Schönau, Peter:

Ein einsamer Tod

DIE REALITÄT HOLT DIE FIKTION EIN
Zahl der Toten bei Hochhausbrand in Taiwan steigt auf 46: Das 13-stöckige Wohn- und Geschäftshaus hatte am frühen Morgen stundenlang gebrannt, ehe die Feuerwehr die Flammen unter Kontrolle bringen konnte. Die Zahl der Opfer könnte noch steigen, da viele Bewohner in den oberen Stockwerken eingeschlossen waren
 
 
SCHLUSSSATZ AUS „EIN EINSAMER TOD“
Ich hätte mein Tagebuch gerne anders beendet als mit meinem Tod, aber wie sagt Umberto Saba in einem Gedicht: „Alle Karten waren dagegen“.
 

 
EIN EINSAMER TOD
 
Eine Gasexplosion in einem 13-geschossigen Wohnkomplex, die zu solchen Zerstörungen führt, dass das Gebäude wahrscheinlich abgerissen werden muss.
Der Bewohner eines Apartments im 10. Stock wartet auf das Eintreffen der Rettungskräfte und beginnt ein Tagebuch zu schreiben. Daraus entsteht das Kaleidoskop einer Persönlichkeit
 
(Kaleidoskop: Optisches, in seiner Form an ein Fernrohr erinnerndes Spielzeug, bei dem durch mehrfache Spiegelung von bunten Glassteinchen im Innern, die sich durch Drehen jeweils anders zusammenfügen, wechselnde geometrische Bilder und Muster erscheinen)
 
Gestern hat eine Gasexplosion in der Küche eines Mieters im zweiten Stock des dreizehngeschossigen Wohnblocks, in dessen zehnten Stock ich ein Dreizimmerapartment bewohne, teilweise zerstört. Der Brandherd wurde inzwischen gelöscht. Durch starke Rissbildungen an den Außenwänden des Wohnkomplexes sowie eine Schieflage der Gebäuderückseite kann die Standsicherheit nach Mitteilung der zuständigen Behörden nicht mehr gewährleistet werden. Für den gesamten Komplex bestehe Einsturzgefahr. Die Rettungsarbeiten sind in vollem Gange. Die befragten Fachleute halten die Stabilität des Gebäudes für stark gefährdet. Nach Abschluss der Rettungsarbeiten müsse es wahrscheinlich gesprengt werden. Nach Medienberichten wurden bisher zehn Leichen aus Wohnungen im Erdgeschoss und im ersten Stock geborgen. Weiter sind die Rettungsmannschaften bisher nicht vorgedrungen. Die Arbeiten kommen nur langsam voran. Bei jedem Schritt müssen Stützgewerke an der beschädigten Deckenkonstruktion der betroffenen Wohnungen angebracht und laufend auf ihre Stabilität überprüft werden. Die Sicherheit der hier unter gefährlichen Bedingungen arbeitenden Mitarbeiter des Katstrophenschutzes und des Technischen Hilfswerke hat natürlich Vorrang vor allen anderen Erwägungen. Nach Mitteilung des THW sind zurzeit zwei technische Züge im Einsatz. Dabei kommen auch Roboter zum Einsatz, die das Innere der beschädigten Strukturen erkunden. Die Suche nach Vermissten unter den Trümmern läuft auf Hochtouren.
 
An der Decke entdeckte ich einen großen diagonalen Riss, gerade dort, wo sich der Ventilator befand, der im Sommer, außer der Klimaanlage, für etwas Frischluftzufuhr sorgte. Doch gerade hatte ich diesen Riss registriert, als sich der Ventilator von der Decke löste und mit großem Getöse zu Boden krachte. Für einen Augenblick war ich wie gelähmt. Und in Schockstarre verfolgte ich seinen Fall und den Weg seiner drei Flügel. Sie brachen auseinander, bevor sie auf den Zimmerboden fielen, doch davor bohrte sich die scharfe Kante eines Flügels in meinen linken Oberarm. Entsetzt schrie ich auf. Der Ventilatorflügel lag blutbefleckt auf dem Boden. Aber auch aus meinem Arm quoll Blut. Den Blutstrom mit der linken Hand abdeckend, lief ich ins Schlafzimmer und fand an meinem Morgenrock einen Gürtel, der mir für den gedachten Zweck geeignet erschien. Mit ihm band ich den Arm oberhalb der Blutung ab.


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