Ulrich Friedrich Opfermann:
"Stets korrekt und human"
Der Umgang der westdeutschen Justiz mit dem NS-Völkermord an den Sinti und Roma
Eine Rezension von Quoth
„Und diesem System des organisierten Rassismus hat mein Vater gedient“ – ging es mir immer wieder durch den Kopf, als ich in diesem Buch las. Der Autor hat ihm einen Text von Brecht vorangestellt:
So endet die Geschichte einer Reise,
Ihr habt gehört und ihr habt gesehen.
Ihr saht das Übliche, das immerfort Vorkommende.
Wir bitten euch aber:
Was nicht fremd ist, findet befremdlich!
Was gewöhnlich ist, findet unerklärlich!
Was da üblich ist, das soll euch erstaunen.
Was die Regel ist, das erkennt als Missbrauch
Und wo ihr den Missbrauch erkannt habt,
Da schafft Abhilfe!
Das Buch lässt mich verstört zurück; denn es konfrontiert mich nicht nur mit dem rassistischen Unrecht an den Sinti und Roma in der Nazizeit, sondern auch mit der Unfähigkeit und dem Widerwillen, mit dem die Justiz der 50er und 60er Jahre sich nahezu weigert, es rechtlich aufzuarbeiten. Tausende Sinti und Roma sind von deutschen Behörden sterilisiert und ins „Zigeunerlager“ Auschwitz deportiert worden, aber zu seiner/ihrer Verantwortung bekannt hat sich niemand, ja, über Eva Justin, eine der Hauptverantwortlichen, wurde im Sammelverfahren zum „Zigeunerkomplex“ (1958-1970) von Zeugen gesagt, sie sei ein „sehr gebildetes, charakterlich einwandfreies Fräulein“ gewesen, das „von diesen andersartigen Menschen“ „mit großer Liebe“ gesprochen habe. Sie sei „wegen ihrer Zigeunerliebe“ geradezu belächelt worden. Sie habe sich „stets korrekt und human“ verhalten. Dass auch Eichmann ein gebildeter und charakterlich einwandfreier Beamter war, wissen wir, Hannah Arendt hat uns gelehrt, dass das Böse nicht die Zähne fletschen muss, sondern ganz banal, brav und angepasst auftreten kann, und so dürfte es überwiegend aufgetreten sein seitens der Rassenhygienischen und bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle (RHF), die zum Reichsgesundheitsamt gehörte und von Robert Ritter und seiner Stellvertreterin Eva Justin geleitet wurde. Beide setzten ihre Karrieren nach dem Krieg in Frankfurt fort, „reinigten“ dafür ihre Lebensläufe, die auf Fritz Bauers Initiative eingeleiteten Ermittlungen gegen Eva Justin wurden eingestellt, weil die Sterilisationen verjährt waren und die Kenntnis der mörderischen Folgen ihrer Deportationsverfügungen ihr nicht nachgewiesen werden konnten.
Um das Zentrum des Sammelverfahrens herum hat Opfermann eine Fülle von Anläufen der Justiz zusammengetragen, das den Sinti und Roma angetane Unrecht zu sühnen, aber in sehr vielen Fällen wurde bereits das Vorverfahren eingestellt oder es kam zu Freisprüchen wegen Beweismangels, und viele zu Freiheitsstrafe Verurteilte wurden vorzeitig entlassen. Zugleich hat der Autor in Umrissen eine Mentalitätsgeschichte der verdrängerischen 50er Jahre versucht, in denen eine so halbbittere Komödie wie Staudtes „Rosen für den Staatsanwalt“ mit ihrem Hinweis auf die Nazivergangenheit des Protagonisten bereits eine Sensation war. Die romantische Konnotation von „Zigeunern“ mit Erotik, virtuoser Musik und Tanz ist uns allen vertraut und wird uns immer wieder durch Bühnenwerke wie „Carmen“ und „Der Zigeunerbaron“ eingeimpft, und umso grauenhafter ist es dann zu lesen, wie eine deutsche Vergeltungseinheit in ein russisches Dorf kommt, in dem mehreren Roma-Familien Kontakte zu Partisanen vorgeworfen wurden:
Bei minus 30 Grad Frost wurden sämtliche Roma halbbekleidet aus ihren Häusern getrieben und auf eine Brücke am Dorfeingang gestellt. Die Familien wurden gezwungen, vor den Augen des versammelten Dorfes zu tanzen, ehe sie aus drei Maschinengewehren erschossen wurden. Nach der Erschießung mussten die Dorfbewohnen die Leichen begraben. Ein zehnjähriger Junge, der bei der ‚Aktion‘ lediglich an der Hand verwundet worden war, versuchte vergeblich, mit Hilfe der Dorfbewohner zu fliehen. Er wurde gefangen und lebendig begraben.
Kann man der Forderung des Tacitus an den Historiker, sine ira et studio zu berichten, angesichts einer solchen Szene treu bleiben? Opfermann kommentiert: „Dass eine Mordaktion von den Tätern als groteskes Schauspiel mit Opfern in einer Art von Clownsrollen und mit Zuschauern wie bei einer öffentlichen Veranstaltung inszeniert wurde, begegnet in den Quellen zum deutschbesetzten Osten immer wieder. Die deutschen Täter pervertierten dabei Zigeunerbilder aus dem mitteleuropäischen romantischen Repertoire. Sie denunzierten ihre Opfer auf die brutalstmögliche Weise, bevor sie sie umbrachten. Sie zeigten sich in solchen Situationen eher als Lust-, denn als Hassmörder.“
Kann man da Carmen ohne Erschauern noch singen hören:
Die Liebe von Zigeunern stammt,
fragt nach Recht nicht, Gesetz und Macht.
Das Buch ist von Heidelberg University Publishing (Heiup) dauerhaft ins Netz gestellt worden.
Besonders passend heute am 2. August: Holocaust-Gedenktag für Sinti und Roma.
So endet die Geschichte einer Reise,
Ihr habt gehört und ihr habt gesehen.
Ihr saht das Übliche, das immerfort Vorkommende.
Wir bitten euch aber:
Was nicht fremd ist, findet befremdlich!
Was gewöhnlich ist, findet unerklärlich!
Was da üblich ist, das soll euch erstaunen.
Was die Regel ist, das erkennt als Missbrauch
Und wo ihr den Missbrauch erkannt habt,
Da schafft Abhilfe!
Das Buch lässt mich verstört zurück; denn es konfrontiert mich nicht nur mit dem rassistischen Unrecht an den Sinti und Roma in der Nazizeit, sondern auch mit der Unfähigkeit und dem Widerwillen, mit dem die Justiz der 50er und 60er Jahre sich nahezu weigert, es rechtlich aufzuarbeiten. Tausende Sinti und Roma sind von deutschen Behörden sterilisiert und ins „Zigeunerlager“ Auschwitz deportiert worden, aber zu seiner/ihrer Verantwortung bekannt hat sich niemand, ja, über Eva Justin, eine der Hauptverantwortlichen, wurde im Sammelverfahren zum „Zigeunerkomplex“ (1958-1970) von Zeugen gesagt, sie sei ein „sehr gebildetes, charakterlich einwandfreies Fräulein“ gewesen, das „von diesen andersartigen Menschen“ „mit großer Liebe“ gesprochen habe. Sie sei „wegen ihrer Zigeunerliebe“ geradezu belächelt worden. Sie habe sich „stets korrekt und human“ verhalten. Dass auch Eichmann ein gebildeter und charakterlich einwandfreier Beamter war, wissen wir, Hannah Arendt hat uns gelehrt, dass das Böse nicht die Zähne fletschen muss, sondern ganz banal, brav und angepasst auftreten kann, und so dürfte es überwiegend aufgetreten sein seitens der Rassenhygienischen und bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle (RHF), die zum Reichsgesundheitsamt gehörte und von Robert Ritter und seiner Stellvertreterin Eva Justin geleitet wurde. Beide setzten ihre Karrieren nach dem Krieg in Frankfurt fort, „reinigten“ dafür ihre Lebensläufe, die auf Fritz Bauers Initiative eingeleiteten Ermittlungen gegen Eva Justin wurden eingestellt, weil die Sterilisationen verjährt waren und die Kenntnis der mörderischen Folgen ihrer Deportationsverfügungen ihr nicht nachgewiesen werden konnten.
Um das Zentrum des Sammelverfahrens herum hat Opfermann eine Fülle von Anläufen der Justiz zusammengetragen, das den Sinti und Roma angetane Unrecht zu sühnen, aber in sehr vielen Fällen wurde bereits das Vorverfahren eingestellt oder es kam zu Freisprüchen wegen Beweismangels, und viele zu Freiheitsstrafe Verurteilte wurden vorzeitig entlassen. Zugleich hat der Autor in Umrissen eine Mentalitätsgeschichte der verdrängerischen 50er Jahre versucht, in denen eine so halbbittere Komödie wie Staudtes „Rosen für den Staatsanwalt“ mit ihrem Hinweis auf die Nazivergangenheit des Protagonisten bereits eine Sensation war. Die romantische Konnotation von „Zigeunern“ mit Erotik, virtuoser Musik und Tanz ist uns allen vertraut und wird uns immer wieder durch Bühnenwerke wie „Carmen“ und „Der Zigeunerbaron“ eingeimpft, und umso grauenhafter ist es dann zu lesen, wie eine deutsche Vergeltungseinheit in ein russisches Dorf kommt, in dem mehreren Roma-Familien Kontakte zu Partisanen vorgeworfen wurden:
Bei minus 30 Grad Frost wurden sämtliche Roma halbbekleidet aus ihren Häusern getrieben und auf eine Brücke am Dorfeingang gestellt. Die Familien wurden gezwungen, vor den Augen des versammelten Dorfes zu tanzen, ehe sie aus drei Maschinengewehren erschossen wurden. Nach der Erschießung mussten die Dorfbewohnen die Leichen begraben. Ein zehnjähriger Junge, der bei der ‚Aktion‘ lediglich an der Hand verwundet worden war, versuchte vergeblich, mit Hilfe der Dorfbewohner zu fliehen. Er wurde gefangen und lebendig begraben.
Kann man der Forderung des Tacitus an den Historiker, sine ira et studio zu berichten, angesichts einer solchen Szene treu bleiben? Opfermann kommentiert: „Dass eine Mordaktion von den Tätern als groteskes Schauspiel mit Opfern in einer Art von Clownsrollen und mit Zuschauern wie bei einer öffentlichen Veranstaltung inszeniert wurde, begegnet in den Quellen zum deutschbesetzten Osten immer wieder. Die deutschen Täter pervertierten dabei Zigeunerbilder aus dem mitteleuropäischen romantischen Repertoire. Sie denunzierten ihre Opfer auf die brutalstmögliche Weise, bevor sie sie umbrachten. Sie zeigten sich in solchen Situationen eher als Lust-, denn als Hassmörder.“
Kann man da Carmen ohne Erschauern noch singen hören:
Die Liebe von Zigeunern stammt,
fragt nach Recht nicht, Gesetz und Macht.
Das Buch ist von Heidelberg University Publishing (Heiup) dauerhaft ins Netz gestellt worden.
Besonders passend heute am 2. August: Holocaust-Gedenktag für Sinti und Roma.
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