Film & Fußball

Eine cineastische Mannschafts-Kolumne


Die Kolumne des Teams " Film & Fußball"

Mittwoch, 20. Juli 2022, 12:56
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Ein Meisterwerk in der Konfrontation mit unseren Abgründen

von  Dieter_Rotmund


kVler Hamlet zu “Joker” aus dem Jahre 2019

In Todd Phillips Film “Joker” (2019) geht es um den Außenseiter Arthur Fleck (von Joaquim Phönix gespielt), der anfangs als Clown jobbt und versucht, mithilfe von Medikamenten seine psychischen Störungen zu unterdrücken. Im Laufe des Films wird klar, dass auch seine Mutter schwere psychische Probleme hat, unter deren Einfluss sie ihren Jungen misshandelt hatte und verwahrlosen ließ. Nachdem Arthur verprügelt und gemobbt worden ist, er seinen Job verloren hat, seine Medikation eingestellt worden ist, radikalisiert er sich zunehmend, wobei er seine unterdrückte Vitalität mit Genuss auslebt, indem er alle tötet, die ihm Leid zugefügt haben: Arthur wird zu einem Helden der radikalisierten Unterschicht, von denen nun viele demonstrativ die Killer-Clown-Maske tragen. Schließlich ist Arthur Flecks Endstation die geschlossene Psychiatrie. Der Film ist verstörend und faszinierend zugleich. Vielmehr noch als in den Morden zeigt sich das in Arthur Flecks Körpersprache: Besonders in seinen Lachanfällen und in seinem dämonischen Tanz schockieren diese Anfälle, die den Bedrängten schmerzhaft durchschütteln, bis er innehalten muss, um nicht zu ersticken. Sie verweisen auf eine tiefe psychologische Wahrheit, dass nämlich die auf die Spitze getriebene Tragödie in eine Komödie konvertiert. Dieser Wahnsinn ist der letzte Schutz vor tödlichem Leid.  Des Jokers Lachen klingt wie ein gesteigertes Weinen. So beginnt er auch immer zu lachen, wenn er verletzt wird oder sich bedroht fühlt. Jeder Dramatiker weiß das Leben als Tragödie oder als Komödie zu betrachten. Und unser Clown ist mit den Nerven so weit, dass er von der Tragödie zur Komödie will. Er hat ja schließlich auch als Clown gejobbt und immer davon geträumt, ein großer Comedian zu werden. 
Während seine Lachkrämpfe schockieren, fasziniert sein Tanz. Es ist ein diabolischer oder wie von unsichtbaren Dämonen gelenkter Tanz, der Ähnlichkeiten mit dem Tai-Chi hat, insofern der Verkrampfte in einen Flow gelangt, wodurch sein Tanz eine gewisse Anmut erhält. Seine unterdrückte Vitalität beginnt schrecklich aufzuatmen, worin sich der von Dämonen Besiegte doch viel wohler fühlt als in seiner Lebenshemmung. Nur noch rachenehmend, nur noch mordend fühlt er hohes Leben, jetzt wo er unberechenbar und ein Horror für seine Umwelt geworden ist, wie eine Naturgewalt.  Es ist ein teuflischer Weg von der Ohnmacht zur Macht. Und hier stellt sich auch eine psycho-soziale Frage, nämlich ob es nicht viele Menschen gebe, welche in größter Ohnmacht die Hilfe des Teufels annähmen, wie es auch Goethes Faust getan hat. Flecks unerhörtes Tanzen fasziniert, insofern es versinnbildlicht, wie ein gesellschaftlicher Looser von seinen inneren Dämonen in eine fürchterliche Erhabenheit erhoben wird. 
Zum Schluss erinnere ich an den Philosophen Arthur Schopenhauer, nach dem der sogenannte Wille zum Leben jenseits von Gut und Böse, also vormoralisch ist. Freilich wird ein moralisch guter Weg bevorzugt, insofern er das Leben nicht hemmt. Ansonsten bleibt die Willensverneinung, zu welcher aber entweder nur die ausgebrannten, vitalitätslosen Naturen oder gewisse Asketen und Mystiker einen Zugang haben. Ja, es ist verstörend, dass der Wille zum Leben notfalls beim Teufel seinen Kredit borgt. Und wir sollten nicht so tun, als ob wir in Extremsituationen, insofern wir genug Vitalität hätten, den asketischen oder mystischen Weg der Willensverneinung wählten. 
Todd Phillips Meisterwerk “Joker” ist eine Konfrontation mit unseren Abgründen: er erschrickt und fasziniert in Bezug auf die dämonischen Kräfte, welche immer irgendwie gefeiert werden, weil sie von seltener Größe zeugen: im Guten oder tragischerweise manchmal im Bösen. Des Jokers Lachen erschrickt also ob seiner tragischen Perversion. Des Jokers Tanzen fasziniert durch seine dämonische Erhabenheit. 


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