Ich wäre allerdings zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt. ;-) Was die Sprachmusikalität und den Rhythmus anbelangt, habe ich nicht das Geringste auszusetzen. Feiner Sprachfluss, hervorgerufen durch die assonantischen und konsonantischen Klangfiguren. Fein. HG H."

25.06.19 - Kommentar zum Text  aufgeben von  juttavon: "Starkes Gedicht, liebe Jutta. Bild- und sprachmächtig. An wen sich das lyr. Ich auch immer wenden mag, womöglich an sich selbst, festzuhalten bleibt: "Alles Fleisch ist Gras, das Gras ist verdorrt, fürwahr, das Volk ist Gras! Der Mensch, wie Gras sind seine Tage; wie die Blume des Feldes, also blüht er. Denn ein Wind fährt darüber, und sie ist nicht mehr, und ihre Stätte kennet sie nicht mehr. Menschen blühen aus den Städten hervor wie das Kraut der Erde; die Gesetzlosen sprossen wie Gras und blühen. Euer Herz aber wird sich freuen, und euere Gebeine werden sprossen wie das junge Gras." So heißt es in den alten Schriften. Diesen Zustand der Endlichkeit aller Dinge in ihrem jetzigen Zustand beschreibst du in starken Bildern zu Beginn deines Gedichts. So lese ich es. Das mag das natürliche Lebensende sein, eine schwere Krankheit oder aber eine tödliche Erkrankung. Wie auch immer, wann auch immer, dieses Ende steht fest, darüber mag unser kluges und teils überhebliches Reden und Tun, unser Anhäufen von was auch immer, unser Streben nach Nichtigkeiten eine Zeit lang hinwegtäuschen. Es ändert letztlich daran nicht das Geringste. Da du offensichtlich auf Camus’ „Mythos vom Sisyphos“ anspielst, möchte ich einige Aussagen daraus voranstellen, da sie für meine Interpretation wichtig sind. „Sisyphos ist der Held des Absurden. Dank seiner Leidenschaften und dank seiner Qual. Seine Verachtung der Götter, sein Hass gegen den Tod und seine Liebe zum Leben haben ihm die unsagbare Marter aufgewogen, bei der sein ganzes Sein sich abmüht und nichts zustandebringt. Es gibt kein Schicksal, das durch Verachtung nicht überwunden werden kann. Nur lehrt Sisyphos uns die größere Treue, die die Götter leugnet und die Steine wälzt. Auch er findet, dass alles gut ist. Dieses Universum, das nun keinen Herrn mehr kennt, kommt ihm weder unfruchtbar noch wertlos vor. Jedes Gran dieses Steins, jeder Splitter dieses durchnächtigten Berges bedeutet allein für ihn eine ganze Welt. Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“ Ein Leben ohne eine spirituelle Ausrichtung ist m. E. ein absurdes, widersinniges Leben, wobei der Begriff „absurd“ aus dem Lateinischen kommt und misstönend, unrein klingend bedeutet. Den Begriff „Klang“ hatten wir ja kürzlich erst in einem deiner Gedichte. In einer absurden Welt des Existenzialismus, wie sie u. a. auch von Camus postuliert wird, mögen obige Aussagen folgerichtig sein. Nichtsdestotroz sind es m. E. Aussagen eines im Denken verirrten Menschen, die ich nicht in letzter Konsequenz ernst nehmen kann und will, wenngleich ich Camus als Literaten durchaus zu schätzen weiß. Die auch davon zeugen, dass er, Camus, niemals wirklich an diesem Punkt der allertiefsten Verzweifelung und des tiefsten Schmerzes gestanden hat, denn dort, wo nichts mehr Sinn zu machen scheint, ertönt ein anderer Klang, der Urklang, der jedem Menschen innewohnt, der uns durchtönend ruft. Es sei denn, dieser Klang liegt unter einem Riesenfelsblock verschüttet, wo er ungehört verschallt. Und dieser Zustand ist das Gegenteil von Glück, er verdient größtes Mitleid. Es ist die Hölle des Sisyphos. In einer Endlosschleife den Stein den Berg hinaufzuwuchten, welch trübes Schicksal. Da hilft alle philosophische Verbrämung nichts. Wenngleich wir uns alle hinterfragen sollten, welche Steine wir endlos im gleichen Trott stets auf dieselbe Art fortbewegen. Dem möchte ich ein Gedicht von Zenetti gegenüberstellen. „Mir ist ein Stein vom Herzen genommen: meine Hoffnung die ich begrub ist auferstanden wie er gesagt hat er lebt er lebt er geht mir voraus! Ich fragte: Wer wird mir den Stein wegwälzen vom dem Grab meiner Hoffnung den Stein von meinem Herzen diesen schweren Stein?“ (Lothar Zenetti) Und nun kehre ich zu deinem Gedicht zurück. „wo er seinen Stein den Berg hinaufrollt fragt keiner nach den Worten die übrig geblieben aus dem Staub entfliehen“ In dieser absurden Welt des Existenzialismus, des Sisyphos, wie Camus ihn sieht, ist kein Raum für Worte eines Lothar Zenetti. Niemand fragt danach, dabei sind sie es, die alleinig Nachhaltigkeit aufweisen, von Dauer sind, wenn alles zu Staub zerfallen ist. Wo sie ungehört bleiben, entfliehen sie allerdings. „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt vom HERRN, der Himmel und Erde gemacht hat. Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen, und der dich behütet, schläft nicht“. (Psalm 121) Auf dem gleichen Berg, an dem Sisyphos sein elendes Steinerollen vollführt, ist potenziell auch das Göttliche zu finden. Aber eben nur für den, der danach fragt. Manch einem mögen solche Gedanken noch absurder erscheinen als Camus’ Thesen. Jedem seinen eigenen Sisyphos. Oder das Gegenteil. Wir haben viel Zeit zu lernen. Sehr viel Zeit. HG H."

25.06.19 - Kommentar zum Text  ein Du von  juttavon: "Liebe Jutta, dein Gedicht gefällt mir, aber diesmal „etwas“ weniger von seinem Sprachrhythmus bzw. seiner Sprachmusikalität her als von seinem Inhalt, wobei ich der Lesart von „niemand“ einiges abgewinnen kann, mit dem Zusatz, dass es auch eine Lebensfurcht oder Lebensangst gibt. Bei letzterem denke ich an Edvard Munch. Wenngleich Furcht bzw. Angst sich ja voneinander unterscheiden. Das aber nur am Rande. Nun ja, du wirst es mit Würde tragen. Außerdem hast du insgeheim schon lange sehnsüchtig auf ein wenig Kritik meinerseits gewartet, unterstelle ich mal. Also mir geht es so. ;-) Eine Habakuk’sche Version, der Hitze geschuldet, nur zur Unterhaltung: blättert sich auf das schweigen im wind der alte mit furchtgegerbter haut hackt im frühjahr sein greises beet über den holzzaun geworfen der blick das wort seit ewigkeiten verweht ein lächeln gemeinsam des herzens schlag Das nächste Mal gibts wieder uneingeschränktes Lob, liebe Jutta. ;-) HG H."

28.05.19 - Kommentar zum Text  Mythen von  juttavon: "Schönes Gedicht, liebe Jutta. Die etymologische Bedeutung des Wortes „Mythos“ bedeutet ja Überlieferung aus der Vorzeit eines Volkes in Form von Dämonen-, Götter- und Heldensagen. Träume und Mythen als verborgene Sprache der Seele. C. G. Jung und viele andere bedeutende Psychologen haben sich mit der Welt der Archetypen, Träume, Mythen und mit den Entwicklungsprozessen der Seele beschäftigt. Das ist auch das Thema deines Gedichts. Joseph Campell, ein US-amerikanischer Professor und Autor auf dem Gebiet der Mythologie betrachtet den Mythos als einen geheimen Zufluss, durch den die unerschöpflichen Energien des Kosmos in die Erscheinungen der menschlichen Kultur einströmen. Religionen, Philosophien, Künste, primitive und zivilisierte Gesellschaftsformen, die Urentdeckungen der Wissenschaft und die Technik, selbst die Träume, die den Schlaf erfüllen, all das gärt empor aus dem magischen Grundklang des Mythos. So sehr die Mythen im Detail variieren, ihre Strukturen sind einander sehr ähnlich. Sie haben ein universelles Muster. Traum, Mythos und Wirklichkeit sind als miteinander kommunizierende Wirklichkeiten zu sehen. Der Traum ist nach Campbell ein "verpersönlichter Mythos", er verbinde mit der eigenen Lebensgeschichte ebenso wie mit dem Menschsein ganz allgemein. In eindrucksvollen Bildern beschreibst du diesen Prozess. Einzelne Verse explizit herauszugreifen bedarf es nicht. Jedes Bild bringt das oben Gesagte anschaulich zum Anklingen. Sprachklang und Rhythmus wohnen deinen Gedichten ja stets inne. Nicht unerwähnt lassen will ich einige Klangfiguren deines Gedichts. Alliterationen fallen mir auf bei „Flügeln - Faser - Flut - Flussbett - fliegen - flackernde Felswände - Feuer“. Oder: „Schlaf - schwarze Schattierung - Schritt - Schatten“. Assonanzen sehe ich bei a, e, i, o, u sowie den Umlauten ä, ö und ü, ohne jetzt jeden Einzelfall aufzuzeigen. Mir ist schon klar, dass strenggenommen die Begriffe Alliteration sowie Assonanz nur im Zusammenhang mit benachbarten Wörtern bzw. Wörtern, die innerhalb eines Verses oder einer Strophe aufeinanderfolgen, benutzt wird. Ich sehe das etwas großzügiger und für mich ist jedes Gedicht in diesem Zusammenhang eine syntaktische Einheit und der Wohlklang, der aus dem Gleichklang der Anlaute bzw. Vokale erfolgt, kann sich für mich auch aus weiter voneinander entfernten Versstrukturen ergeben. Ich sehe insofern ein Gedicht als einheitlichen Klangkörper. Da werden die sogenannten „Experten“ womöglich widersprechen. Macht mir aber knapp die Hälfte, will sagen, ist mir wurscht. Auf die Klangfigur „Konsonanz “ könnte ich auch noch eingehen, da sich in deinem Gedicht reichlich Konsonanzen finden lassen. Ich belasse es aber diesmal bei den bisherigen Ausführungen und begnüge mich mit einem relativ kurzen Kommentar. ;-) Mir gefällt dein Gedicht. HG H."

24.05.19 - Kommentar zum Text  Aktionskunst von  juttavon: "Der Titel deines Gedichts gibt mir einen ersten Hinweis zur Interpretation deines schönen Gedichts, liebe Jutta. Hoffe ich. Das implizite lyrische Ich identifiziert sich mit einem Schmetterling. Der Mensch erlebt die Natur durch seine radikal subjektive Sichtweise. Der Schmetterling nimmt hier also charakteristische menschliche Züge an, was seine Empfindungen und inneren Handlungsantriebe (Impulse) anbelangt. Der Schmetterling ist ein instinktgesteuertes Wesen, will heißen, zeigt in bestimmten Situationen ein nicht bewusst gelenktes, aber der Natur inhärentes artspezifisches Verhalten. In der Aktionskunst ist nicht selten der Künstler selber Bestandteil des Werkes und sein Körper künstlerisches Medium. Während für ein klassisches Kunstverständnis die Trennung von Subjekt und Objekt Voraussetzung ist, in dem der Künstler ein von ihm ablösbares Artefakt schafft, geht es in der Aktionskunst um Handlungen, in die der Künstler (hier das implizite lyr. Ich) unmittelbar involviert ist. In diesem Zusammenhang verstehe ich Aussagen wie „entfalten den Aufstand, besetzen das Brennesselfeld, aus Gemüt noch eines Jahres Glück“. Alles Empfindungen bzw. Handlungen menschlicher Art, die einem Schmetterling so nicht zu eigen sein dürften. Nicht nur in Griechenland, sondern auch bei vielen primitiven Völkern, gilt der Schmetterling als Symbol für die Seele. Das kann damit erklärt werden, dass der Schmetterling bis zu seiner endgültigen Gestalt einige Entwicklungsstadien durchläuft und dann in der letzten Stufe der Puppe entschlüpft, dies kann als Bild für eine vom Körper befreite Seele verstanden werden. Aus demselben Grund ist der Schmetterling auch oft ein Bild für Verwandlung, Auferstehung und Wiedergeburt. Im Medizinrad der Indianer wird der Schmetterling dem Schmetterlingsclan zugeordnet. Dies ist der Clan, der mit dem geistigen Aspekt des Seins assoziiert wird. Schmetterlinge sind Meister der Transformation. Sie alle beginnen ihr Leben als Raupen, ernähren sich von Pflanzen, bis sie einen Kokon spinnen können, und verwandeln sich dann, nach einer Phase des Schlafes, in Schmetterlinge. Als solche ernähren sie sich von Blumen und helfen diesen bei der Vermehrung, indem sie deren Pollen verbreiten. Auf diese Weise bringen sie dem Rest der Schöpfung die Gabe der Schönheit. Sprachlich erzeugen helle Vokale eine heitere und gelassene Stimmung, wohingegen dunkle Vokale eher trüb und gedrückt wirken. A und u zählt man grundsätzlich zu den dunklen Vokalen, sie vermitteln eine Stimmung von tiefen Tönen, von Dumpfem, von schwer Lastendem oder Bedrohlichem. Andererseits wird der Vokal a im Schrifttum aber auch als der „heitere Vokal der ruhigen Gegenwart“ bezeichnet. Dies gilt gleichermaßen für den Diphthong au, wenngleich auch dieser ambivalent zu sehen ist und außerdem für Schneidendes, Unabänderliches, Trennung, Trauer und Schmerz (Assoziation: "Au"!) stehen kann. Ich denke in diesem Zusammenhang an die Wörter „Lauen, Aufstand, Arien, entfalten, das, Herzwand, entbrannt, Jahres“ in deinem Gedicht. Die Umlaute ü und ä zählen grundsätzlich zu den hellen Vokalen. Es sind Zwischenlaute zwischen einem a bzw. u und vermitteln dem Leser u. U. den Einruck, dass das lyrische Ich sich im Übergangsbereich von zwei verschiedenen Gefühlen befindet, einerseits der Sehnsucht nach einer vom Körper befreiten Seele und andererseits der noch vorhandenen Körpergebundenheit. Auf dein Gedicht bezogen fallen mir da die Wörter „Stück, Flügel, gnädig, Gemüt, Glück“ ins Auge. Ansonsten sehe ich sehr oft die Vokale e und i: Diese hellen Vokale evozieren eine fröhliche, aber auch aufgeregte Stimmung, was auch für den Diphthong ei gilt. Die einzelnen Wörter füge ich jetzt nicht an, sie sind aber leicht im Gedicht nachzuvollziehen. Harte Konsonanten bzw. Konsonantencluster wirken aggressiv und abweisend. Beispielhaft in „Stück (st, ck), entfaltet (t, tf, lt), gerüstet (r, st, t), zerbrechlich (z, r, br, ch). Etc. pp. Weiche Konsonanten sehe ich fast in jedem Wort: b, d, g, m, n, l. Die einzelnen Wörter erspare ich mir. Auffällig ist die besondere Häufigkeit der Konsonanten n sowie g. Meine Absicht war, darzulegen, wie die Gefühlsambiguität des lyr. Ich auch in den Vokalen und Konsonanten Niederschlag gefunden hat. Weiterhin fallen mir die Klangfiguren Konsonanz, Assonanz und Alliteration auf. Mehrfache Konsonanzen bei n bzw. l, Assonanzen bei a, e, ü, Alliterationen bei a, b, d, e, g, s, z. Reim bei Stück, Glück. Ein feines Gedicht, liebe Jutta. Rhythmisch, bildhaft, sprachmusikalisch, klangvoll und zudem voller rhetorischer Stilmittel. Ob meine Interpretation mit der Intention der Dichterin im Einklang steht, sei dahingestellt. ;-) HG H."

15.05.19 - Kommentar zum Text  mal träume ich von  Sternenpferd: "Gefällt mir. Viele Klangfiguren in dem Gedicht. Die Wortbildungen „blaut, schneewund“ sind eindrücklich. BG H."

08.05.19 - Kommentar zum Text  Klarsicht von  juttavon: "Ein wunderschönes Gedicht, liebe Jutta. Das lyr. Ich wendet sich in deinem Gedicht an ein lyrisches Du, ein Begriff, den es als eigenständigen Terminus nicht gibt. Das Ich und das Du des Gedichtes sind eins und werden zum flüchtigen Wir. Das Du könnte ggf. auch eine reale Person darstellen. Ich lese viel Sehnsucht bereits in der ersten Strophe. „Ankommen“ bedeutet ja die Überwindung einer räumlichen und zeitlichen Trennung, umgangssprachlich gar „zur Welt kommen“, will sagen, geboren werden. Augen assoziiere ich mit dem Organ des Lichts, der Bewusstheit, aus der nach einem der ägyptischen Schöpfungsmythen die Welt entstanden ist. Stimmiger scheint mir aber in deinem Gedicht das Auge als Spiegel der Seele, als empfangendes Organ zu sein. Womöglich wird in der ersten Strophe die Reise zum inneren Mann (Animus) bzw. zur inneren Frau (Anima) beschrieben. Es handelt sich hierbei um zwei der wichtigsten Archetypen, also im kollektiven Unbewussten angelegte, von individueller Erfahrung unabhängige Strukturen aus der analytischen Psychologie von Carl Gustav Jung. Diese Reise wäre ein Teilaspekt der Individuation nach C. G. Jung. An die „Chymische Hochzeit“ bzw. „Hieros-Gamos (heilige Hochzeit)“ könnte man in diesem Zusammenhang ebenfalls denken, die Vereinigung verschiedenster, komplementär wirkender Gegensatzpaare, die gemeinsam zu einer höheren Einheit werden. Diese neu entdeckte innere Person, zu der eine Beziehung aufgebaut wurde, bringt dem Einzelnen bewusst und gezielt eine Fülle neuer Einsichten und Einstellungen, die ihm bis dahin unzugänglich waren und die die Persönlichkeit bereichern. „Fragen nach dem Weg der Gangart des Zarten das Warten und Untergehen oder das Wehen auf der Haut verschenken“. Dass dieser Prozess sich auch in der Liebe, der Annäherung wiederfindet, wird in obigen Versen schön verbildlicht. „Warten und Untergehen“ weist evtl. auf die potenziell schwierigen Momente (Sehnsucht, Hoffnung, Zweifel, Angst, Geduld, Enttäuschung) hin. „zeitgleich unsere Stimmen in Höhlengängen“ verdeutlicht die schon immer bestehende Verbindung dieser Persönlichkeitsanteile auf einer höheren Ebene des Unbewussten. „im Bangen der Mut uns an das Drehen der Erde zu lehnen“ ist ein wunderbares Bild. Der Rotation, der Eigendrehung entspräche psychologisch sinngemäß die Forderung zur Individuation, also dazu, ein einmaliges Wesen, ein Individium zu werden. Der Revolution, der Bewegung um die Sonne, entspräche die Forderung, sich einzuordnen in ein größeres, höheres Ganzes, in überpersönliche Zusammenhänge. Damit einhergehend haben wir uns der Angst zu stellen, die ggf. droht, wenn wir aus dem Massenmensch-Modus ausbrechen, aus der Geborgenheit des Dazugehörens und der Gemeinsamkeit herausfallen, was Einsamkeit und Isolierung bedeuten kann. „die Leere der Hände zu teilen“ ist wieder ein eindrucksvolles Bild. Dieses Paradoxon erinnert mich an Zen-Buddhismus. Erlösung bedeutet, sich der Leerheit und gleichzeitig der Zugehörigkeit zu allem bewusst zu werden. Vllt. will dieser Vers auf das spirituelle Eingebettetsein des ganzen Prozesses hinweisen. Soweit zur Deutung. Einige Sätze zur sprachlichen Gestaltung. Für mich ein sehr sprachmusikalisches Gedicht mit Rhythmus und ausgeprägter Bildhaftigkeit. Die Klangfiguren „Assonanz, Alliteration und Konsonanz“ sind auffällig. Exemplarisch einige Beispiele: 1. Vers: Alliteration bei a in „angekommen/Augen“, Assonanzen bei e, i in „angekommen/in/deinen/Augen/spiegeln, Konsonanz bei n 2. Vers: Assonanz bei a, e, Konsonanz bei g, n 3. Vers: Reime bei Zarten/Warten, Gehen/Wehen, Assonanz/Alliteration bei und/Untergehen, 4. Vers: Assonanzen bei a, e, Konsonanzen bei h, n 5. Vers: Assonanzen bei e, i, ö und e in „Höhlen“ bzw. ä und e in „gängen“ werden assonantisch als ähnlich klingend anerkannt. Im letzten Vers sei das Stilmittel Paradoxon/Oxymoron hervorgehoben. Insgesamt betrachtet ein prima Gedicht mit Wiedererkennungs-Charakter. Typisch JvO. ;-) HG H."

Diese Liste umfasst nur eigenständige Textkommentare von Habakuk. Threads, in denen sich Habakuk an der Diskussion zu Textkommentaren anderer Leser mit Antworten bzw. Beiträgen beteiligt hat, findest Du  hier.

 
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Habakuk hat übrigens nicht nur Kommentare zu Texten geschrieben, sondern auch  einen Autorenkommentar,  einen Gästebucheintrag und  3 Kommentare zu Teamkolumnen verfasst.

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