Soraja findet einen Hügel

Geschichte zum Thema Abenteuer

von  Aguaraha


Ich muss den Spruch, den Malaranka benutzt hat, einfach erraten, es wissen! dachte Soraja, mit einem Wasserschlauch unterwegs zum nahen Bach.
Soraja hatte dunkel braue Haare, eine helle Haut und braune fast schwarze Augen. Diese Augen waren aber von besonderer Art, denn im Licht, da schimmerte ein außergewöhnliches Muster in Ihnen. Sie war ansonsten von sanfter Natur, geduldig und zurückhaltend. Sie hatte auch eine gute Hand für Magie, sie lernte leicht und sehr schnell, doch Malaranka hielt anscheinend nicht viel von ihr und sie bekam es als einer Art Abneigung zu spüren. So erschien sie nicht besonders selbstbewusst und doch blitzte oft ein kleiner funken Trotz in ihren Augen. Denn sie wusste, irgendwie, dass sie nicht hier her gehörte und dass tief in ihr noch mehr steckte. Auch beobachtete sie alles sehr genau und sprach wenig. Sie machte insgesamt einen eher verträumten Eindruck und in der Tat war es ihre Gedankenwelt, in die sie sich einfach eintauchen lies und so aus dem harten Alltag flüchten konnte. Es waren aber nicht nur Träumereien, denn sie dachte auch viel über das Erlebte nach und versuchte so,  alles in zwanghafter Weise zu begreifen.
Ihr fiel das Nachdenken etwas leichter, jetzt wo sie sich vom Lager entfernte. Es gab nicht viele einfache Schlafzauber, die so gut wirkten. War es ein Spruch oder ein Mittel? So ging sie in Gedanken vertieft zur Wasserstelle.
»Mäusekacke!« Soraja ärgerte sich maßlos darüber, dass sie abgelenkt durch ihre Gedanken, die bekannte Wasserstelle verpasst hatte. Hier war das Gestrüpp so dicht, dass man nicht ohne weiteres an den kleinen Bach kommen konnte. Sie hatte sich wohl verlaufen, jetzt musste sie schnell, eine andere Stelle finden. Malaranka würde sie tadeln, sie musste schnell mit Wasser zurück ins Lager. Sie lief jetzt, da noch immer kein Zugang zum Bach zu finden war. Der Wald wurde dichter, Äste kratzten an ihren Beinen. Sie bekam Angst, schaute zurück und fiel zu Boden.
»Mäusekacke!« sagte Soraja, als sie sich aufrichtete und dabei den Dreck wegwischte.
Da lag der Bach frei in einer großen Lichtung vor ihr, und dahinter erhob sich ein kleiner Berg. Der Berg, eigentlich mehr ein Hügel, war wunderschön anzusehen. Er war mit Gras bewachsen, da standen einige schön gewachsene Bäume und hier und da Sträucher voll mit Blüten. Der Duft dieser Blumen reichte bis zu ihr. Soraja war sprachlos.
Ist dies der Platz der Hexen?, dachte sie. Nein, das konnte nicht sein. Malaranka würde einen solchen Platz sicher nicht mögen, und Malaranka war schließlich eine Hexe – doch über diesen Punkt war Soraja, wenn sie darüber nachdachte, gar nicht so sicher. Malaranka war immer voller Geheimnisse.
Soraja erinnerte sich an die Beschreibung einer Senke. Von einem Hügel war nie etwas gesagt worden. Aber dieser kleine Berg zog sie magisch an, es hatte sicher eine tiefere Bedeutung. Sie betrachtete ihn schweigend. Ein roter Schimmer der untergehenden Sonne umhüllte den Hügel und erfüllte die Luft mit einer sonderbaren Aura.
Sorajas Gedanken wanderten zu angenehmen Erinnerungen. Sie dachte an ein Kind, das vor langer Zeit ausgelassen am Wegrand vor der Hütte spielte, es drehte sehr lustig und gekonnt Rad. Soraja beobachtete damals versteckt das Treiben aus einer Spalte des geschlossenen Kellers. Das Kind war mit einer Bäuerin zu Besuch. Die Frau wollte die Dienste der Hexe in Anspruch nehmen. Malaranka war zwar sehr erbost, dass die Frau ihr Kind mitbrachte, doch da diese gut bezahlte, war sie schließlich zufrieden. Soraja fand es gemein, dass sie immer in den Keller gehen musste, wenn Besuch kam.

Ich sollte gehen. dachte Soraja. Sie stand auf, ging zum Wasser, um schließlich den Schlauch aus Ziegenhaut zu füllen. Sie kniete nieder und entdeckte dabei ein merkwürdiges Moos, das die Steine am Ufer bedeckte. Das ist doch, ... Ringelmoos! Soraja freute sich. Ringelmoos war eine sehr seltene Pflanze, die nur an feuchten Steinen wuchs. Ringelmoos konnte einigen Hexensprüchen, wie auch dem Schlafzauber  entgegenwirken. Einen Augenblick lang überlegte sie und schaute sich dabei nervös um. Dann pflückte sie schließlich einige Mooszweige und steckte sie in ihre Rocktasche. Nun eilte sie zurück, nicht mehr lange und die Dunkelheit würde hereinbrechen.
Soraja fühlte sich sehr gut. Sie könnte ihre Meisterin überlisten; dieser Gedanke setzte sich in Ihrem Kopf fest. Wie vor einem Jahr etwa, da hatte sie zufällig ein großes Geheimnis der Hexe Malaranka entdecken können, das Zauberbuch der Sprüche. Soraja durfte nämlich unter Aufsicht, im Rahmen ihrer Lehre, einige Seiten in diesem Buch lesen. Die Hexenmeisterin schützte das Buch in der übrigen Zeit mit einem starken und mächtigen Zauber, niemand konnte sich dem Pult, auf dem das Buch lag, nähern. Soraja spielte, wenn sie alleine war, oft mit dieser unsichtbaren Wand. Eines Tages, als Malaranka mal wieder für einen ganzen Tag auswärts war, schlug sie ein Rad. Sie versuchte es, dem Kind nachzumachen, und so knallte sie schließlich gegen das Pult. Sie hatte den Zauber ungewollt gebrochen. Soraja war damals wie gelähmt vor Schreck. Aber die Neugier siegte schließlich über ihre Ängste, und sie öffnete das Buch. Viele Zaubersprüche waren beschrieben. Einige der Auswirkungen und die vielen Nebeneffekte ergaben für sie zu Beginn keinen Sinn. Auch die meisten Zutaten waren ihr noch unbekannt. Doch ab jenem Tag verbrachte sie, immer wenn sie allein gelassen wurde, jede Minute bei der Lektüre des Buches. So lernte sie immer mehr und immer tiefere Mysterien öffneten sich nach und nach. Soraja hatte sich beim heimlichen lesen sehr gefürchtet, aber durch die Angst wurde sie sehr vorsichtig. Sie hatte Glück, denn sie wurde dabei nie erwischt, und durch das neue Wissen wurde sie auch immer selbstbewusster.
Soraja verlangsamte ihr Tempo, sie war sehr erleichtert, denn sie konnte das Lager schon erkennen. Sie überlegte was sie erzählen konnte, sie hatte das Gefühl, sie musste eine gute Ausrede finden. Sie betrat das Lager, aber Malaranka war nicht zu sehen. Dies verunsicherte Soraja etwas. Doch da spürte sie einen Windhauch im Rücken. Als sie sich umdrehte, stand Malaranka plötzlich vor ihr. Soraja fuhr so erschreckt zusammen, dass sie fast hinfiel.
»Wo warst Du?«, fauchte Malaranka. Sie schaute dabei sehr grimmig.
»Ich, ... ich weiß nicht« antwortete Soraja leise, sie fühlte sich schutzlos. Sie spürte den durchdringenden Blick Malarankas auf ihr ruhen. Dieser Blick konnte in die Seele dringen und ihr so die tiefsten Geheimnisse entreißen. Obwohl Malaranka fast einen Kopf kleiner als Soraja war, erschien sie viel größer und mächtiger.
»Warst Du auf dem Hügel?« fragte die alte Hexe und zeigte in der Richtung aus der Soraja gekommen war.
Soraja konnte nicht antworten. Hat Malaranka mich durchschaut? Weiß sie etwas? Fragte sie sich.
»Nein... «, hörte Soraja sich selbst sagen. »Ich hab ihn nur von weitem angesehen.« Sie musste die Tränen zurückhalten.
Malaranka schaute noch immer sehr wütend. Ihre Augen funkelten.
»Ich war wirklich nicht auf dem Hügel!«, platzte es schließlich aus Soraja heraus. »Ich hab ihn nur vom Bach aus gesehen.«, sie konnte die Tränen nicht mehr aufhalten. »Ich hab mich verlaufen, ... es stimmte etwas nicht, ... ich konnte nicht ans Wasser ...« sie versuchte sich zu beruhigen, denn mehr  durfte und wollte sie nicht preis geben. Sie schluchzte und hielt die Luft an. »Warum ist es schon so dunkel?« fragte sie schließlich.
Malaranka wollte etwas sagen, doch hielt sie inne. Und Soraja versuchte so unschuldig wie nur möglich zu schauen.
»Hör auf, wie ein Huhn zu flennen«, sagte Malaranka schließlich. Sie sah jetzt freundlicher aus, wenn auch etwas gestellt. »Geh, wasch dich! Kein Mensch kann dich so ansehen« sagte sie schließlich und ging zum Lagerfeuer hinüber.
Soraja war erleichtert. Sie hatte es überstanden. Sie befeuchtete ein Tuch und reinigte ihr Gesicht damit. Sie legte ihre Kleider zurecht, und schaute ganz nebenbei nach, ob das Ringelmoos noch in ihrer Tasche war. Sie atmete beruhigt auf und ging zum Lagerfeuer hinüber.
»Dieser Berg da, ist für uns, ...« Malaranka hielt inne »verhängnisvoll.« endete sie leise.
Hatte Malaranka zu viel erzählt? Soraja dachte darüber nach. Sie nahm dabei den heißen Wasserkessel vom Feuer, goss etwas Tee in ihren Becher und hielt diese mit beiden Händen fest. Die Wärme tat ihr gut. Und als Malaranka nicht hinschaute, nahm sie das Ringelmoos und legte es in den Tee. Sie wartete einen Augenblick und trank ein wenig. Etwas vom Ringelmoos zerkaute sie ganz langsam, und sie nahm immer wieder ein Schluck dazu. Das, was zum Schluss noch von dem Moos übrig blieb, warf sie unbemerkt ins Feuer.

Später aßen beide Frauen noch etwas. Malaranka erzählte einige schreckliche Geschichten, auch erwähnte sie den Hügel ganz nebenbei.
Sie versucht mir Angst zu machen, dachte Soraja. Denn zum ersten mal in ihrem Leben konnte sie diesen ausführlichen Beschreibungen über Tod und Verderben aus Malarankas Mund nicht recht glauben.
Soraja räumte danach alles auf. Die alte Hexe war jetzt mit sich selbst beschäftigt. Sie tat geheimnisvoll. Soraja musste lächeln, sie wusste, was kommen würde. Nur diesmal war sie gut vorbereitet. Sie hoffte es jedenfalls.
»Geh schlafen Soraja, die morgige Nacht wird alles anders werden lassen!«, sagte Malaranka theatralisch im Hinblick auf das große Ereignis; Das große Ritual der Hexen.
Soraja fürchtete dieses Fest, vor allem weil sie wenig darüber wusste. Doch sie konnte jetzt nicht mehr nachdenken, denn sie fühlte sich auf einmal sehr müde. Sie ging zu ihrer Schlafmatte und legte sich hin. Sie deckte sich zu. Wird das Ringelmoos wirken? dachte sie noch und schlief im selben Moment ein.
Malaranka versuchte, die Schlafende zu wecken. Sie schüttelte heftig Sorajas Schultern. Es war vergeblich, denn diese wollte nicht aufwachen. Die Hexe schaute sehr zufrieden. Sie sammelte noch ein paar Sachen, schüttelte dann ein glänzendes Pulver auf einen Baumstamm, und mit einem Befehl flog der Baumstamm samt Hexe in den Nachthimmel davon.
Soraja aber schlief tief und fest weiter.

Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram