Film & Fußball
Eine cineastische Mannschafts-Kolumne
Die Kolumne des Teams " Film & Fußball"
(bisher 838x aufgerufen)
Am Rande der Gesellschaft – und doch mittendrin
von Dieter_Rotmund
Über Hors normes (Frankreich 2019) und andere Filme, in denen es um Behinderte geht
Anfang diesen Jahres war in den deutschen Kinos der Spielfilm Hors normes zu sehen. So auch im Olympia-Kino in Hirschberg-Leutershausen an der Bergstraße, das den Film in der Originalversion mit deutschen Untertiteln zeigte. Bei Hors normes (frei übersetzt: Fester Tagesablauf) stehen französische Sozialarbeiter und ihre Arbeit mit Jugendlichen im Mittelpunkt, die aufgrund ihrer geistigen Behinderung / Lernschwäche / Autismus u.ä. (die Grenzen sind da ja fließend) sehr schwer in die Gesellschaft einzusortieren sind. Es geht um den Umgang mit diesen Jugendlichen, quasi deren letzte Chance, vor der lebenslangen Ruhigstellung mit Medikamenten als allerletzten Ausweg. Der Film folgt sowohl der Entwicklung einiger der Behinderten als auch einiger der Sozialarbeiter. Es ist ein Tanz auf dem Vulkan: Ob und wie diese oder jene Maßnahme funktioniert oder schiefgeht, kann oft nur durch einen Versuch herausgefunden werden. Der Film ist derart atemlos inszeniert, dass man fast von einem Actionfilm sprechen möchte. Die Protagonisten haben sowohl eine private, als auch eine berufliche Seite und Hors normes zeigt, wie sie sich zurecht finden in dieser Achterbahn aus Freude und Enttäuschung, aus Sieg und Niederlage und Erfolg und Misserfolg. Der Film ist dann besonders gut, wenn er den einfachen Alltag seiner Figuren zeigt. Das muss erstmal ein Film von sich behaupten können! Hors normes hat aber auch ein paar schwächere Stellen: Immer, wenn Erfolgserlebnisse dargestellt werden, dann haben sich die Filmemacher dazu hinreissen lassen, dies mit trivialer Klimperklimpermusik zu unterlegen. Offenbar glaubte man den Zuschauer damit bedienen zu müssen, dass er „mit einem guten Gefühl“, so die passende Beschreibung, nach Hors normes aus dem Kino kommt. Das wirkt nicht nur sehr aufgesetzt, es bescheinigt dem Kinobesucher auch eine gewisse Unmündigkeit. Glücklicherweise gibt es nicht allzu viel solcher Szenen in Hors normes, deren alberner, geradezu hilfloser deutscher Titel „Alles außer gewöhnlich“ lautet.
Die Beschäftigung mit der sozialen Randgruppe der geistig Behinderten hat in der Filmhistorie eine lange Tradition. Mit Das Cabinet des Dr. Caligari (1920) wurde das Bild des geistig Behinderten, der ein gefährlicher Krimineller ist, für viele Jahre zementiert. Erst Rainman (1988, Dustin Hoffman und ein völlig überforderter Tom Cruise) und What's eating Gilbert Grape (1994, mit Sean Penn und einem nicht sehr überzeugenden Leonardo die Caprio) brachten die Wende. Aus heutiger Sicht wirken diese beiden Filme recht hölzern gemacht, ein wirklich authentisches Bild der geistig Behinderten in unserer Gesellschaft bilden sie (noch) nicht ab. Nicht zu vergessen ist, dass es auch immer wieder üble Schmonzetten gab und gibt, die das Behindertenthema als Vehikel nutzen, um die Handlung ganz besonders emotional aufzuladen. Da gab es zum Beispiel als herausragendes Beispiel den furchtbaren I am Sam von 2001. Aber so weit muss man in der Vergangenheit gar nicht zurückgehen. Etwa zeitgleich mit Hors normes war auch The Peanut Butter Falcon in einigen Kinos zu sehen, ein abgrundtief übler Sozialkitsch. Diese Filme werden, so erzählt man sich hinter vorgehaltener Hand, mit dem Ziel produziert, Schauspielern, die kommerziell erfolgreich sind (aber die Filme unterirdisch schlechte Blockbuster) zu einem renommierten Filmpreis, am besten einem Academy Award (sog. „Oscar“), zu verhelfen.
Nun, von der Qualität solcher Schmonzetten ist Hors normes Lichtjahre entfernt. Man könnte auch sagen, Hors normes ist der französische Systemsprenger. Das ist ein großes Kompliment, denn dieser Vergleich mit dem deutschen Spielfilm und Überraschungserfolg des Jahres 2019 hat es in sich: Systemsprenger ist ein durch und durch gelungenes Werk (und ein ähnlicher Parforceritt wie Hors normes), über den im Rahmen dieser Filmkolumne bereits berichtet wurde.
Kommentare zu diesem Teamkolumnenbeitrag
(19.03.20)
ziemlich am Ende zu finden
Danach:
"Das ist ein großes Kompliment, ... ' was dann folgt ist nicht verständlich.
Johnny Depp: Gilbert Grape (!)
Leonardo DiCaprio: Arnie Grape
Juliette Lewis: Becky
Darlene Cates: Bonnie Grape
Laura Harrington: Amy Grape
Mary Kate Schellhardt: Ellen Grape
Mary Steenburgen: Betty Carver
Kevin Tighe: Ken Carver
John C. Reilly: Tucker Van Dyke
Crispin Glover: Bobby McBurney
Die Bonbon-Musik ist kritisiert, nachvollziehbar.
Ansonsten wie gern bei D.R.
Werturteile und Abwertungen rein subjektiver Art, ohne deie geringste Bemühung einer nachvollziehbaren Argumentation. Stammtisch-Geraspel in Monologmanier. Mag sein, dass es ein paar Schulterklopfkumpel gibt.
Übrigens eine sehr präzise Exposition in "Gilbert Grape", hier das Szenario:
1. Exposition: Familienalltag bei den Grapes (00:00:00 - 00:35:53)
1.1 Die Camperkarawane (00:00:00 – 00:02:37)
Gilbert wartet mit Arnie auf die Camperkarawane, die jedes Jahr durch die Kleinstadt fährt. Einer der Wägen hält an, eine ältere Dame öffnet die Motorhaube, ein lautes Zischen ertönt. Eine junge Frau (später stellt sich heraus, dass sie Becky heißt) steigt aus dem Auto, die beiden scheinen eine Panne zu haben.
1.2 Endora (00:02:37 – 00:03:14)
Gilberts Stimme gibt in Ich-Erzähler-Form Informationen über Endora, das Dorf in dem er mit seiner Familie lebt. Er sagt, Endora sei wie „Tanzen ohne Musik. Ein Ort an dem nicht viel passiert.Und das wird sich auch nicht ändern.“ Auch Gilberts Arbeitsplatz wird beschrieben: Lamsons Kaufladen, ein kleines Lebensmittelgeschäft, das stark unter der Konkurrenz der großen Supermarktkette „Foodland“ leidet. Es folgt eine kurze Information über das Haus der Grapes: Es wurde vom Vater erbaut und Gilbert muss es nun gelegentlich reparieren.
1.3 Arnie (00:03:14 – 00:03:55)
Man erfährt über Arnie, dass die Ärzte ihm aufgrund seiner geistigen Behinderung eine Lebenserwartung von 10 Jahren prognostiziert haben. Mittlerweile ist er fast 18 Jahre alt. Arnie fängt eine Heuschrecke, die er dann mit großer Begeisterung im Briefkasten zerquetscht. Kurz später sitzt er mit Gilbert auf der Veranda und beweint den Tod des Tieres.
1.4 Familie Grape (00:03:55 – 00:06:05)
Gilberts Schwester Amy bereitet in der Küche das Essen zu. Am Kühlschrank hängt ein Bild von Bruder Larry, der die Familie bereits verlassen hat. Ellen, Gilberts jüngere Schwester, die gerade mitten in der Pubertät steckt, sitzt am Tisch, neben ihr Bonnie Grape, die Mutter der Familie. Früher war sie wunderschön, doch seit dem Selbstmord ihres Mannes vor 17 Jahren hat sich viel verändert: Sie ist stark übergewichtig und hat seit sieben Jahren nicht mehr das Haus verlassen.
1.5 Der Weg zur Arbeit (00:06:05 – 00:06:49)
Gilbert, Arnie und Ellen fahren jeweils zu ihrer Arbeit. Sie kommen an einer Wiese vorbei, auf der Becky steht.
1.6 Lamsons Kaufladen (00:06:49 – 00:08:07)
Gilbert und sein Chef sprechen über die große Supermarktkette Foodland und Gilbert soll an eine Stammkundin, Mrs. Carver, Lebensmittel liefern.
1.7 Affäre (00:08:07 – 00:11:30)
Gilbert trägt Arnie vor dem Haus der Carvers auf, im Wagen zu warten, während er selbst die Bestellung abgibt. Als sich Gilbert und Betty Carver leidenschaftlich küssen, wird klar, dass die beiden eine Affäre haben. Sie bemerken gerade noch rechtzeitig, dass Bettys Ehemann nach Hause kommt, Gilbert verlässt das Haus. Mr. Carver sieht ihn noch und bittet ihn demnächst in seinem Büro vorbeizukommen, er habe etwas mit ihm zu besprechen. Als Gilbert zum Auto geht, ist Arnie verschwunden. Im Hintergrund fahren Polizeiautos vorbei, Gilberts Blick verrät, dass er schon ahnt, was passiert ist.
1.8 „Komm runter, Tarzan!“ (00:11:30 – 00:16:01)
Man sieht einen Wasserturm, auf dessen Leiter Arnie in bedrohlicher Höhe herumklettert. Unter ihm hat sich (neben den Polizisten) bereits eine Menschenmenge versammelt. Mit Hilfe eines Megafons schafft es Gilbert, Arnie zum Hinunterklettern zu bewegen. Aus dem Gespräch, das er danach mit der Polizei führt, kann man schließen, dass dies nicht das erste Mal war, dass Arnie den Wasserturm hochgeklettert ist.
grrrrretse
ww
Die Bonbon-Musik ist kritisiert, nachvollziehbar.
Ansonsten wie gern bei D.R.
Werturteile und Abwertungen rein subjektiver Art, ohne deie geringste Bemühung einer nachvollziehbaren Argumentation. Stammtisch-Geraspel in Monologmanier. Mag sein, dass es ein paar Schulterklopfkumpel gibt.[/b]
Genau das unterstreichen ich. Noch war ich dabei, es mit einfältigen Worten zu schreiben, da ist Willibald fix in die Bresche gesprungen und hat sie mir geklaut!
Übler Bursche, übler.
Lotta, das ist eine Filmkolumne, keine Doktorarbeit, natürlich ohne "Argumente". Was Du und Willibald wollen, ist offenbar eine langweilige Inhaltsangabe? Ernsthaft?
P.S.: "Bonbon-Musik" trifft es gut.
das in Filmrezensionen größerer Zeitungen sind keine Inhaltsangaben.
Und das, was hier im Forum stehen könnte, in der Filmabteilung, sollte kein emotionales Geblöke bleiben.
Dessen einziger Vorzug die Kurzform ist.
Hier ein Ansatz bei "Gilbert Grape":
Essen oder Gefressen werden?
Arnie Grape und Gilbert Grape blicken eine endlose, staubige Straße entlang, die ins Nirgendwo zu führen scheint. Sie warten auf das alljährliche Hauptereignis: Eine Camperkarawane, die durch das Dorf Endora zieht.
Eine Staubwolke, Motorengeräusche – und dann ist sie endlich da. Arnie läuft jubelnd hinter den Wägen her, die sich langsam immer weiter von Endora entfernen, bis sie schließlich fast nicht mehr zu sehen sind. Endora – ein Tausendseelendorf mitten in der Einöde, umgeben von trockenen, bräunlichen Wiesen, weit entfernt von der nächsten Großstadt. Irgendwo in Iowa. Und so lautet auch der deutsche Titel des Filmes: „Gilbert Grape – Irgendwo in Iowa“.
Leben auf dem Land – ruhig, idyllisch, friedlich,...oder eben auch langweilig. So charakterisiert Gilbert zu Beginn des Filmes sein Umfeld: „Endora ist wie Tanzen ohne Musik. Ein Ort, an dem nicht viel passiert. Und das wird sich auch nicht ändern.“
Wirklich glücklich scheint Gilbert nicht zu sein, der mit 24 Jahren noch viel aus seinem Leben machen könnte. Könnte – wäre da nicht seine Familie, die seit dem Freitod des Vaters stark von ihm abhängig ist:
Sein geistig behinderter Bruder Arnie, der laut ärztlicher Prognose eine Lebenserwartung von 10 Jahren hat und mittlerweile wenige Tage vor seinem 18. Geburtstag steht. Seine Mutter, Bonnie, die an Fettsucht leidet und das Sofa nicht mehr verlässt. Seine pubertierende Schwester Ellen, der perfekt lackierte Fingernägel wichtiger sind als alles andere. Und dann Amy; sie hat ihren Job in einer Schulkantine verloren und die Mutterrolle in der Familie übernommen, für Gilbert ist sie als einzige eine gewisse Hilfe.
Man kann sich gut vorstellen, was für eine Verantwortung auf Gilberts Schultern lastet und wie schwer es für ihn sein muss, Zeit für sich zu finden, Zeit zum Nachdenken. Sehnsüchte, Träume und Wünsche bleiben unausgesprochen. Sicherlich nicht gerade ein aufregendes Leben. Aber allzu schlimm ist dies auch nicht.
Der englische Originaltitel „What´s eating Gilbert Grape“ jedoch präsentiert den Film in einem ganz anderen Licht und lässt verschiedene Deutungen zu.
Zum Einen, weil zunächst einmal unklar ist, was das Subjekt ist: „What“ oder „Gilbert Grape“. Zum Anderen, weil das Verb „to eat“ polysem ist. Die wohl häufigste Verwendung findet es als Synonym zu „Nahrung aufnehmen“. Dies bedeutet im Allgemeinen, dass ein Grundbedürfnis gestillt wird. „To eat“ als alltäglicher Prozess: Weil es gut schmeckt, weil man Hunger hat. Oder auch, um zu überleben. Das passt zu Gilberts adipöser Mutter, dann auch zu seinem Job in einem kleinen Lebensmittelladen, sowie zu dessen Konkurrenz, der Supermarktkette „Foodland“. Oder auch zu Arnies Leidenschaft für das Fastfood-Restaurant „Burger Barn“. Außerdem ist auch Gilberts Nachname „Grape“ aufschlussreich: Eine Frucht, die man einfach so essen kann, aber auch veredeln. Zu Wein.
Im Laufe des Filmes wird jedoch klar, dass „eat“ hier etwas anderes bedeutet, als den Prozess menschlicher Nahrungsaufnahme . Somit ist auch das „what“ noch einmal genauer zu beleuchten: Es scheint sich um ein Irgendetwas zu handeln, das Gilbert aufzufressen oder zumindest zu schwächen droht. Doch was ist das „what“? Vielleicht seine Verantwortung der Familie gegenüber, vielleicht die vernachlässigten Wünsche und Träume des Protagonisten, vielleicht sein an Selbstaufopferung grenzendes, altruistisches Verhalten.
Man wird sehen.
greetse
ww
Gar nicht gefällt mir leider die freie Übersetzung des französischen Titels - die passt nun gar nicht.
Hors Normes heißt "nicht der Norm entsprechend"
Danke für den Hinweis!
Hier ein Ansatz bei "Gilbert Grape":
Arnie Grape und Gilbert Grape blicken eine endlose, staubige Straße entlang, die ins Nirgendwo zu führen scheint. Sie warten auf das alljährliche Hauptereignis: Eine Camperkarawane, die durch das Dorf Endora zieht.
Eine Staubwolke, Motorengeräusche – und dann ist sie endlich da. Arnie läuft jubelnd hinter den Wägen her, die sich langsam immer weiter von Endora entfernen, bis sie schließlich fast nicht mehr zu sehen sind. Endora – ein Tausendseelendorf mitten in der Einöde, umgeben von trockenen, bräunlichen Wiesen, weit entfernt von der nächsten Großstadt. Irgendwo in Iowa. Und so lautet auch der deutsche Titel des Filmes: „Gilbert Grape – Irgendwo in Iowa“.
Leben auf dem Land – ruhig, idyllisch, friedlich,...oder eben auch langweilig. So charakterisiert Gilbert zu Beginn des Filmes sein Umfeld: „Endora ist wie Tanzen ohne Musik. Ein Ort, an dem nicht viel passiert. Und das wird sich auch nicht ändern.“
Wirklich glücklich scheint Gilbert nicht zu sein, der mit 24 Jahren noch viel aus seinem Leben machen könnte. Könnte – wäre da nicht seine Familie, die seit dem Freitod des Vaters stark von ihm abhängig ist:
(...)
Ist das die langweilige Inhaltsangabe, die Du immer wieder beklagst, wenn dein seltsam bis grotesk gestalteter Schnellschuss-Stil samt emotionalen Bährufen relativ höflich moniert wird?
Solltest Du mit der Fokussierung auf Subjektives und Kinoausstattungen diesen heiligen Raymond Queneau als Kronzeugen anführen, so ist er von Dir zum großen Teil missverstanden worden.
Und vieles andere mehr.
Was eine gute Filmrezension leisten kann/muss/darf, ist ein sehr weites Feld. Ich fühle mich da auch oft nur als Dilettant.
greetse
ww
p.s.
Du denkst, man scheut sich, eine Filmkolumne zu schreiben, weil man dann so im Stil von DR werkeln müsste?
Im Ernst?
P.S:
Danke für die Aufmunterung.