Wir sahen uns seit diesem Tag nicht mehr, aber Jo die ganze Zeit über in nächster Nähe. Trotz der bitteren Erkenntnis, dass sich nicht frei war, wollte er mich nicht aufgeben. Wie ein Schatten legte er sich über mich, immer bereit im nächsten Moment einen Kampf um mich zu schlagen. Stetig darauf bedacht mich fortzuführen von diesen Menschen, deren eingepferchten Visionen er aus allertiefstem Herzen hasste.
Alsbald kehrten wir auch wieder zurück in das Haus der Familie Brockheim und ich ergab mich der lärmenden Arbeit im Gasthaus. In einen dunklen Mantel gehüllt, saß Jo immer wieder in einer Ecke des Gasthauses und beobachtete das Geschehen um mich herum. Doch ich sah ihn nicht, denn er wollte nicht das ich ihn sehe.
Ich jedoch verzehrte mich in meinem Inneren nach Jo. Nach seinen Augen, seinem Lächeln, seiner Umarmung. Oh welch verfluchter Teufelskreis! Ich schalt mich immer wieder, wie ich nur so dumm gewesen sein konnte sein Vertrauen so zu verraten. Die Liebe hielt mich in ihren Fesseln und es gab kein Vor und kein Zurück, aber ich wollte nicht resignieren. Niemals! So versuchte ich mich durch die Arbeit abzulenken.
Jedes Mal wenn ich in Samuels Armen lag dachte ich nur an Jo, auch wenn ich es niemals gewagt hätte Samuel zu verlassen. Ich war in einem vollkommenem Zwiespalt der mich zu zerbrechen drohte. Eine bittere Medizin für meine zerbrechliche Seele...
Diese ganzen Dinge machten mich so krank, dass ich sehr bald aufhören musste im Gasthaus zu arbeiten. Ich wurde Bettlägerig und der Arzt machte sich große Sorgen, da er nicht sagen konnte was mit mir los war. Dass es meine Seele war die rebellierte, das sah keiner, oder wollte keiner sehen, ich war mir da nicht sicher.
Der Arzt verordnete einen Klimawechsel, ich sollte aus dieser vernebelten und versifften Stadt in ein warmes Klima gebracht werden. So wurde ich an Bord eines Schiffes gebracht, wo ich unter ständiger Kontrolle von einem Arzt stand.
Samuel war in dieser Zeit eng an meiner Seite und meine Liebe zu ihm festigte sich langsam aber sicher wieder. Es war als würde Jo aus meiner Seele gerissen werden, als würden sich trübe Schleier über mein Sein legen und mich in einer gewissen Abstinenz von der Realität wiegen. Das Fieber hatte mir jegliche Kraft geraubt und man glaubte schon nicht mehr daran das ich genesen könnte...
Unendlich viele Tage reisten wir über das Meer, so viele Monde und Sonnen streiften an meinem kleinen Fenster vorbei, während ich wortlos in die Leere zu starren schien. Die Wellen schaukelten mich von einem Traum in den Nächsten und ich hörte seine Stimme immer weiter in der Ferne klingen. Er rief meinen Namen, ich sah seine Augen vor mir leuchten und es zerriss mich immer mehr.
Warum nur musste ich ihn lieben, warum nur tat es so unendlich weh? Warum nur musste mein Leben mich so mit Schmerz und Melancholie bestrafen? Tränen liefen über mein Gesicht, die ersten Tränen die ich wirklich weinen konnte, seit dem Tag wo ich ihn nicht mehr gesehen hatte. Stumm blickte ich durch Tränenverspiegelte Augen hinaus zum blauen Himmel, wo ich die ersten Möwen fliegen sah. Und ich wusste, wir waren angekommen, wo auch immer. Denn wo Möwen sind, da musste auch Land sein...
Wir waren nach Spanien übergeschifft, ein Land dessen Wärme mich tief in der Seele berührte. Hier roch ich den Duft der Freiheit, nach der ich mich sehnte. Und kaum das ich einen Fuß in dieses Land setzte, schien sich mein Gesundheitszustand drastisch zu verbessern. In mir breitete sich das Gefühl aus, als wäre ich endlich nach Hause gekommen. Auch wenn ich noch niemals hier gewesen war.
Irgendwie fühlte ich in diesem Land die Anwesenheit von Jo. Ich zitterte innerlich der wahrscheinlich unvermeidbaren Begegnung entgegen. Aber unter welchen Umständen wir uns wiedersehen sollten, das hätte ich mir niemals auszumalen gewagt...
Eine kleine Hütte am Stand war nun unser Zuhause. Es erinnerte mich doch sehr an das Häuschen wo Samuel und Jo aufgewachsen waren. Eine ähnlich wohlige und angenehme Atmosphäre und der Geruch von frischen Blumen empfing uns herzlichst. Ruhe breitete sich in meinen Gedanken aus, Entspannung, als wenn ein schwerer Mantel von den Schultern gerutscht wäre. Vom ewigen Winter in den ewigen Sommer gestoßen, begann meine Seele endlich wieder aufzutauen...
Ein Piano stand vor den riesigen Glastüren, durch die man auf die Terrasse kam, wo man auf das ewig schäumende Meer blicken konnte. Sein Klang wiegte mich in tiefen Schlaf, der mir süße Träume bescherte und mich endlich wieder ruhen ließ. Der Doktor spielte des Abends öfter mal auf dem Piano solch wunderschöne Weisen, dass man oftmals weinen mochte über das Leben und die Verzweiflung der Liebe.
Der nächste Morgen hatte mir schon etwas Linderung gebracht, auch wenn es noch eine Weile dauern sollte bis ich wirklich wieder aufstehen und an den weiten Ufern des blauen Meeres spazieren gehen konnte.
Meine Wangen waren wieder rot erleuchtet und die Augen blickten fröhlich aus dem lächelnden Gesicht. Ich hatte wieder zu mir selbst gefunden. Der Arzt war voller Zuversicht und Samuel war sehr glücklich darüber, dass es mir besser ging...
Der erste Schritt, den ich auf dem Strand machte, erfüllte mich mit so viel Energie und Lebensfreude, mit so viel Sehnsucht und Gedanken, dass ich mich auf meinen wackligen Beinen doch noch etwas unsicher fühlte. Aber die Schwäche wich der Kraft und ich wusste, der Bann war endlich gebrochen.
Jo war noch immer in meiner Nähe und er erfreute sich an jedem Fortschritt den ich machte. Doch noch immer blieb er im Verborgenen, meinen Augen und Gefühlen weit entfernt. Manchmal wünschte ich er hätte sich bemerkbar gemacht, nur für eine Sekunde, nur für einen Augenschlag. Aber es war wohl unser Schicksal...
Am Liebsten wäre ich für immer in diesem Lande geblieben. Am Liebsten hätte ich niemals mehr einen Fuß auf ein Schiff gesetzt, das mich wieder zurück fahren würde. Und doch kam dieser Tag, ein ziemlich trauriger Tag für meine Seele.
(c)by Arcana Moon