Der alte Brockheim

Erzählung zum Thema Familie

von  Mondsichel

Denn eines Tages kam „Er“ in unser Gasthaus. Er, das war Bernard Brockheim, der wohl wichtigste Mann der ganzen Stadt. Ein steinreicher und sehr erfolgreicher Unternehmer, der obendrein auch noch der Bürgermeister unseres kleinen Örtchens war.
Dass er bei uns speisen wollte, war wohl die größte Ehre, die man sich als kleiner Gastwirt wünschen konnte. Unsere und die Blicke der anderen Gäste richteten sich unentwegt auf diese große Persönlichkeit.

Herr Brockheim war 55 Jahre alt, Witwer und hatte zwei Söhne, wobei man aber stets nur den jungen Samuel zu Gesicht bekam. Sein Bruder Jonathan wäre laut ein paar bösen Zungen eine recht rebellische Natur und Seemann geworden, entgegen dem Willen seines Vaters. Das sei auch der Grund, warum sie miteinander verstritten wären.
Irgendwie gefiel mir diese Vorstellung. Es erschien mir wie das Ausbrechen aus der Gesellschaft, die kämpferische Herzen unterdrückt. Nie hätte ich gedacht, dass meine Sympathie für den Ruf der Freiheit so weit gehen würde, wie sie es im Endeffekt tat...
Der alte Mann hatte graue Strähnen im schütteren Haar, trug einen Schnurrbart, einen grauen Anzug und aus dem weichen Gesicht blitzten zwei stahlgraue Augen, die seinen Charakter der kalten Natur ziemlich untermauerten. Und doch war er auf die eine oder andere Weise eine recht bestechende Persönlichkeit, der sich keiner entziehen konnte...
An diesem Tag begeleitete ihn sein Sohn Samuel, der seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten schien. Auch er trug einen grauen Anzug und hatten einen Schnurrbart. Sein Haar jedoch war ebenholzfarben und die braunen Augen schienen nur so aus dem warmen Gesicht zu strahlen. Ich war wie verzaubert von ihm, konnte meine Augen nicht abwenden. Das Schicksal wollte es, dass wir uns näher kennen lernten...

Der Bürgermeister war begeistert von unserer Wirtschaft und es zog ihn unweigerlich immer wieder zurück in unser kleines Gasthaus. Auch Samuel war immer an seiner Seite. Und je öfter sie zugegen waren, desto öfter kamen wir ins Gespräch. Der alte Mann sah es gerne, dass sein Sohn scheinbar endlich eine Frau gefunden hatte, die sein Herz berührte. Und auch ich musste nach und nach feststellen, dass Samuel offensichtlich der Mann war, nach dem meine sehnsüchtige Seele schrie.
Unser erster Kuss war wie eine Explosion, die mir fast den Boden unter den Füßen wegriss. Ich taumelte in diese Liebe, trunken von seinen verführerischen Küssen. Schon ein Jahr später waren wir sehr glücklich verheiratet und der alte Brockheim schien regelrecht aus seinem kalten Eispanzer zu schmelzen...
Aber das Ganze hatte dann doch einen Nachteil: Ich fühlte mich sehr bald ziemlich eingeengt, zu gut behütet und irgendwie erschien mir mein Leben plötzlich wie ein Gefängnis. Ja, das war es was ich mir gewünscht hatte: Ein Leben ohne Sorgen, mit Geld und kleinem Luxus. Aber ich war glücklicher gewesen als ich noch zu denen gehörte, die sich ihr tägliches Brot mit redlicher Arbeit verdienten. Jetzt lief ich immer in der neuesten Mode herum und war aufgeputzt wie eine richtige Lady. Und doch fühlte ich mich wie die letzte Hure, die sich mit breit gespreizten Beinen zur Schau stellte.
Nach wie vor liebte ich Samuel und konnte mir nicht vorstellen ihn jemals zu verlassen. So unterdrückte ich meine unguten Gefühle und das Versprechen, das ich an meines Vaters Grab gegeben hatte. So betrog ich mich am Ende selbst...

Eines Nachts schreckte ich aus meinem schönsten Traume von der Freiheit auf, als ich laute Stimmen unten im Flur des Hauses hörte. Leise schlich ich zur Treppe und lauschte wer da solch einen Krach veranstaltete. Der alte Brockheim schien sich furchtbar aufzuregen. Ich verstand nicht was passiert war, ich hörte nur wie er brüllte: „Verschwinde aus meinem Haus! Du hast hier nichts mehr zu suchen! Geh oder ich werde die Garde rufen, die Dich dem Henker übergibt!“ Die Tür fiel krachend ins Schloss.

(c)by Arcana Moon


Anmerkung von Mondsichel:

Kapitel 3, "Tiefblaue Augen", wirds morgen hier zu lesen geben :)

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