KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Montag, 20. Juni 2022, 20:57
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826. Kolumne

826. Kolumne

Lieber Pirandello, die Ideale und das Leben – ja ... das ist so eine Sache mit den Idealen. Wenn man jung ist, sind die Ideale alles, denn man muss noch nicht nach ihnen leben, weil man nicht nach ihnen leben kann – es fehlt einfach das Geld, und es fehlt die gesellschaftliche Stellung, um Gutes zu bewirken, oder umgekehrt ... Ich lese gerade Flauberts L’Éducation sentimentale, die Geschichte eines jungen Mannes, eines Tunichtguts, er lebt in den Tag hinein, kann nichts und lernt nichts Gescheites ... dann erbt er und wirft das Geld mit beiden Händen aus dem Fenster, sucht den Rausch der Erlebnisse, Liebe und Luxus. Aber er weiß noch nicht wirklich, was Liebe ist ... Und er weiß noch nicht einmal, dass er ein Rohdiamant ist ... 
 
Signor Pirandello, so einer wie Flauberts Frédéric war ich auch einmal ... Ach, diese Geschichte wiederholt sich in jeder Generation: per aspera ad astra ... Ich schwanke hin und her – hier die lebenswichtigen Ideale, dort die raue Wirklichkeit. „Lass nicht zuviel uns an die Menschen glauben“, heißt es in Schillers Wallenstein. Damit will ich sagen: Was man theoretisch mit dem größten Recht fordert, etwa die Menschenrechte oder soziale Gerechtigkeit, lässt sich nur schwer und nur mit moralischen Verlusten praktisch umsetzen, denn die Menschen sind fast alle nicht so, wie man sie sich wünscht. 
 
Lieber Damonte, ja, es stimmt: „Leicht beieinander wohnen die Gedanken, doch hart im Raume stoßen sich die Sachen“, sagt Schillers Wallenstein. Das ist ohne Zweifel so, ich verstehe Ihre Bedenken. Aber haben Sie in Ihrer Jugend nie sozialistisch gedacht ...? 
Wir müssen die Ideale hochhalten. Wenn wir es nicht tun, sind wir passive, vom Leben abgeschliffene Seelen.
 
Lieber Pirandello, d’accord – und ich schwöre Ihnen Besserung: Meine Sammlung von ‚Selbstporträts‘ betrachte ich als abgeschlossen. Je suis condamné à être responsable. 
 

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