Film & Fußball
Eine cineastische Mannschafts-Kolumne
Die Kolumne des Teams " Film & Fußball"
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Interstellar
von Lala
Interstellar
oder: Should I Stay Or Should I Go?
Spoiler aufsteigend enthalten!
I.
Die Frage, ob ich wegen Interstellar mein Heim verlassen und ins Kino gehen solle, stellte ich mir seit dem Erscheinen des ersten Trailers von “Interstellar” – dem neuesten Werk aus der Schmiede der Gebrüder Nolan. Mit Begeisterung hatte ich deren Filme Memento und The Dark Knight konsumiert. Bei Inception bedauerte ich, dass ich den Film im Postkartenformat des eigenen Heimkinos gesehen habe. Mit extrem abschwellender Begeisterung und veritabler Verärgerung, habe ich - wieder im Kino - Nolans Abschluss seiner Batman Trilogie gesehen.
Nun also Interstellar.
Gehen oder nicht gehen?
Nach meinen Interpretationen der ersten Trailer, die in und um eine Familie in einem Maisfeld im mittleren Westen und im Weltall zu spielen schienen, entschied ich mich dafür, nicht zu gehen. Sollte das ein Familiendrama, eine wilde Space Opera oder ein philosophisches Endzeit Science Fiction Drama in der Nachfolge von 2001 sein? WTF.
Die Trailer machten mich nicht schlauer, oder gar an. Ja, ich wurde geradezu abgeschreckt von der Tatsache, dass die Nolans sich fast drei Stunden genehmigten, um ihre interstellare Geschichte zu erzählen. Drei Stunden! Das ist ein fettes Brett, wenn man es im Kino absitzen muss. „Catch Me If You Can“ hätte ich mir nie im Kino angeschaut, wenn ich gewusst hätte, dass Spielberg die Geschichte auf 140 Minuten aufgebläht hat. Also, entschied ich mich dafür, auf den Blue Ray Release zu warten, um Interstellar irgendwann mal, dereinst oder nie oder zwischendurch oder irgendwie mir gemütlich auf der Couch reinzuziehen.
Die ersten Donnerstags-Kritiken zur Premiere bestätigten meine Entscheidung. Überfrachtet hieß es. Nolan mache den Fehler, alle Fäden wieder einsammeln zu wollen, alles erklären zu wollen und verheddere sich. Ach ja, die Physik in Interstellar sei auch gelogen und es wimmle von sogenannten „plotholes“. Kurz und krumm: Für ein Opus Magnum reiche es bei Interstellar nicht aus. Zu offensichtlich orientiere es sich an Kubricks 2001 durch vielfache Zitate und wolle sich offensichtlich an diesem Meilenstein messen lassen. Zu lang sei es obendrein und da dachte ich mir doch, dass ich mir das schon gedacht hatte.
Aber, als ich dann – rein zufällig – in der Beschreibung zu den Vorstellungen von Interstellar folgenden Hinweis las:
„Christopher Nolan has captured sequences of Interstellar with IMAX’s extremely high-resolution cameras to deliver IMAX audiences greater scope and breathtaking image quality.
Exclusively in IMAX® theatres, these sequences will expand vertically to fill the entire IMAX screen – delivering unprecedented crispness, clarity and color for a truly immersive experience.”[/b]
dauerte es - in der Rückschau betrachtet - nur einen harten Schnitt, nur ein Schnippen meinerseits, dass ich meine Meinung ob ich gehen oder nicht gehen sollte, ins Gegenteil verkehrte. Warum?
Der Hinweis bedeutete mir, dass diese im IMAX Format gedrehten Aufnahmen größer als mein Sichtbereich sein würden. Bigger than life. Geil! Scheiß auf 3D!
Das Ausstretchen der Leinwand auf den letzten Millimeter in den in 70 mm gefilmten IMAX Sequenzen hatte ich zuletzt bei „The Dark Knight“ miterlebt und war geflashed gewesen. Should I Stay Or Shouldl I Go? Go! Aber so was von. Trotz drei Stunden Zeitverlust, die sich wie eine Ewigkeit anfühlen könnten? Egal. Aber bevor ich meine Umgebung heiß machte, entschied ich mich für eine alleinige Sonntagmorgen 11.00 Uhr Vorstellung und landete … in einem riesigen Maisfeld.
II.
Es gibt im ersten Viertel des Films eine Szene in der in klassischer Spielbergscher Schlüsselbundhöhe aus der Sicht der jungen Tochter - Murph - gefilmt wird, wie der vorweggehende Vater (Cooper sein Name) auf ihre Zimmertür zugeht, sie langsam aufmacht und sich den Zuschauern eine beeindruckend und bedeutungsvoll in Szene gesetzte Bücherwand offenbart.
Die Szene ist kurz aber bedeutungsvoll. Ich versuchte die Titel der Bücher zu entschlüsseln, wann immer die Wand wieder im Film zu sehen war: Lindberghs Biographie, Moby Dick und sehr offensichtlich: Stephen Kings „The Last Stand“. Nicht etwa Stephen Hawkings „Universe In A Nutshell“.
Die oben genannte Szene und auch die zahlreichen Szenen mit Cooper und Coopers Vater - wie sie gemeinsam abends auf der Veranda sitzen und Mais-Bier trinken - sind für mich eindeutig aus dem Stephen King Panoptikum des mittleren Westens entnommen. King ist auch der Erfinder des Romans: „Children Of Corn“. Mais ist anscheinend die letzte Kulturpflanze, die in dieser Dystopie zu gedeihen scheint. Neben dem Staub und dem Mehltau, welche die Erde erfolgreich zu überziehen scheinen, die Lungen ruinieren und den Sauerstoffgehalt, die Luft zum Atmen, gnadenlos reduzieren. Staub und Mehltau sind die Metaphern für das Dahinsiechen einer Menschheit ohne Visionen aber mit tausenden und abertausenden Verwaltern von nichts als Staub. Pioniere, Visionäre und selbst Ingenieure haben ausgedient. Aber immerhin auch die Armeen und die Ritter haben ausgedient.
Noch ärmer als die dreifache Mittelalterliche Weltordnung scheidet sich diese Gesellschaft zweidimensional in Farmer und Verwalter. Der große Schritt der Menschheit, das Betreten des Mondes, ist in dieser Welt als Propaganda Lüge entlarvt worden. Eine solche Welt braucht keine Visionen, keine Geschichten, keine Science Fiction mehr. Sie braucht Farmer und Mais, Mais, Mais und nochmals Mais. Alles Essen alles Trinken ist aus Mais.
Die Bücherwand in Murphs Kinderzimmer erscheint mir daher zunehmend als Allegorie eines Ereignishorizonts welches jeder Mensch, zumal in seiner Kindheit, seiner Jugend erfährt: nimm und lies. Bleib. Lies. Erkenne. Stell dich auf die Schultern der Riesen, die im Regal stehen, lausche ihren Worten, ihrem Code und verschaffe dir einen Überblick über alle Unwahrscheinlich-, Möglichkeiten und Phantastischen Erzählungen. Erwarte das Rätsel und das Unerklärliche nicht erst im interstellaren Raum, sondern hinter jedem ungelesenen, hinter jedem Ereignishorizont in Form eines Buchrückens. Stay. Bleib. Lies.
III.
Cooper ist der Name des Vaters, des Helden, des Abenteurers, des Pioniers, der nicht bleibt. Der davon überzeugt wird, dass er gehen muss um seine Familie vor dem drohenden Untergang in Staub und Mehltau zu retten. Aber eben nicht nur gehen, sondern fremde Welten entdecken muss, Pionier werden muss, um die Menschheit vor dem Untergang zu bewahren und vielleicht nicht wiederkehren wird oder wenn er wiederkehren wird, seine Familie verloren haben könnte .
Auch in einer Welt aus Farmern und Verwaltern gibt es also ein kleines gallisches Dorf, die NASA, die in Gestalt eines Professors dem langsamen, asthmatischen Sterben der Menschheit auf Erden trotzt und Rettungspläne für ein Überleben einer aus Zellen geborenen Kolonie im All und vielleicht sogar aller Menschen auf Erden entwickelt hat. Bleib nicht, ernte nicht, lies nicht Romane, glotz keine Buchregale an, verheddere nicht in Theorien und Formeln: Geh!
Natürlich geht der Vater, und wie er geht!, während die Tochter zurückbleiben muss, wohl ahnend, dass sie ihn nie wieder sehen wird, auch wenn der Takt des Sekundenzeigers der zum Abschied ausgetauschten Uhren niemals schneller oder langsamer als eine Sekunde am jeweiligen Armband dauern würde. Dieser Countdown aus dem Maisfeld ins Weltall, der hat mich im Kino voll erwischt.
Während Cooper fortan gigantische, interstellare Abenteuer erlebt, die spannend, gewaltig und atemberaubend in Szene gesetzt sind, ist er es, der am Ende des Films, wie aus der Zeit, aus dem Bücherregal gefallen wirkt. Quasi zeitlos. Er hatte das Go, den Countdown zum Abheben bekommen aber Cooper ist am Ende nur, nur?, eine Idee. Eine Idee von der sich seine Tochter Murph angetrieben und abgestoßen zugleich, geleitet hat. Geleitet hat, nicht aufzugeben, im Mais und im Buchregal ihrer Kindheit eine Antwort zu finden, warum ihr Vater gehen wollte oder sie verlassen musste.
IV.
Cooper? Wer ist Cooper? Seinen Vornamen erfahren wir nie. James Fenimore Cooper vielleicht? Gleichlautend mit dem Erfinder des Lederstrumpfs?
Was sagt Wiki zu J. F. Cooper:
Nach zweimaligen Schauens, denke ich mir, dass das Vorbild für Cooper keinesfalls Astronaut Dave aus Kubricks 2001 ist und der Roboter Tars aus Interstellar kein Wiedergänger HAL 9000 ist. Cooper ist eher eine Hommage an Lederstrumpf, eine Hommage an die Helden der Kindheit, die sich alle in einem oder hinter einem Buch oder Buchregal verstecken. TARS ist eine unterhaltsame Wiedergeburt von C3PO und R2D2, den treuen Begleitern von Luke Skywalker. Aber nicht von HAL.
Der ausgedehnte amerikanische Kontinent Coopers Lederstrumpf findet in Interstellar seinen Widerhall in nichts weniger als dem gesamten Universum. Es findet seinen Widerhall in der Reise des Helden Coopers durch die Raumzeit, seinen Widerhall in seinen Abenteuern, seinem Draufgängertum beim Durchfliegen eines Wurmlochs, seinem Pioniergeist beim Besuch fremder, seltsamer Welten und seinem Heldentum bei spektakulären Rettungen und Abenteuern, die zwar unmöglich aber notwendig sind. Notwendig um von einer Seite zur anderen Seite – wie bei einem Roman oder einer Durchquerung eines Wurmlochs - blättern zu können und nicht mittendrin – nach zwei Stunden vielleicht – aufhören zu müssen.
Es findet seinen Schlusspunkt in einem Reisebericht, der hinter dem Horizont zeitloser Buchrücken entsteht.
Zuschauer wie Leser wissen: ohne eine Wiederkehr, ohne eine Auflösung oder ein Heureka bleibt alles ein Rätsel – und auch das muss nicht immer von Übel sein, sonst gebe es keine – hoffentlich: nur temporär - Ereignis- und Erkenntnishorizonte.
V.
Ich muss dieses Zitat bringen, weil viele Kritiker Nolans Dialoge und Nolans Figurenzeichnung bemängelt haben. Vielleicht bin ich auch autistisch veranlagt, aber mir gefielen die Dialoge im Maisfeld und im Weltall gleichermaßen und ich empfand sie nicht als hölzern oder aufgesetzt.
Interstellar klingt für mich nicht nur wie eine Space Opera, schaut nicht nur so aus wie eine Space Opera, sie ist im Kern eine grandiose Space Opera, weil sie sich nach Kräften bemüht es sich nicht so einfach zu machen, wie z. B, Star Wars, Captain Future oder gar The Black Hole mit Maximilian Schell. Sogar nicht so einfach wie Star Trek mit Beamen, Warp Antrieb und der m. E. völligen, aber sehr verständlichen, Ignoranz der Zeit-Dilatation wenn Picard befiehlt: „Auf den Schirm.“
Interstellar ist dennoch eine Hommage an das Genre der Space Opera so wie The Dark Knight eine gelungene Hommage an die Batman Comics ist. Will sagen: so lächerlich, albern, so ärgerlich wie eine Unterhose bedruckt mit Comic-Babes auch sein mag, das gesamte Sujet (Comic, Space Opera) auf den ersten Blick auch wirken mag: Wenn man das Sujet ernst nimmt, kommen plötzlich Batman als Hamlet und Joker als Mephisto um die Ecke oder man engagiert Astro-Physiker, die man solange in ihr stilles Kämmerlein, ihr Physikerzimmer oder zu ihren Büchern zurückschickt, bis sie eine Lösung gefunden haben (und sei sie auch in einem n-dimensionalen Raum beheimatet), um die Geschichte zu Ende erzählen zu können.
Interstellar nimmt das Genre der Space Opera ernst und stellt sich in die Tradition der besten Episoden aus Star Trek: Next Generation. Der Episoden, die physikalische, und mathematische Phänomene bestens wie mund- aber auch fachgerecht und trotzdem unterhaltsam dem Publikum kredenzt haben.
Weder Star Trek noch Interstellar klingen wie „Also, sprach Zarathustra!“, oder bieten Figuren wie Dave oder HAL. Schon gar nicht deren Dilemmata.
Eigentlich ist 2001 ein großes Missverständnis, denn das Weltall dient hier nur als Kulisse, als pawlowscher Knochen um die Zuschauer ob der ästhetischen Wucht zum Sabbern zu bringen und der Monolith als Platzhalter für das große Unbekannte.
Eigentlich ist 2001 kein richtiger Science Fiction Film, weil die Zukunft, das Weltall, das Raumschiff und die Schwerelosigkeit nur eine schöne und seriös gebaute Kulisse ist. Aber sie ist nicht Bestandteil der Geschichte. Außer HAL. Dessen Präsenz, seine merkwürdige Individualität und Andersartigkeit gehören nicht zur Kulisse. Literaturwissenschaftlich formuliert: Kubricks 2001 ist genausowenig ein Science Fiction Film wie Jakob Wassermanns Caspar Hauser ein historischer Roman ist.
Wie dem auch sei: Ich kann es auf meiner Veranda eigentlich kaum erwarten, wieder und wieder von meinem eintönigen Maisfeld auf der Spitze einer veralteten Saturn V Rakete dröhnend abzuheben, um gleich danach neben der Stille des großartigen Saturns aufzuwachen und in oder durch eine Sphäre zeitloser Geschichten zu fallen, nur um wieder wegen eines Pings in einem realistischen Traum oder Rätsel aufzuwachen.
Links:
The Science of Interstellar:
https://www.youtube.com/watch?v=GoNejagaoVs
How to build a Black Hole:
http://www.wired.com/2014/10/astrophysics-interstellar-black-hole/
Kip Thorne und C. Nolan im Interview:
http://time.com/3602525/christopher-nolan-physics-interstellar-kip-thorne/
Eine sehr empfehlenswerte Kritik und Diskussion im Blog des Astrophysikers Florian Freistetters:
http://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2014/11/19/schwarze-loecher-und-vierdimensionale-wuerfel-die-wissenschaft-von-interstellar/
Und noch zwei Links zur Diskussion um das Gesehene/Gelesene:
http://www.zeit.de/wissen/2014-11/interstellar-physik
http://www.tagesspiegel.de/wissen/interstellar-im-faktencheck-bis-an-die-grenzen-der-physik/11033208.html
Kommentare zu diesem Teamkolumnenbeitrag
(27.11.14)
Gruselig: Die "Populationsbombe", die auf Tausende von Leihmüttern wartet - aber auch dies nur ein 10 Sekunden-Fragment von Interstellar. Der Film wirk wie ein vollgestopfter Tante-Emma-Laden: Es gibt irgendwie alles, aber nichts vollständig, man kann sich nehmen, was man will und sich an der Kasse vorbei wieder draußen ans Licht quetschen.
(30.11.14)