KLICKS UND CLIQUEN
Synthesen + Analysen in der Matrix
Eine Kolumne von Bergmann
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Terrorismus ist die Umsetzung des Willens mit allen Mitteln
266. Kolumne
Der Historiker Timothy Garton Ash postulierte in diesen Tagen, mit dem Fall der Mauer sei das letzte Jahrhundert zu Ende gegangen - erst mit dem Einsturz der beiden Türme des World Trade Center in Manhattan beginne das neue Jahrhundert. Ash meint eine neue Zeit mit einer neuen Art von Kriegen, und damit eine neue Weltpolitik mit einer neuen Machtverteilung.
Vielleicht erleben wir das Ende der letzten relativ stabilen Weltordnung seit 1815 und 1945, das Ende der Geschichte von Weltreichen. Die Zeit nach dem wahrscheinlich letzten Weltkrieg nationaler Mächte war eine Übergangszeit des Kalten Krieges mit Wettrüsten und kleineren Kriegen in Satellitenstaaten (Korea, Vietnam) der beiden Machtblöcke USA und Sowjetunion; nach dem Untergang des Ostblocks, der mit dem Fall der Berliner Mauer besiegelt war, wurden die USA alleinige Weltordnungsmacht, die vor allem die Interessen der reichen Industriestaaten (Westblock und einige Beitrittsländer) vertritt, und zwar die weltweite Geltung ihres Wirtschaftssystems (möglichst in demokratischen Verfassungen geregelter Kapitalismus) und Zugänglichkeit der Energiereserven in aller Welt, vor allem des Erdöls in der Golfregion.
Die fanatischen Terroristen, die zivile Flugzeuge mit unschuldigen Opfern zu Waffen machten und ihr Leben an ihre absolutistische Idee hingaben, wollen die bestehenden Machtverhältnisse mit allen Mitteln verändern. Der Begriff des totalen Krieges, der durch Hitlers Weltkrieg, in dessen Schatten Millionen von Menschen in Konzentrationslagern ermordet wurden, ausgereizt schien, wird nun noch weiter gefasst: Terrorismus, der durch Verwundung neuralgischer Punkte bisher vor allem im Innern eines Staates dessen herrschendes System verunsichern und schließlich stürzen wollte (RAF), überschreitet die nationalen Grenzen und Kategorien und wird zum totalen Terrorismus. Auch die Ideologie einer rassistischen Weltherrschaft war nicht das Ende extremer Vorstellungen - an die Stelle nationalistischer und rassistischer Ideen treten nun supranationale fanatische Märtyrer-Strategien; Religion heiligt deren Mittel und wird zugleich selbst funktionalisiert.
Dies alles hat Wurzeln: Gesellschaftspolitisch in der nationalsozialistischen Herrschaft, die strukturell ein innerstaatlicher Terrorismus von oben war, außenpolitisch mit der totalitaristischen Bedrohung der Welt, die strukturell ein nationaler Terrorismus nach außen war.
Wir müssen uns fragen, ob auch die Zerstörung deutscher Städte durch angloamerikanische Bombenangriffe und der Abwurf von Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki als unverhältnismäßige Maßnahmen zur Abschreckung und Demoralisierung der feindlichen Bevölkerung in ihrer Struktur terroristisch wirkten und vorbildlich für den aktuellen Terrorismus wurden.
Nach Clausewitz galt und gilt nach wie vor: „Krieg ist die Fortsetzung der Politik unter Einmischung anderer Mittel.“ Aller Mittel! Zu diesen Mitteln gehörten immer schon, wenn auch untergeordnet, ihrer Struktur nach terroristische Taktiken (psychologische Kriegsführung, abschreckende Hinrichtungen, Vergeltungsschläge), die nun, totalistisch gedacht, mindestens solange als Strategie dienen, bis der terroristische Krieg gewonnen ist.
Wir sind Zeugen der Privatisierung des Terrors, der Totalisierung seiner unberechenbaren Mittel. Im Schutz zumindest anfänglicher Anonymität entsteht der totale Terrorismus. Es ist die Verabsolutierung eines unbändigen Willens und Hasses, der willkürlich rational und irrational sein kann. Wir müssen alle Ursachen des totalen Terrorismus suchen, auch die Ursachen und Motive, die uns in Frage stellen.
Wollen wir den totalen Terror?
Die USA, die mit ihr verbündeten NATO-Länder, Japan und die ehemaligen Ostblockstaaten können das von ihnen derzeit noch bestimmte Gleichgewicht der Mächte in der Welt nur sichern, wenn sie nicht nur intelligente antiterroristische Techniken entwickeln - sie werden gegen die Übermacht amoralischer Phantasie nicht ausreichen -, sondern auch ihre derzeitige Außenpolitik gegenüber den islamischen Staaten und allen Staaten der dritten Welt revidieren, ganz abgesehen von dem Problem der aufstrebenden Weltgroßmächte China und Indien. Nur die Prinzipien der Gleichberechtigung und der Beseitigung der extremen sozialen Unterschiede können den derzeit entstehenden globalen Terrorismus beseitigen - wir benötigen ein langfristiges strukturpolitisches Konzept für die Schaffung einer Weltgemeinschaft der Staaten, Blöcke und Kulturen.
Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag
wer soll denn aus solchen hingedonnerten kommentaren was gescheites lernen ...
Kann gar nicht oft genug gesagt werden!
Den besten Beweis dafür, sieht man auch vom Weltall aus. Hoffentlich sehen die das als Erstes.
Ja, Herr Bergmann! Aber die Frage daher: WIE lassen sich extreme soziale Unterschiede, wie lässt sich Ungerechtigkeit in der Welt beseitigen?
Aber jetzt wird es leider tricky. Weil es nicht genügt, wenn hier relativ abstrakt von einem "strukturpolitische[n] Konzept für die Schaffung einer Weltgemeinschaft der Staaten, Blöcke und Kulturen" die Rede ist. Darüber hinaus muss über Möglichkeit - oder Unmöglichkeit - der Umsetzung der Idee, des Konzepts nachgedacht werden, d.h. über die Umsetzung des Willens zu einer 'besseren Welt'. Sind hierfür alle Mittel erlaubt? Achtung, weil, was ich eigentlich frage ist: Ist Terrorismus erlaubt (Terrorismus als Umsetzung des Willens mit allen Mitteln)?!
Ist emanzipatorische Gewalt zu befürworten?
Halten wir (nach Lektüre Deiner Kolumne) fest: Terrorismus, wie Du den Begriff gebrauchst, ist Antwort auf den Zustand der (kapitalistischen) Weltordnung, Antwort auf Ungerechtigkeit, auf Unterdrückung. Antwort letztlich also, und diesen Gedanken hätte ich gerne unterstrichen, auf die systemische Gewalt, die gerade das Phänomen Terrorismus hervorbringt.
Man sollte deshalb extrem vorsichtig sein, denn wenn man den Terrorismus (was ist das, DER Terrorismus?) ablehnt, von Beginn weg als 'böse' brandmarkt, hat man unversehens bereits eine ideologische Operation vollzogen. Wichtiger wäre es, die Perspektive zu wechseln, die fundamentalen Formen der gesellschaftlichen Gewalt, des systemischen, des kapitalistischen Terrors, sichtbar zu machen. Und von hier aus zu fragen, welche Mittel denn erlaubt sind, um DIESEN Terrorismus zu bekämpfen. Das aber ist eine Frage, vor der wir zurückschrecken. Zu recht: Nicht zuletzt unser Zögern ist es, was uns human macht.
I.
besten Dank für deine kritische Stellungnahme.
Mein Bedenken: Eine vollkommen ideologiefreie Haltung ist eine Chimäre und auch gar nicht notwendig, wenn das Wichtigste klar ist: Das moralische Fundament einer Haltung. Darum ging es mir. Das WIE der Umsetzung ist wahrscheinlich so komplex und utopisch wie die Einigung auf einen moralischen Nenner.
Herzlichst: Uli