keinEinhorn
keinEskapismus, keinRosa, keineLiebe.
Die Kolumne des Teams " keinEinhorn"
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Woanders aufstehen
von Judas
Über mir findet gerade eine Party mit schlechter Elektromucke statt weshalb ich, trotz enormer Müdigkeit, vermutlich in den nächsten paar Stunden ohnehin nicht schlafen werde. Also ist ein guter Moment gegeben, einen Kolumnentext zu verfassen. Die schreiben sich ohnehin am besten wenn man mürrisch und müde ist, während man von einer Party, zu der man nicht eingeladen wurde, wachgehalten wird. Eventuell hole ich mir noch einen Besen und klopfe mit dessen Ende an die Zimmerdecke.
Es gibt natürlich einen guten Grund für meine Müdigkeit, ebenso wie es einen guten Grund dafür gibt, dass es manchmal keinen Kolumnenbeitrag gibt. Und zwar dann, wenn ich gar nicht zu Hause bin. Weil ich irgendwo anders schlafe. Berufswegen.
Ich rede hier nicht von Hotels.
Ich rede mehr so von alten Bauernhäusern und Hippiekarren.
Wenn es da heißt „Nimm mal sicherheitshalber Schlafsachen mit, ich hab noch keine totalen Zahlen für übermorgen und ihr müsst vielleicht in Hellesylt schlafen“ dann nimmt man Schlafsachen mit und denkt: na, dann kommen wir bestimmt wieder in das Hostel von Hellesylt aber man landet nicht im Hostel von Hellesylt. Stattdessen fährt man zwanzig Minuten durch die totale Pampa, durch's Hinterland, durch Hintertupfingen quasi, durch die Randgebiete Hellesylts, durch die Wälder und Wiesen in denen Henrik Ibsen Peer Gynt geschrieben hat (true story, übrigens). Und steht dann vor so einem weißen Holzbauernhaus. Und bezieht da ein Zimmerchen wo noch Schwarzweiß-Fotos vom verstorbenen Bauernehepaar von Anno Dazomal hängen und denkt sich: ja gut, äh. Läuft.
Oder wenn es da heißt „Du musst Sonntag morgen um 8 für die Roald Amundsen* guiden, in Geiranger“ und man denkt, warte, da ist doch ein Haken an der Sache, morgens um 8... Geiranger... Sonntag... da passt was nicht.... halt, warte, da fährt doch keine Fähre rüber, da muss ich doch- „Also schlaft ihr wieder in Hellesylt.“
Im Bauernhaus. Damit ist aber auch nichts gewonnen. Fährt immer noch keine Fähre. Müsste man 5 Uhr losfahren und hinten rum über die Berge rödeln, über 1000 m Pässe, 2 ½ Stunden Autofahrt locker für etwas, was 'ne halbe Stunde Fährzeit wäre. Ja cool. Also entscheidet man sich spontan zum Familienausflug, man beredet sich, beschließt: man fährt nach Geiranger schon Samstag Abend und schläft im Auto.
Das Auto ist in dem Fall so ein umgebauter Bus. Außen sind ein Peace-Zeichen und mehrere Blumen drauf gemalt. Ich schlafe unter'm Dach.
Die Möwen schreien übrigens ununterbrochen jetzt im Juli. Ich weiß nicht, woher sie die Ausdauer dafür nehmen. Schreien ihre Möwenkinder voll, die wohl fliegen sollen aber stattdessen nur feist über den Boden watscheln und so 'nen urteilenden Blick in ihren kleinen, schwarzen Möwenkinderaugen tragen.
Morgens um 8 trötet die Roald Amundsen und weckt das ganze Dorf. Man hält einen Kaffee in der Hand und versucht, sich die Hose anzuziehen, blinzelt über den Fjord, fragt sich, warum noch mal man hier gelandet ist. Denkt an so 'ne kV-Nachricht, ganz spontan, wo drin stand: „Ist die Luft bei euch schon raus?
Hiermit biete ich eine Gastkolumne an.“ und denkt sich nur: fu**.
Und startet einen neuen Tag.
Denn wer weiß, wo ich morgen so schlafen werde.
*neues Hybridschiff der Hurtigruten, ist grad frisch vom Stapel.
**hier bitte Google fragen, ist unflätig.
Kommentare zu diesem Teamkolumnenbeitrag
Lotta
Das ist so ein dunkler Flech der ansonsten gut Geschichte, dass die Tätigkeit des Protagonisten sehr, sehr vage beschrieben ist. Man muss es ja nicht gleich haarklein und ausführlichst erklären, aber ein wenig mehr darf der Leser schon erwarten. So wie es jetzt ist, ist dieses "Hybridschiff guiden" ein Stolperstein der ansonsten flüssig und gut geschriebenen Geschichte.
P.S.: Kann man "guiden" konjugieren? Z.B. Futur II, "ich werde geguided haben"?
Wenn du das als Einziger nicht verstehst, dann arbeite vielleicht an deiner Art zu lesen. Das Wort ist vielleicht nicht schön, da eingedeutschtes Englisch, aber der korrekte Begriff für das, was bei mir auf Arbeit passiert. Davon abgesehen deuten allein die Anführungszeichen sehr eindeutig auf ein Zitat hin.
Anbei: nicht alles, was dir unverständlich ist, ist "Jugendsprache".
Nichts für ungut!
Wenn man sich natürlich nur auf Dorffußballplätzen und Kleinstadthinterhofprogrammkinos rumtreibt, ist man einem Guide möglicherweise noch nie in der Realität begegnet. Den meisten Lesern dürfte es jedoch völlig anderes ergehen.
Ein Lotse, übrigens, wäre ein "pilot". In vielen, sehr vielen Sprachen, btw.
Danke.
Ps.: Gerade für einen Journalisten ist es nicht gerade ein Aushängeschild, sich mit Anglizismen nicht auszukennen. Wenn das meiner 80 jährigen Omma passiert ist das eine Sache, aber selbst die weiß, wovon ich rede, wenn ich vom guiden rede.
Optimale Frühstückslektüre. Hoffe (mal wieder) auf mein Glück in der nächsten Woche.
Ich hoffe, ich verrate nicht zu viel, wenn ich sage, dass Du in Norwegen nicht als Schiffslotse arbeitest. (Der mit "guide" auch so was von dermaßen falsch übersetzt wäre.)
:D
Extremes Danke für das Mich-mit-ins-Boot-Holen, das versüßt mir den Donnerstag doppelt und dreifach.
(Boot, verstehste? )
Ciao, Ralf
1. Du willst es nicht verstehen
2. Du verstehst es tatsächlich nicht
in beiden Fällen ist jegliche Diskussion leider zwecklos.
Die Roald Amundsen habe ich mir vor einiger Zeit mal genauer angeschaut, um mit Hurtigruten evtl. eine Alternative zu Tui MS zu haben: Alter Norweger, der Kahn hat aber Luxus zu bieten, da kommen die älteren Schaukeln nicht annähernd ran! Da geht ja das ganze Postschiff-Flair verloren und man fühlt sich, wie auf einer ganz ordinären Kreuzfahrt!
Und witzigerweise kommen mir neuerdings an vielen Stellen Geiranger-Fotos unter – so, als wurde ganz Social Media sagen: Fahr da endlich hin, Kerl. Na ja, in diesem Jahr sicher nicht mehr.
Du aber wenn du kommst: sag auf jeden Fall Bescheid.