Gerhardt, Volker (Hg.); Kant, Immanuel:
„Man merkt leicht, dass auch kluge Leute bisweilen faseln“
Kant zum Vergnügen
Eine Rezension von JoBo72
Dass Volker Gerhardt, Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin, einigen Humor hat, bewies er schon im Mai 2002, als er US-Präsident Georg W. Bush in einem Zeitungsartikel „Dumpfbacke aus Texas“ nannte. Dass er aber selbst seinen – so scheint’s zumindest – „Lieblingsphilosophen“ Immanuel Kant zum Gegenstand des Vergnügens macht – auch noch mit dessen eigenen Worten –, erbringt wirklich den Nachweis, dass Philosophen nicht immer als staubtrockene Gelehrte in Erscheinung treten müssen und dass Philosophie (selbst die kantische!) ein gehöriges Maß an Unterhaltungswert hat.
Dabei geht es Gerhardt nicht nur um den Spaß am lustigen Zitat. Der Autor verfolgt ein durchaus „ernstes“ Anliegen, nämlich zu zeigen, dass Kant es verstanden hat, der Philosophie „den Charakter des Menschlichen zu bewahren“ (S. 7), was für die Einsicht in das kantische Denken zentral ist, denn: „Selbst in den größten Abstraktionen der Transzendentalphilosophie bleibt die leitende Frage nach dem Selbstverständnis des Menschen lebendig.“ (S. 7). Das führt dazu, dass Kant zum Vergnügen „keiner literarischen Verfremdung [bedarf]“ (S. 7).
Selbstverständlich lässt Gerhardt den großen Königsberger ausführlich über das Verhältnis der Geschlechter und über die Rolle der Frau nachdenken. Die kantischen Gender-Studies führen u. a. zu Bemerkungen wie: „Die Tugend des Frauenzimmers ist eine schöne Tugend. Die des männlichen Geschlechts soll eine edle Tugend sein. Sie werden das Böse vermeiden, nicht weil es ungerecht sondern weil es häßlich ist, und tugendhafte Handlungen bedeuten bei ihnen solche, die sittlich schön sein. Nichts von Sollen, nichts von Müssen, nichts von Schuldigkeit. Das Frauenzimmer ist aller Befehle und alles mürrischen Zwangs unleidlich. Sie tun etwas nur darum, weil er ihnen so beliebt, und die Kunst besteht darin, zu machen, daß ihnen nur dasjenige beliebe was gut ist. Ich glaube schwerlich, daß das schöne Geschlecht der Grundsätze fähig sei [...]“ (S. 21, zit. aus: Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen). Ein Schelm, der hier den Care-Ansatz der „weiblichen Moral“ nach Carol Gilligan angelegt sehen will!
Das umfangreichste Kapitel widmet Gerhardt der „Nationenkunde“ in Kants Schrift Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen, in der der Philosoph, der Königsberg nie verlassen hat, die Mentalität der Anderen in glasklaren Worten erläutert: „Der Engländer ist im Anfange einer jeden Bekanntschaft kaltsinnig, und gegen einen Fremden gleichgültig. Er hat wenig Neigung zu kleinen Gefälligkeiten; dagegen wird er, so bald er ein Freund ist, zu großen Dienstleistungen auferlegt.“ (S. 52 f.), „Der Holländer ist von einer ordentlichen und emsigen Gemütsart, und, indem er lediglich auf das Nützliche sieht, so hat er wenig Gefühl vor dasjenige, was im feineren Verstande schön oder erhaben ist. Ein großer Mann bedeutet bei ihm ebenso viel als ein reicher Mann, unter dem Freunde versteht er seinen Korrespondenten, und ein Besuch ist ihm sehr langweilig, der ihm nichts einbringt.“ (S. 54), „Der Franzose hat ein herrschendes Gefühl vor das moralische Schöne. Er ist artig, höflich und gefällig. [...] Der Gegenstand, auf welchen sich die Verdienste und Nationalfähigkeiten dieses Volkes am meisten beziehen, ist das Frauenzimmer. Nicht, als wenn es hier mehr als anderwärts geliebt oder geschätzet würde, sondern weil es die beste Veranlassung gibt, die beliebteste Talente des Witzes, der Artigkeit und der guten Manieren in ihrem Lichte zu zeigen.“ (S. 50 f.), „Der Spanier ist ernsthaft, verschwiegen und wahrhaft. [...] Er hat eine stolze Seele und mehr Gefühl vor große als vor schöne Handlungen. Da in seiner Mischung wenig von den gütigen und sanften Wohlwollen anzutreffen ist, so ist er öfter hart und auch wohl grausam.“ (S. 49). Doch für den Einkaufsbummel durch Madrid gibt Kant Entwarnung: „Es gibt wenig redlichere Kaufleute in der Welt als die spanischen.“ (S. 49). Schließlich merke man sich zur eigenen Nation: „Der Deutsche hat ein gemischtes Gefühl aus dem eines Engländers und dem eines Franzosen, scheint aber dem ersteren am nächsten zu kommen, und die größere Ähnlichkeit mit dem letzteren ist nur gekünstelt und nachgeahmt. Er hat eine glückliche Mischung in dem Gefühle so wohl des Erhabenen und des Schönen; und wenn er in dem ersteren es nicht einem Engländer, im zweiten aber dem Franzosen nicht gleich tut, so übertrifft er sie beide, insofern er sie verbindet.“ (S. 53).Nicht unbedingt zeitgemäß scheint hingegen folgende Charakterisierung der Perser: „Sie sind gute Dichter, höflich [sic!] und von ziemlich feinem Geschmacke [sic!]. Sie sind nicht so strenge Befolger des Islam [sic!] und erlauben ihrer zur Lustigkeit [sic!] aufgelegten Gemütsart eine ziemlich milde Auslegung des Koran [sic!].“ (S. 56). Aber vielleicht sollte man einfach nicht in Kants Generalfehler Generalisierung verfallen. Wir denken ja auch nicht alle wie Merkel oder Köhler.
Ob nun Kants Beitrag zur Geschlechterforschung nebst Einlassungen zur Ehe („In dem ehelichen Leben soll das vereinigte Paar gleichsam eine einzige moralische Person ausmachen, welche durch den Verstand des Mannes und den Geschmack der Frauen belebt und regiert wird.“, S. 44) oder seine Charakterstudien europäischer und außereuropäischer Völker, „vergnüglich“ ist ein bisweilen schwer verdauliches Prädikat für das, was er ja durchaus ernst meinte, insbesondere dann, wenn es so klingt: „[Sie] haben von der Natur kein Gefühl, welches über das Läppische stiege. [...] nicht ein einziger [ist] jemals gefunden worden, der entweder in Kunst oder Wissenschaft, oder irgend einer anderen rühmlichen Eigenschaft etwas Großes vorgestellt [hat].“ (S. 57 f., Immanuel Kant über die „Negers von Afrika“). Si tacuisses...! Doch so bleibt Kant auch in seiner rassistischen Hetze lehrreich: Klugheit schützt nicht vor Dummheiten.
Schließlich wird Kant selbst durch den Kakao gezogen. Das ist nur fair, denn wer austeilt, muss auch einstecken können. So kann man im letzten Kapitel noch mal nachlesen, was man schon ahnte: „Er war kein großer Verehrer des weiblichen Geschlechts, behauptete auch, daß sie nirgends, als in ihrem Hause, durch häusliche Tugenden, Achtung verdienten.“ (S. 142, Christoph Friedrich Heilsberg). Heilsberg kommt zu dem Schluss: „Loben mag ich meinen Freund nicht, er war aber ein ausserordentlicher über alles Lob erhabener Mann.“ (S. 143). Und sollten Sie eine Party organisieren, nehmen Sie sich bitte folgendes zu Herzen: „Kant verfiel gegen das Ende seines Lebens in die sonderbare Gewohnheit laut zu sprechen, ob er gleich das, was er sagte, nur zu denken wähnte. So sagte er einst vor seinen Gästen, deren er immer einige um sich hatte und die diesen Tag vielleicht nicht aufheiternd genug für ihn gestimmt sein mochten, so als ob er sie nicht bemerkte: ,Gott! Was hab’ ich heut für eine abscheulich langweilige Gesellschaft!’“ (S. 148) Der Übermittler des Zitats zieht es vor, anonym zu bleiben.
Dabei geht es Gerhardt nicht nur um den Spaß am lustigen Zitat. Der Autor verfolgt ein durchaus „ernstes“ Anliegen, nämlich zu zeigen, dass Kant es verstanden hat, der Philosophie „den Charakter des Menschlichen zu bewahren“ (S. 7), was für die Einsicht in das kantische Denken zentral ist, denn: „Selbst in den größten Abstraktionen der Transzendentalphilosophie bleibt die leitende Frage nach dem Selbstverständnis des Menschen lebendig.“ (S. 7). Das führt dazu, dass Kant zum Vergnügen „keiner literarischen Verfremdung [bedarf]“ (S. 7).
Selbstverständlich lässt Gerhardt den großen Königsberger ausführlich über das Verhältnis der Geschlechter und über die Rolle der Frau nachdenken. Die kantischen Gender-Studies führen u. a. zu Bemerkungen wie: „Die Tugend des Frauenzimmers ist eine schöne Tugend. Die des männlichen Geschlechts soll eine edle Tugend sein. Sie werden das Böse vermeiden, nicht weil es ungerecht sondern weil es häßlich ist, und tugendhafte Handlungen bedeuten bei ihnen solche, die sittlich schön sein. Nichts von Sollen, nichts von Müssen, nichts von Schuldigkeit. Das Frauenzimmer ist aller Befehle und alles mürrischen Zwangs unleidlich. Sie tun etwas nur darum, weil er ihnen so beliebt, und die Kunst besteht darin, zu machen, daß ihnen nur dasjenige beliebe was gut ist. Ich glaube schwerlich, daß das schöne Geschlecht der Grundsätze fähig sei [...]“ (S. 21, zit. aus: Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen). Ein Schelm, der hier den Care-Ansatz der „weiblichen Moral“ nach Carol Gilligan angelegt sehen will!
Das umfangreichste Kapitel widmet Gerhardt der „Nationenkunde“ in Kants Schrift Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen, in der der Philosoph, der Königsberg nie verlassen hat, die Mentalität der Anderen in glasklaren Worten erläutert: „Der Engländer ist im Anfange einer jeden Bekanntschaft kaltsinnig, und gegen einen Fremden gleichgültig. Er hat wenig Neigung zu kleinen Gefälligkeiten; dagegen wird er, so bald er ein Freund ist, zu großen Dienstleistungen auferlegt.“ (S. 52 f.), „Der Holländer ist von einer ordentlichen und emsigen Gemütsart, und, indem er lediglich auf das Nützliche sieht, so hat er wenig Gefühl vor dasjenige, was im feineren Verstande schön oder erhaben ist. Ein großer Mann bedeutet bei ihm ebenso viel als ein reicher Mann, unter dem Freunde versteht er seinen Korrespondenten, und ein Besuch ist ihm sehr langweilig, der ihm nichts einbringt.“ (S. 54), „Der Franzose hat ein herrschendes Gefühl vor das moralische Schöne. Er ist artig, höflich und gefällig. [...] Der Gegenstand, auf welchen sich die Verdienste und Nationalfähigkeiten dieses Volkes am meisten beziehen, ist das Frauenzimmer. Nicht, als wenn es hier mehr als anderwärts geliebt oder geschätzet würde, sondern weil es die beste Veranlassung gibt, die beliebteste Talente des Witzes, der Artigkeit und der guten Manieren in ihrem Lichte zu zeigen.“ (S. 50 f.), „Der Spanier ist ernsthaft, verschwiegen und wahrhaft. [...] Er hat eine stolze Seele und mehr Gefühl vor große als vor schöne Handlungen. Da in seiner Mischung wenig von den gütigen und sanften Wohlwollen anzutreffen ist, so ist er öfter hart und auch wohl grausam.“ (S. 49). Doch für den Einkaufsbummel durch Madrid gibt Kant Entwarnung: „Es gibt wenig redlichere Kaufleute in der Welt als die spanischen.“ (S. 49). Schließlich merke man sich zur eigenen Nation: „Der Deutsche hat ein gemischtes Gefühl aus dem eines Engländers und dem eines Franzosen, scheint aber dem ersteren am nächsten zu kommen, und die größere Ähnlichkeit mit dem letzteren ist nur gekünstelt und nachgeahmt. Er hat eine glückliche Mischung in dem Gefühle so wohl des Erhabenen und des Schönen; und wenn er in dem ersteren es nicht einem Engländer, im zweiten aber dem Franzosen nicht gleich tut, so übertrifft er sie beide, insofern er sie verbindet.“ (S. 53).Nicht unbedingt zeitgemäß scheint hingegen folgende Charakterisierung der Perser: „Sie sind gute Dichter, höflich [sic!] und von ziemlich feinem Geschmacke [sic!]. Sie sind nicht so strenge Befolger des Islam [sic!] und erlauben ihrer zur Lustigkeit [sic!] aufgelegten Gemütsart eine ziemlich milde Auslegung des Koran [sic!].“ (S. 56). Aber vielleicht sollte man einfach nicht in Kants Generalfehler Generalisierung verfallen. Wir denken ja auch nicht alle wie Merkel oder Köhler.
Ob nun Kants Beitrag zur Geschlechterforschung nebst Einlassungen zur Ehe („In dem ehelichen Leben soll das vereinigte Paar gleichsam eine einzige moralische Person ausmachen, welche durch den Verstand des Mannes und den Geschmack der Frauen belebt und regiert wird.“, S. 44) oder seine Charakterstudien europäischer und außereuropäischer Völker, „vergnüglich“ ist ein bisweilen schwer verdauliches Prädikat für das, was er ja durchaus ernst meinte, insbesondere dann, wenn es so klingt: „[Sie] haben von der Natur kein Gefühl, welches über das Läppische stiege. [...] nicht ein einziger [ist] jemals gefunden worden, der entweder in Kunst oder Wissenschaft, oder irgend einer anderen rühmlichen Eigenschaft etwas Großes vorgestellt [hat].“ (S. 57 f., Immanuel Kant über die „Negers von Afrika“). Si tacuisses...! Doch so bleibt Kant auch in seiner rassistischen Hetze lehrreich: Klugheit schützt nicht vor Dummheiten.
Schließlich wird Kant selbst durch den Kakao gezogen. Das ist nur fair, denn wer austeilt, muss auch einstecken können. So kann man im letzten Kapitel noch mal nachlesen, was man schon ahnte: „Er war kein großer Verehrer des weiblichen Geschlechts, behauptete auch, daß sie nirgends, als in ihrem Hause, durch häusliche Tugenden, Achtung verdienten.“ (S. 142, Christoph Friedrich Heilsberg). Heilsberg kommt zu dem Schluss: „Loben mag ich meinen Freund nicht, er war aber ein ausserordentlicher über alles Lob erhabener Mann.“ (S. 143). Und sollten Sie eine Party organisieren, nehmen Sie sich bitte folgendes zu Herzen: „Kant verfiel gegen das Ende seines Lebens in die sonderbare Gewohnheit laut zu sprechen, ob er gleich das, was er sagte, nur zu denken wähnte. So sagte er einst vor seinen Gästen, deren er immer einige um sich hatte und die diesen Tag vielleicht nicht aufheiternd genug für ihn gestimmt sein mochten, so als ob er sie nicht bemerkte: ,Gott! Was hab’ ich heut für eine abscheulich langweilige Gesellschaft!’“ (S. 148) Der Übermittler des Zitats zieht es vor, anonym zu bleiben.
Zurück zur Liste der Rezensionen von JoBo72 , zur Autorenseite von JoBo72, zur Liste aller Buchbesprechungen