Film & Fußball
Eine cineastische Mannschafts-Kolumne
Die Kolumne des Teams " Film & Fußball"
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Ich habe diesen Film nicht verstanden: "Sonne und Beton"
von Dieter_Rotmund
Sonne und Beton (D 2023)
Der Film vermittelt einen seltsamen Begriff, ein kurioses Verständnis von Freundschaft. Folgt man der Handlung des Films, so bedeutet Freundschaft, sich gegenseitig zu hintergehen, zu belügen und im Stich zu lassen. Anders gesagt ist Sonne und Beton so eine Art Anti-Stand by Me (USA 1986), vielleicht erinnert sich noch jemand an diesen Film. Sonne und Beton beschreibt eine Spirale des sich gegenseitigen Reinreitens in jeweils noch bedauernswertere und beschissenere Zustände. Trotzdem liegen sich die drei Freunde am Schluss des Films in den Armen und gehen gemeinsam der Abendsonne entgegen. Das Werk nimmt sich damit final die Möglichkeit, ein Film von irgendeiner inhaltlichen oder gar cineastisches Relevanz zu sein und negiert sich quasi selbst. Was soll man dazu sagen? Ich vermute, dahinter lag nur kommerzielles Kalkül. Sonne und Beton wollte es ins Maistream-Mulitplexkino schaffen und dort erwartet man, aus dem Kino mit einem "guten Gefühl" entlassen zu werden - offenbar um den Preis jeder Glaubwürdigkeit und Stringenz. Nun ja, es war stellenweise recht unterhaltend, interessant diese vernuschelte Sprache und die kuriosen Begriffe ("Arab-Ticker"). Hätte eine gelungene gesellschaftskritische Groteske werden können, ist es aber nicht.
Man kann mir nun wieder vorwerfen, ich hätte den Film nicht verstanden, weil ich das Buch von diesem Felix Lobrecht nicht gelesen habe. Dazu nur so viel: Wenn man den Film nur nach Lektüre des Buches "verstehen" kann, dann ist er Film sowieso gescheitert. Lieber Prinzessinenbad von 2007 gucken, Digga!
Ein "Online Drag Contest" im Kino (2023)
Das Kino an sich, also der Erlebnisraum Kino wird ja hier und da auch für andere Veranstaltungen genutzt. Als Cineast habe ich zum Beispiel nie verstanden, warum es seit einigen Jahren so populär ist, Opern live auf die Leinwand eines Kinos zu übertragen. Es gibt doch in Deutschland sehr viele Opernhäuser bzw. Opernensembles mit einem reichhaltigen Programm, oder?
Aber vielleicht sieht der Opern-Fan das anders und ich sollte meine Einstellung dazu überarbeiten. Und offener dafür sein, was sich sonst noch im Kino abspielt.
Also war ich kürzlich im Kino, um einem Public Viewing eines Online Drag Contests beizuwohnen. Das ganze Ding wurde auch live auf "Twitch" übertragen, neudeutsch es wurde gestreamt. "Twitch" ist so eine Art Youtube, aber nur mit Live-Sendungen, also eigentlich lineares Fernsehen, nur viel eintöniger: Überwiegend kann man dort nur Leuten zuschauen, wie sie Computerspiele spielen - Gähn!). Nun gut, das muss mich ja nicht stören, ich sitze ja mit meiner Begleitung und einem Bier im Kino. Außer uns noch ca. ein Dutzend giggelnder Mädchen Anfang 20.
Etwas ist seltsam: Die Moderatoren sitzen nur wenige Meter entfernt im demselben Gebäude in einem Studio. Zu uns kommen wollen sie nicht. Im Chat scheint das auch keiner zu thematisieren. Wieso sind die Moderatoren so menschenscheu? Sie machen in ihren exaltierten Kostümen einen sehr extrovertierten Eindruck. Was ist denn an einem bisschen Live-Publikum so schlimm? Die "Sendung" entpuppt sich als sehr langatmig und verplappert, was sehr old school wirkt. So waren Live-Sendungen in meiner Kindheit gestrickt, bevor MTV kam.
Nun ja, zu den Videobeiträgen, die dort gezeigt wurden (die waren natürlich nicht live): Wenn ich es richtig verstanden habe, geht es darum, sich als sog. Drag Queen möglichst eindrucksvoll zu präsentieren bzw. in Szene zu setzen, am besten mit passenden Motiven und Topoi. Um die Erklärung des Begriffs Drag Queen will ich mich ein wenig drücken, da er derzeit, in den Zeiten der sexuellen Orientierungslosigkeit vermutlich stetig einen gewissen Wandel unterzogen ist und ich offen bleiben will für alle damit verbundenen künstlerische Konzepte. In Kinofilmen gab es natürlich schon oft Dragqueens zu sehen, z.B. Tim Curry als Frank N. Furter in The Rocky Horror Picture Show von 1975 oder Harris Milstead als Divine in Polyester (1981) und Hairspray (1988).
So weit, so gut. Die gezeigten Videos wirkten alle mehr oder weniger amateurhaft gemacht. In einigen war sogar die technische Bildqualität äußerst mangelhaft. Es wurde viel Playback gesungen, aber oft stimmte die Lippensynchronität nicht.
Das klingt jetzt so, als hätten mit die Beiträge allesamt nicht gefallen. Das stimmt jedoch nicht. Mir offenbarte sich nämlich da eine völlig andere Welt! Deutlich spürbar war der Wille der Darsteller und Darstellerinnen, sich auf irgendeine Weise künstlerisch auszudrücken. Am deutlichsten in den Kostümen, die sie tragen. Die Video-Ergebnisse waren zum Teil so bizarr, dass ich sie wieder interessant und unterhaltsam fand. Leider nimmt man jedoch keine Rücksicht auf Menschen wie mich: Viele Dinge blieben rätselhaft. Was ist denn bitte an Kleiderbügeln so schlimm, dass der gesamte Videobeitrag (sic!) sich für die Beseitigung ("Kill all wire hangerz!") derselben einsetzt?