Ernst Jünger:

Auf den Marmorklippen

Roman


Eine Rezension von  Quoth
veröffentlicht am 31.08.25

„Die Dorfstraße (des Dorfes Puisieux) war mit dem Kriegsschutt des zum Stillstand gekommenen Vormarsches besäumt. Zerschossene Wagen, weggeworfene Munition, Nahkampfmittel und die Umrisse halbverwester Pferde, von blitzenden Fliegenwolken umbraust, verkündeten die Nichtigkeit aller Dinge im Kampfe ums Leben. Die auf dem höchsten Punkt ragende Kirche bestand nur noch aus einem wüsten Steinhaufen. Während ich einen Strauß wundervoller verwilderter Rosen pflückte, mahnten mich einschlagende Granaten zur Vorsicht auf diesem Tanzplatz des Todes.“ Das schreibt Ernst Jünger in der Zusammenfassung seiner Tagebücher aus dem Ersten Weltkrieg („In Stahlgewittern“).

Als der (Zweite Welt)Krieg, in den ihr Mann gezogen war, erst in Polen, dann in Frankreich, dann in Russland, andauerte, hängte meine Mutter Reproduktionen von Dürerbildern an die Wand: Erst die Eichhörnchen und den Hasen, dann auch das Rasenstück … Daran musste ich denken, als ich jetzt „Auf den Marmorklippen“ von Ernst Jünger wieder las, das 1939 in Deutschland erschienen, durch die Netze der Zensur schlüpfte, obgleich es mit der Schilderung einer „Schinderhütte“ nahe an das gekommen war, was sich in Deutschland abspielte und, sich verschlimmernd, noch abspielen sollte: „Das sind die Keller, auf denen die stolzen Schlösser der Tyrannis sich erheben und über denen man die Wohlgerüche ihrer Feste sich kräuseln sieht: Stankhöhlen grauenhafter Sorte, darinnen auf alle Ewigkeit verworfenes Gelichter sich an der Schändung der Menschenwürde und Menschenfreiheit schauerlich ergötzt.“ Und womit befassen sich die beiden im Mittelpunkt des Roman stehenden Brüder? Sie kehren botanisierend zurück auf die Lichtung mit der Schinderhütte, um eine seltene  kleine Blume, das Waldvögelein (Cephalantera rubra), auszugraben und zu vermessen … 

Die Wissenschaft habe sie angesichts des Entsetzlichen oft bestärkt, schreibt Jünger: „Es liegt im Blick des Auges, der sich erkennend und ohne niedere Blendung auf die Dinge richtet, eine große Kraft. Er nährt sich von der Schöpfung auf besondere Weise, und hierin liegt allein die Macht der Wissenschaft. So fühlten wir, wie selbst das schwache Blümlein in seiner Form und Bildung, die unverwelklich sind, uns stärkte, dem  Hauche der Verwesung zu widerstehen.“ Als Jünger 1982 der Goethepreis der Stadt Frankfurt verliehen wurde, gab es viel Protest. Aber hatte nicht Goethe seine berühmte „Metamorphose der Pflanze“ 1790 angesichts des Ausbruchs der Französischen Revolution geschrieben? Ja, er war frisch verliebt in Christiane Vulpius, aber er flüchtete nicht nur in ihre, sondern auch in die Arme der Wissenschaft, wenn auch nicht in die Linnés, sondern in die seiner eigenen ganzheitlichen Betrachtungsweise.

Sicherlich gehörte Jünger in den zwanziger Jahren zu den Wegbereitern des Nationalsozialismus in der „konservativen Revolution“, und eben dies mag ihm auch zur Duldung durch die Zensur verholfen haben, aber den Krieg verherrlicht hat er nicht, sondern hat ihn mit einer Drastik geschildert, die für mich über Barbusses „Le feu“ und „Im Westen nichts Neues“ von Remarque hinausgeht. Und ist es uns zu verdenken, wenn wir angesichts stattfindender Kriegsgräuel auf philosophische, historische, astronomische oder esoterische Betrachtungsweisen zurückgreifen und z.B. wie Graeculus darüber nachdenken, ob nicht bereits der homerische Krieg um Helena  uns viel über den Zusammenhang zwischen Krieg und menschlicher Natur gelehrt hat? Gibt es eine ewige Dialektik zwischen Krieg und Frieden – oder kann sie durchbrochen werden? Und ist die bloße Abwesenheit von Krieg schon Frieden? Ist ein Friede, in dem die Reichen immer reicher, die Armen immer ärmer werden, nicht eine glühende Waffenschmiede? Ein Blick auf die Phasen der Venus, auf die Ringe des Saturn und die Monde des Jupiter ist für mich und meinen Bruder unglaublich beruhigend. Und in diesem Sinne hat Herrenmensch Jünger uns m.E. mit seiner Bügelfaltenliteratur noch was zu sagen in seinem Roman, der unübersehbare Parallelen zu „Der Herr der Ringe“ von einem anderen Veteranen des Ersten Weltkriegs aufweist: J.R.R. Tolkien – ist  Jüngers Oberförster nicht Tolkiens Sauron und entspricht das Waldgelichter des Oberförsters nicht Saurons Orks?
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