Jonathan

Erzählung zum Thema Schmerz

von  Mondsichel

Es bebte mir auf den Lippen. So lange hatte ich mir Gedanken darüber gemacht. Und mitten in seinen Ausführungen konnte ich mich nicht mehr beherrschen.
„Jonathan“ zitterte meine Stimme ihm entgegen. Er blickte mich erschrocken an. Dann stand er ruckartig vom Boden auf und seine Stimme wurde rau.
„Bitte sag nie wieder diesen Namen. Jonathan ist tot, es gibt nur noch Jo.“ Ich griff nach seinem Arm, da er Anstalten machte einfach vor mir wegzulaufen. „Dann bist Du es also wirklich! Du bist Samuels Bruder und der Sohn vom alten Brockheim!“
„Sohn? Pah! Wenn er mich wie einen Sohn behandelt hätte, dann wäre jetzt vielleicht vieles anders. Er konnte nicht akzeptieren das ich den Traum meiner Mutter ebenfalls im Herzen trug. Ich hatte ihre Eigenschaften und ihre Art geerbt, das war es was ihn so schmerzte. Seit sie tot war, hat er immer nur versucht mich so umzugestalten, dass ich „sein Sohn“ war. Aber ich wollte nicht so erkalten wie er. Ich spürte das heiße Feuer der Leidenschaft in meinen Adern. Das war es was ich wollte! Nicht diese aufgesetzte Gesellschaft. Ich ging fort, das Beste was ich tun konnte.“ Er schaute mich verbittert an. In seinen Augen war Enttäuschung und tiefe Traurigkeit zu erkennen.

„Es ging immer nur nach dem was Vater wollte, nur nach dem Geschäft, nicht aber nach dem was ich fühlte. Er meinte immer zu mir, ich müsse begreifen das dieses Leben nur für jene geschneidert ist die stark sind und sich durchsetzen können. Man muss seine Gefühle beiseite stellen und sich voll und ganz dem widmen was einem Erfolg und Anerkennung bringen kann.
Ich habe ihn für diese Einstellung gehasst und auch heute noch vermag ich es nicht zu verstehen, wie man so rücksichtslos gegenüber sich und seinen Gefühlen sein kann. Seit Mutter gestorben ist hat ihn jegliches Gefühl verlassen. Er hat vergessen wie wichtig die Liebe für die Seele und das Herz ist. Es tut so weh das er mich nicht verstehen will. Dass er mich verstößt, als wäre ich ein nutzloser Kadaver nach dem man treten kann wenn es einen erzürnt. Aber mein Fleisch zuckt noch immer bei jedem Tritt, es fließt noch heißes Blut in diesen Adern. Ich lebe noch und ich wünschte er würde wenigstens meine Existenz endlich wieder akzeptieren, wenn er schon nicht akzeptieren kann das ich sein Geschäft nicht zu meinem Leben machen kann.“
Ich nahm ihn in den Arm, hielt ihn einfach nur fest an meine Brust gepresst und streichelte sein Haar. Seine Arme umschlungen mich und drückten mich ebenfalls an sich. Und es war als spürte ich ein paar Tränen die meine Haut küssten. Es tat mir so weh das er litt, auch wenn ich nicht so recht verstehen konnte warum. So verweilten wir einen Moment lang und sprachen kein Wort mehr. Das Schweigen war laut genug...

„Luzie? Luzie? Geliebte? Wo bist Du?“ Samuels Stimme riss uns aus dem Taumel des Schweigens. Ich blickte Jo erschrocken an, er verstand erst nicht so ganz was los war. Aber in seinen Augen blinzelte auf einmal Erkenntnis und ich hatte das Gefühl, als würden seine Blicke mich vor Enttäuschung zerschneiden. Meine Lippen bebten, wollten etwas sagen. Doch ich wusste, jedes weitere Wort würde ihm nur noch mehr weh tun.
Jo löste sich aus unserer Umarmung. Er stand auf und blickte mich fragend an. Ich schloss nur demütig die Augen und er verstand. Als er davonlief schien eine Träne der Trauer durch die Luft zu fliegen und das Meer in Aufruhr zu bringen. Der Himmel verdunkelte sich und ein Sturm zog auf. Unmerklich hatte er sich aus den Tiefen erhoben...
Ich blickte Jo nach, hörte Samuels Stimme immer noch nach mir rufen und fühlte mich im Inneren wie eine Verräterin. Ich wusste, morgen würde er nicht mehr kommen. Ich hatte ihn enttäuscht und seine Gefühle verletzt. Ich hatte ihm niemals gesagt wer ich war und in welcher Beziehung ich zu seinem Bruder stand. Ja ich war dumm gewesen. Hatte ich wirklich geglaubt das mein Geheimnis ewig vor ihm verborgen sein würde?
An diesem Morgen fiel die bittere Enttäuschung in Strömen vom Himmel und hinter meinen Augen wuchsen die Meere der ungeweinten Tränen. Ich befürchtete, dass ich ihn niemals wieder sehen würde. Dieser Gedanke schrie und trat auf mich ein.
„Es tut mir so leid“ flüsterte ich in den stürmenden Wind, bevor Samuel kam, mir eine Decke über die Schultern legte und mich schließlich ins Haus zurückbrachte...
Am Abend lag ich aufgrund meiner verwirrten Gefühle, den Ereignissen der Tage zuvor und aufgrund der Verkühlung, die ich mir draußen zugezogen hatte, mit hohem Fieber im Bett. Während ich in meinem Fieberwahn die Nacht in der Hölle verbrachte, stand Jo draußen im stürmenden Regen an den Fenstern und blickte voller Sehnsucht auf meinen zitternden Leib. Doch ich bemerkte ihn nicht, wie er mir später erzählte.

Obwohl ich ihn so schwer enttäuscht hatte, spielte er in dieser Nacht mit dem Gedanken mich einfach mitzunehmen, weit fort in eine andere Stadt. Weit fort von all den Zwängen und Richtlinien dieses verfluchten Lebens. Ach hätte er es doch nur getan, vielleicht wäre das Schicksal dann gnädiger mit uns gewesen...

(c)by Arcana Moon


Anmerkung von Mondsichel:

Weil Wochende ist, gibts morgen gleich zwei Teile. "Seelenkrank" und "Der Piratenhauptmann" erwarten Euch ;)

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Kommentare zu diesem Text

seelenliebe (52)
(07.07.06)
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 Mondsichel meinte dazu am 08.07.06:
*lächel* Du glaubst gar nicht wie sehr mich das freut das es Dich so mitreißt :)
Lieben Dank an Dich Anne :)
Deine Arcy
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