KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Samstag, 29. November 2014, 00:56
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Traum vom Sattel

433. Kolumne

Franz Kafka. Amtliche Schriften. Herausgegeben von Klaus Hermsdorf unter Mitwirkung von Winfried Poßner und Jaromir Louzil. Mit einem Essay von Klaus Hermsdorf. Akademie-Verlag Berlin 1984.
Ich fand das selten gute Buch vor wenigen Jahren auf dem Flohmarkt für eine Mark. Der 80 Seiten lange Essay von Klaus Hermsdorf zeigt die Verwobenheit von Brotberuf und Schriftstellertum bis hinein in inhaltliche Zusammenhänge. Ohne Kafkas teils juristische, teils allgemein bürokratische Versicherungstätigkeit wäre z. B. sein Roman „Der Prozess“ so nicht entstanden. Am interessantesten bleibt für mich aber der Aspekt, dass Kafka trotz seiner Ahnungen und trotz der Zustimmung kompetenter Leser (Max Brod, Verleger Wolf) keine wirklich letzte Sicherheit gewann: Ob sein Werk absolute literarische Qualität besaß. In der Tat sind die Werke der letzten Lebensjahre deutlich schwächer, weniger geprägt von originären Einfällen, vielleicht Übergang zu einer neuen Phase, die er nicht mehr erlebte. Kafka hat nur für seine literarische Kunst gelebt, wie einer, der gegen das Leben, wie es ist, gelebt hat. Das erinnert mich an Kleist, an Lenz, an Hölderlin. Ich muss auch an Sie denken. Die allgemeine Gewissheit von der Überlebenskraft seiner Werke, die z. B. Goethe hatte, hatten diese Dichter nicht, vermutlich auch Sie nicht. Auch Kafkas Werk war noch gar nicht richtig in die Welt hineingeboren.
Mit solchen Gedanken durchlitt ich meine Zeit als Kranker. Ich las einige Stellen und Kapitel im „Prozess“ noch einmal, und etliche mit dem Roman zusammenhängende andere Prosa Kafkas. Es wurde immer dunkler in mir. Ich hatte einige Alpträume. Ich behielt aber nur einen, den ich Ihnen hier als grobes Gedächtnisprotokoll mitgebe. Dazu das Rohmaterial aus Ihren Briefen - vielleicht verwebe ich diese suizidalen Geschichten mit meinen Schönebeck-Erinnerungen; sie werden Teil des „Fast Food“-Komplexes.

Harakiri-Traum 7.3.2002:
Drei, darunter eine Frau, in gemeinsamer Formation / Choreographie, legen sich auf dem Boden in einem hellen Raum, auf einer Seite Zuschauer, darunter ich, Fahrradsättel zurecht, das Rohr nach oben. Es ist fest im Boden verankert. Das Rohr wird messerscharf geschliffen und glänzt. Die drei gehen über dem Sattelrohr in den Handstand und stellen den Körper denkrecht über das Rohr. Das Gesicht schaut in die Menge. Dann knicken die Arme aller drei gleichzeitig ein, die Köpfe rammen ins Rohr, das Knirschen der Knochen, der Luft und der Hirne: Ein kurzes Zisch- und Brechgeräusch, die Körper stehen starr, im Kopf aufgespießt, die Augen geöffnet, die Münder geschlossen. So bleiben sie. Langsam vergeht das Bild der drei (‚Gekreuzigten’), die junge Frau in der Mitte.

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Dieter_Rotmund (28.11.14)
Radfahrer wissen: Fahrradsattel und das darunter montierte Sattelrohr bilden keine unzertrennliche Einheit. Ganz im Gegenteil: Während das Sattelrohr meist nie ausgewechselt werden muss, verschleißt der felissige Radfahrer schon den ein oder anderen Sattel. Folglich ist es in der Traumerzählung etwas verwirrend, wenn zunächst nur vom Sattel gesprochen wird.
Dies nur am Rande.

In der FAZ wurde die neue, dreibändige Kafka-Biographie ausführlich besprochen. Dass es auch verborgene Schätze aus dem Jahr 1984 gibt, ist ein guter Hinweis.

P.S.: "Ich muss auch an Sie denken"? Sollte das "S" nicht klein sein?

 Bergmann (29.11.14)
Dank für Korrektur! (Es gibt noch eine ausformulierte Fassung dieses Textes.)
Sie muss groß bleiben, ich siezte damals den Empfänger dieser Zeilen.

 EkkehartMittelberg (02.12.14)
Lieber Uli,

Kafka hatte bestimmt Skrupel wegen der literarischen Qualität seines Werks. Aber strebte er tatsächlich nach "absoluter" literarischer Qualität?
Wenn das so ist, hätte ich seine Klugheit überschätzt.

 Bergmann (02.12.14)
Ich glaube anhand seiner Äußerungen, dass K. ganz unsicher war, was seine Texte wert waren. Angst, dass der Ich-Anteil zu groß, zu deutlich wird; Angst vor der Tauglichkeit der oft so grotesken Bilder ...
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