Rutger Bregman:

Im Grunde gut

Eine neue Geschichte der Menschheit


Eine Rezension von  Quoth
veröffentlicht am 05.06.24

Als sich um 1900 Darwins Lehre von der Evolution nicht nur bei Gelehrten, sondern auch bei einfachen Menschen  durchsetzte und sogleich in sozialdarwinistischer Weise gedeutet und missbraucht wurde, erschien das Buch „Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt.“ Sein Autor: Ein gefeierter russischer Geograf, Fürst Pjotr Kropotkin, der nichts für überflüssiger hielt als den Staat und deshalb als Anarchist bezeichnet werden darf, obgleich er einer der sanftesten Menschen war. Der Anthropologe Ashley Montagu nennt Kropotkins Schrift „eines der Welt größten Bücher“, Gustav Landauer hat es ins Deutsche übersetzt und Henning Ritter 1976 neu herausgegeben. Dieses leidenschaftlich für die sozialen und guten Eigenschaften des Menschen eintretende Buch hat einen nicht weniger leidenschaftlichen Nachfolger gefunden: „Im Grunde gut“ lautet der deutsche Titel der Schrift des Niederländers Rutger Bregman (ins Deutsche übersetzt von Ulrich Faure und Gerd Busse), und hat den Untertitel „Eine neue Geschichte der Menschheit“ in Anspielung auf Yuval Noah Hararis „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ – und eben dieser Harari hat gesagt: „‘Im Grunde gut‘ hat mich dazu bewegt,  die Menschheit aus einer neuen Perspektive zu betrachten. Ich kann es nur empfehlen.“

In Kapitel 10 denkt Bregman über Empathie nach und kommt zu dem Schluss: „Der Mechanismus ist immer derselbe: Wir setzen unsere Lieben ins rechte Licht und werden blind für die Perspektive unserer Gegner, die außerhalb unseres Blickfeldes stehen“. Dieser Mechanismus hat uns „in die netteste und grausamste Spezies auf dem Planeten verwandelt. Es ist eine unbequeme Wahrheit: Empathie und Fremdenfeindlichkeit sind zwei Seiten derselben Medaille.“ Ist es wirklich eine unbequeme oder nur eine banale Wahrheit? Empathie gegenüber Kindern und Tieren zu zeigen, ist geradezu ein Klischee im Verhalten von Autoritären, man denke nur an Hitlers Hunde und Geert Wilders‘ Katzen. Ist es auch eine unbequeme Wahrheit, dass Soldaten nicht gern das Bajonett benutzen und sogar das Schießen mit dem Gewehr vermeiden, weshalb die Kriegsführung die Distanz und Anonymität des Tötens immer weiter vergrößert? Steckt dahinter eine angeborene Scheu vorm Töten, die nur in Hollywoodfilmen ständig ignoriert wird, als gäbe es sie nicht? Ist das berühmte und vielfach im Unterricht verwendete Buch „Der Herr der Fliegen“ von William Golding eine realistische Fiktion oder beruht sie auf dem Vorurteil, der Mensch sei von Natur aus schlecht und die Zivilisation sei nur eine dünne Schicht, die das zudecke, aber im Moment der Katastrophe bräche das Böse im Menschen mit Urgewalt hervor? So hat Hobbes es dargestellt in seinem „Leviathan“, der nur allzu gut in das christliche Weltbild von der Erbsünde passte – und erst Jean Jacques Rousseau hat die Kühnheit besessen, zu behaupten, der Mensch sei von Natur aus gut, nur die Zivilisation habe ihn verdorben.

Ein aufregendes und sogar unterhaltsam zu lesendes Buch ist Rutger Bregman gelungen, ich konnte es nicht mehr aus der Hand legen, als ich einmal damit angefangen hatte, eine wirklich gute und notwendige Ergänzung zu Yuval Noah Hararis „Kurzer Geschichte der Menschheit“. Freilich muss ich den  optimistischen Schluss mit den Worten in Frage stellen, mit denen Henning Ritter Kropotkins „Gegenseitige Hilfe“ kritisiert: Ist es ein „Optimismus, der sich selbst die Gründe vorgibt?“

Aufmerksam geworden bin ich auf das Buch durch eine Veranstaltung über Kenia in der Zukunftsstiftung Entwicklung bei der GLS-Bank in Bochum, dort wurde es mehrfach zitiert. Absolut lesenswert in einer Zeit, in der „Gutmensch“ zu einem Schimpfwort geworden ist.
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