KLICKS UND CLIQUEN
Synthesen + Analysen in der Matrix
Eine Kolumne von Bergmann
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THESEN ZUR LITERATUR UND ZUR KRITIK DER LITERATUR
129. Kolumne
Erörterung zum Thema Literatur
1. mir ist bewusst, wie schwer oder gar unmöglich es ist literatur zu bewerten.
2. was mich stört: dass ausgerechnet die, die mindestens so 'arrogant' auftreten und sind wie ich, sich hier zu anwälten einer allzu beliebigen und in konsequenz schon resignativen literarischen freiheit aufspielen - und das auch noch im namen des volkes! das schlägt dem fass den boden aus.
3. es ist nicht gut, in falscher vorwärtsverteidigung alles gleich gelten zu lassen und zu sagen: schau, so ist die welt, ist doch egal, jeder schreibt wie er will und wir finden das toll - da siehst du den ganzen irrrtum einer in den grundschulen begonnenen beschwichtigungs- und lobhudelei-pädagogik, die weit weg ist von beuys' prinzip "jeder ist ein künstler"! beuys wollte die kunst aus dem gesamten volk entfalten in der weise, dass auch politik und das handeln jedes einzelnen kunst wird, also kreativ und selbstbestimmt.
4. es ist eine unart geworden, jeden für arrogant zu halten (also auch mich), der in wirklichkeit sich nicht über andere erheben will um sich selbst anzuhimmeln (aber genau diese denkweise ist den jüngeren generationen anerzogen worden, und sozialer neid mag hier oft eine rolle gespielt haben). sondern: mein plädoyer für eine anspruchsvolle ist eine ermunterung für den fortschritt - dass das manchem weh tut, ist nun mal nicht zu verhindern.
und dass ein solches denken frei sein könnte von niederen motiven, dass es idealistisch sein könnte, ja das will so leicht keinem mehr in den kopf. und warum: weil idealistische haltungen, falls es nicht um erdbebenopfer geht, als egomanische fehlleistung verdächtigt wird. wir müssen weg von der undurchdachten verdächtigungshaltung: wenn einer einen vorschlag macht oder etwas kritisiert - dann ist der arrogant. ich zitiere jetzt auch einmal gotthold ephraim lessing (sinngemäß): wem die suppe nicht schmeckt, der darf die köche kritisieren und muss die suppe nicht besser kochen können.
5. wenn ich also sage, die fickistische suppe schmeckt mir nicht, dann bin ich nicht arrogant. und wenn die köche mit den hohen hüten im namen des volkes und im namen der absoluten rezeptfreiheit aufschreien, sinds die falschen. ich werfe denen vor, dass sie das so bewunderte volk ihren selbstgemachten drogen überlassen und sich ganz schön elitär einigeln in ihre eigene aufgeklärtheit.
6. ich denke: es lohnt sich ÜBERALL gegen schwächen anzugehen.
7. Einige offenbar jüngere Leute meinen offenkundig, (meine) Kritik wolle verbieten. Sie können Kritik nicht vertragen, sie assoziieren, weil der Gaul in ihnen durchgeht, die falschen Begriffe mit Kritik. Sie geben so ihrer animalischen Intuition ein zu großes Mitspracherecht. Diese Art der Abwehr von Kritik ist schlecht geleistete Verdrängungsarbeit. Es ist der falsche Umgang mit dem Über-Ich, dem sie in mir halluzinatorisch gegenüberstehen.
8. Ich vertrete nicht irgendeine moralische Instanz, sondern den Standpunkt der Kunst, und das bedeutet einen geradezu grattänzerischen Balanceakt zwischen der absoluten Freiheit, den künstlerische Arbeit will und braucht, und Gestaltungsprinzipien und Formen, die sich im dialektischen Gegenüber mit den Gegenständen der Kunst, also dem gesamten erfahrbaren Leben und Denken wandeln, was die Sache erschwert. Es ist manchmal der Kampf zwischen dem Es und dem Über-Ich, der durch ein geschickt vermittelndes Ich zugunsten des Es geführt wird, zugunsten einer höheren Sinnlichkeit, einem durch Sinnlichkeit geläuterten Über-Ich.
Ein solcher Kampf -findet eben in vielen Ficktexten nicht statt (und in vielen Non-Fick-Texten auch nicht), ein solches ernstes Spiel oder Kampfspiel ist nicht zu 'gewinnen', wenn ich den Gaul in mir immer wieder durchbrennen lasse...
9. Zur provozierend gemeinten Aussage in Frageform: Die Kritiker der schwachen Fick-Texte mögen keinen Sex, sage ich: Gerade weil sie besseren Sex mögen, mögen sie solche Texte nicht!
10. Zur Frage, ob Sex (oder Sport...) überhaupt literarisch adäquat als Hauptthema eines Textes behandelt werden kann:
NEIN - wenn die Sexualität vordergründig, also voyeuristisch dargestellt ist, egal in welchen Formulierungen, in Alltagssprache oder in Bildern. Gute literarische Texte sind keine Wichsvorlagen!
JA - wenn sie mit einem anderen Thema verwoben sind. Dann kann Sexualität höchst wirksam auch in ihrer Äußerlichkeit dargestellt werden; berühmtes Beispiel ist LOLITA von Nabokov (nicht aber Bukowski, der wehtuend überschätzt wird von einer Generation, die ihre pubertäre Haltung bis ins Greisenalter rühmen will) - Nabokov schildert, unter anderem, wie ein Mann dem Kindweibschema verfällt und sich selbst zerstört. Die femme fatal aber lag in ihm selbst. Wie weit die Ficktexte und die erotischen Texte bei KV von Henry Miller und de Sade (der mehr ein Philosoph ist) entfernt sind, müsste denen klar sein, die sich auf solche Autoren berufen; inwieweit sie epigonale Abziehbildchen à la Bukowski verteidigen, auch.
11. Schwache Ficktexte kritisieren, heißt nicht, auf die Kritik anderer schwacher Texte verzichten wollen! Die Kritik begann aber wirkungsvoller an dem einen Ende und kann ja fortschreiten, wenn man will. Vermutlich gelten ähnliche Gründe für die genannten Schwächen:
- Überbetonung selbsttherapeutischer Motive (persönliche Wunden, bittere Erfahrungen etc.)
- narzisstische Sehnsüchte (Verlangen nach Anerkennung, Lob...)
Ich betone: Solche Motive müssen sich in der erwähnten Balance befinden, die ich oben darstellte. Sie sind den meisten Werken der ganzen Weltliteratur immanent - es kommt auf ihre Gestaltung an.
12. Spielt der Generationenkonflikt in der ästhetischen Wertung eine Rolle?
Ja, teils. Warum nicht. Ich empfinde die Reibungen oder Friktionen zwischen den Generationen seit meiner Jugend als sehr spannend und fruchtbar.
13. Im übrigen, was den Eindruck betrifft, man fühle sich nicht gern belehrt, so will ich sagen, das liegt nun mal in der Natur der Sache, in der Natur einer solchen Diskussion, und liegt auch daran, dass manche hier die Einseitigkeit ihrer Perspektive oder Vorurteile (mir gegenüber) nicht loswerden.
14. Zuletzt: ohne Anmaßung ist Kritik gar nicht möglich!
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Ich muss nicht schreiben und muss es doch. Ich liebe das Spiel, aber die Leidenschaft packt mich auch, ich kann es nicht immer steuern, ich kann nur die ästhetische Gestalt meiner Texte wirklich formen.
Die Literatur dient der Selbstfindung, das ist wohl im Wesentlichen so, abgesehen von der geistigen Unterhaltung, die sie auch bieten oder evozieren kann.
Da Selbstfindung nie aufhört, sondern ein immerwährender Prozess im Leben ist, bleibt Literatur immer wichtig. Ich habe keine Angst, dass ich die Literatur verliere, dieses schönste Spiel aller Spiele, in denen Ernst und Lust zusammenfließen wie in der Liebe, die auch nicht auskommt ohne den Geist.
Schreiben ist mehr als die Zeit ausfüllen - sonst wäre ja das ganze Leben nur ein Totschlagen der Zeit. Schreiben ist nicht nur monologisch, sondern auf Dialog hin angelegt. Schreiben für die Schublade geht nicht lange gut, dann stirbt es.
Schreiben ist Selbsterhaltung, ich sage sogar: Selbsterschaffung - im Dialog mit der Welt.
Schreiben kämpft gegen Desillusionierung, ist selbst dann Vision und Erschaffungsversuch, Korrekturwille in einer Welt, die uns nicht gemäß ist - die uns aber im Schreiben gemäßer werden kann, nicht aber nur als Religion, als Trost- und Rechtfertigungsgrund, sondern auch als eine Waffe (unter anderen) für ein sinnvolleres Leben.
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Eine rein sachliche Diskussion ist eine Fiktion - überall. Sie wäre noch nicht einmal wünschenswert.
Eine Diskussion lebt eben in der thematischen Auseinandersetzung auch von und mit der Person, die bestimmte Anschauungen vertritt - es ist letztlich immer eine Auseinandersetzung mit der Welt - und: es ist zutiefst eine Auseinandersetzung mit uns selbst!
Es ist wichtig, Konfliktfähigkeit zu entwickeln, dazu gehört auch manchmal das Hinnehmen und Aushalten eines persönlichen Angriffs, wenn er mit der Sache zu tun hat, in die der Angegriffene verstrickt ist.
Trotzdem gilt ein sehr beherzigenswerter Gedanke, den Ignatius von Loyola zu Beginn seiner "Geistlichen Übungen" als Fundament des Fundaments nennt:
"... dass jeder ... bereitwilliger sein muss, die Aussage des Nächsten zu retten, als sie zu verurteilen; und wenn er sie nicht retten kann, erkundige er sich, wie jener sie versteht, und versteht jener sie schlecht, so verbessere er ihn mit Liebe; und wenn das nicht genügt, suche er alle angebrachten Mittel, damit jener, indem er sie gut versteht, sich rette."
Ulrich Bergmann
Anmerkung: Dies sind meine von aller direkter Polemik befreiten Gedanken zur Literatur (leicht bearbeitet) aus unserer Forums-Diskussion:
ES MUSS UNS UM LITERATUR GEHEN
4. - 6.1.2006
Meine Anfangsthese lautete:
"In der letzten Zeit häuften sich die Texte, in denen es um Sexualität in der oberflächlichsten und dümmsten Weise ging, um Vierbuchstabenwörter und alberne Ideen in diesem Bereich. Die Beiträge fand ich unpassend für eine literarische Internet-Community. Ich schäme mich, dass ich mich einmal daran, wenn auch ironisch, beteiligte.) An der Spitze lag ein Gleitgel-Forum, an dem sich Leute beteiligten, die ungefähr doppelt so alt sind wie pubertierende Schüler. Das Niveau der ‚Scherze’ ist in solchen Texte deprimierend und verletzt nicht selten die Würde der Frau, aber auch Frauen mischten mit… Auf den einzelnen Literaturseiten einzelner Autoren, immer wieder derselben, stehen oft abgeschmackte ‚erotische’ Texte, die literarisch unterste Schublade sind.
Ich denke, auch die Threads sollten nicht so oft zu Hyde Parks der billigsten Unterhaltung verkommen. Dort wird sowieso zuviel geschwätzt.
Ich bin der Auffassung, dass wir alle und führende Vereins-Funktionäre ernsthafter unsere literarische Sache betreiben und viel mehr darauf achten, dass KV nicht zum Spielplatz alberner Unterhaltung verkommt. (Um Angriffen auf meine Person vorzubeugen: Ich bin ein ziemlich sinnenfroher Mensch, lebe heiter, aber ich habe das Vulgäre, auch wenn es in ‚intelligenter’ Form auftritt, immer abgelehnt, Menschlichkeit dagegen und Wärme, auch wenn sie sich sehr naiv gibt, nie verachtet. Ich stehe mit einigen ‚stilleren’ Autoren in Verbindung – ich weiß einige, die meiner Auffassung sind. Ich mach mich bei allen, die sich kritisch angesprochen fühlen, gern unbeliebt. Ich habe nichts zu verlieren, ich kann nur gewinnen.)"
Die Diskussion wurde teils heftig, polemisch und persönlich angriffslustig, aber auch sehr sachlich geführt und hatte insgesamt ein hohes Niveau, das so leich woanders nicht zu finden sein wird.
In der ersten Nacht der Diskussion schrieb Elén einen literarischen Kommentar zur Heftigkeit des Disputs, der nicht verloren gehen soll:
DU bist schlecht DU schreibst Schund DU hast keine Ahnung DU bist ein Nutznießer DU bist ein Nichts DU bist versaut DU bist verstockt DU bist beklopft DU bist verstaubt DU bist krank im Kopf DU hast Warzen an den Fingern DU bist versaut Du bist verklärt Du bist arrogant DU bist unfähig DU bist eine hirnrissige Blattlaus DU bist verknopft DU bist verzopft DU bist am Holzweg DU bist eine Kommunikationsbeleidigung DU bist ein Großmaul Du bist ein Wortwitz DU bist ein Silbenverdreher Du bist ein Kommerzgewäsch DU bist ein Universalversagen DU bist ein Pinguin am Haselstrauch DU bist eine Stinkmorchel DU bist ein Bloody-fucking-Unkrautschmerz Du bist eine arrogante Ribeselabstraktion DU bist ein Dez Du bist Steckschwammredner Du bist ein Heuschnupfen in meiner Nase deine Tränen sind Sauerampfergestrüpp DU bist ein armer Huflattich im Wald DU bist die notorische Phantasielosigkeit DU bist ein dummer Edelweißbursche DU machst mir Hornhautverkrümmung Du raubst mir die Zeit DU bist meine Schlaflosigkeit DU bist personifiziertes Pudarosagekrakel DU bist eine Fasserschmeichleressenz Der Berg ruft ich hab keine Ketten Es schneit und schneit, wo ich doch allergisch bin Ich kann Kein Weiß Ertragen Dunkelfilz und zur Hölle! Ich krieg die Krise die Rosen sind ausverkauft Die Wahrheit hängt am Gartenzaun Ich wünsch mir ein Essay über die Graugans in der Mikrowelle und: Ich bin schlecht DU bist schlecht Er schlecht Es schlecht Sie ist schlecht Wir sind schlecht Ich bin - ich bin für Kollektivschuld, dann sind wir hier früher fertig. ENDE: klingt wie Eden aber das ist eine optische Täuschung.
Where's my fucking pen?!