Sie hatte es geahnt, sich ihr Leben lang schon mit diesem Gedanken auseinandergesetzt, ihn tunlichst verdrängt und war doch immer wieder daran erinnert worden. Je älter sie wurde, zunehmend dringender.
Ihre beste Freundin redete bereits seit über zwanzig Jahren deswegen drängend auf sie ein:
"Tu`es endlich. Nimm` es endlich in Angriff. Du brauchst` es, glaub mir!"
Nun war Claudia 53 Jahre und zögerte immer noch, obwohl sie deprimiert jenen Hinweis vor sich selber inzwischen als mehr als berechtigt akzeptierte. Sie hatte es eingesehen und zögerte trotzdem. Es waren vielerlei Ängste, die sie vor dem entscheidenden Schritt zurückhielten.
Ja, es war unumgänglich geworden. Sie musste sich dem stellen. In Claudias Herzen wühlte es. Der in ihrem Kopf unaufhörlich und unvermeidbar wirbelnde Gedankenwust quälte sie Tag und Nacht, ließ ihr einfach keine Ruhe mehr.
Täte sie wirklich jenen Schritt, hätte sie vor Familie, Freunden, Bekannten und aller Öffentlichkeit zu ihrem Problem zu stehen. Sie zählte ab dann zu einer Minderheit, der man entweder mit übertriebener Hilfsbereitschaft, mehr oder weniger deutlich distanziert oder im schlimmsten Falle sogar mit Ablehnung begegnete. Jede dieser Verhaltensweise verletzte, selbst betont nettes Entgegenkommen. Alles machte ihr unzweideutig klar, dass sie anders war als andere.
Noch viel mehr beschäftigte es sie, wie es dann sein würde, wenn...:
„Wie werde ich mich selber, wie werde ich meine Umwelt erfahren?
Werde ich mich mit der Umstellung recht schnell arrangieren oder mich über lange Zeit von allen zurückziehen, aus Scham und mich dann beherrschender Unsicherheit?
Werde ich noch voll anerkannt werden?“
Es tröstete sie nicht im mindesten, dass sie sich zugestehen konnte:
„Meine Güte! Ich sollte nach rechts und links schauen und mich dann einfach nur freuen, wie fit und leistungsstark ich noch bin – gesünder als viele Gleichaltrigen.!“
Nichtsdestotrotz blieb die Tatsache bestehen:
„Ich habe mit meinem Problem zu leben, kann froh sein, wenn es nichts Gravierendes nach sich zieht.“
Sie seufzte unglücklich.
Nach –zig schlaflosen Nächten mit und ohne Tränen des Kummers entschied sie sich, von nun an konsequent alles dazu zu tun, um den drohenden Depressionen auf keinen Fall eine Chance zu geben, sie niederzudrücken.
„Ich lasse mich nicht hängen. Ich werde kämpfen. Gegen meine Ängste, gegen mein schwindendes Selbstbewusstsein und für ein Leben voll wieder vermehrter Fröhlichkeit.
Ich werde es schaffen!“
Sie atmete tief durch. Die Entscheidung war gefallen und befreite sie von der zentnerschweren seelischer Last, die sie all die Jahre so sehr belastet hatte.
Am nächsten Morgen setzte sie sich in die S-Bahn, fuhr in die Stadt, betrat ein Akustikergeschäft und erklärte selbstsicher mit fester Stimme:
„Ich benötige ein Hörgerät!“
Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.