Das Begräbnis

Erzählung zum Thema Trauer/Traurigkeit

von  Mondsichel

Vor zwei Tagen besuchte mich dann der alte Brockheim. Auf seiner Seele lag die Schuld, seinen Sohn an das Messer geliefert zu haben, was er zutiefst bereute, auch wenn er ihm damals in seinem Hause noch mit der Gendarmerie gedroht hatte.
Schwer geschlagen von den Ereignissen sprach er mit mir über Jo, den er trotz allem was vorgefallen war, immer noch liebte. Denn er erinnerte ihn sehr an seine verstorbene Frau, er hatte ihre Charakterzüge geerbt. Vielleicht war dies auch der Grund, warum er sich so mit ihm verstritten hatte. Denn der Gedanke jedes Mal an seine Frau Francesca erinnert zu werden, wenn sein Sohn mal wieder seinen Kopf durchsetzte, war ein Schmerz, der tiefer ging als jedes andere Gefühl.
Auf seinem Wunsch hin erzählte ich ihm von Jo und von den Menschen, die wir unsere Familie genannt hatten. Von der Zeit die wir miteinander verbracht haben, von dem versteckten Leben das wir führten.
Der gebrochene Mann hatte Tränen in den Augen. Er begriff, dass alles was sein Sohn gesucht hatte, eine Familie war, die ihm sein Vater nicht mehr geben konnte. Mit dem Tod von seiner Frau Francesca hatte mein Schwiegervater auch das Kapitel Familienverhältnisse abgeschlossen. Die Freiheit, die Jo sich so sehr wünschte, hatte er nun endlich gefunden. Auch wenn es eine Fahrkarte in das Reich der Schatten gewesen war...

Der alte Brockheim wollte mich nicht einfach so meinen Schicksal überlassen. Auch wenn er genau wusste, dass er mich vor dem Galgen nicht bewahren konnte, so wollte mir trotzdem noch einen letzten Wunsch erfüllen. Denn er hatte mich sehr liebgewonnen und die Vorstellung mich jetzt auch noch zu verlieren, brannte lichterloh in ihm.
Auch fühlte er sich schuldig für alles was geschehen war, für den Tod seines Sohnes, für Samuels Einweisung in die Irrenanstalt, für meine Hinrichtung. Das konnte er kaum ertragen, doch diese Last konnte ich ihm nicht nehmen. Auch nicht mit dem Wunsch, den er mir gerne erfüllen würde. Ich wusste jedoch, dass er alle Hebel in Bewegung setzen würde, um meinen letzten Wunsch zu erfüllen.
Ich brauchte nicht lange überlegen, da war nur eines was ich noch tun wollte. Man hatte mir alles genommen was ich liebte, dafür gab es keinen Trost und diesen Schmerz konnte auch keiner stillen. Doch wenigstens sein Grab wollte ich besuchen, um die große Angst, vor dem was kommen würde, vielleicht ein wenig zu bändigen.
Ich wollte abschließen mit all dem was passiert war und nur ein einziges Mal an seiner letzten Ruhestätte beten. Auch wollte ich die Nähe spüren, der ich schon sehr bald folgen sollte. So bat ich Jo’s Vater darum, bei den Behörden ein gutes Wort für mich einzulegen. Denn mir selbst würde man diesen Wunsch vermutlich sofort ausschlagen.
Aber zu meinem Entsetzen erfuhr ich von ihm, dass Jo kein Grab hatte und in irgendeinem Bunker vor sich hin gammelte. Die Behörden hatten seine Leiche noch nicht freigegeben. „Verbrecher beweint man nicht“ hieß es in der Erklärung.
Diese Erkenntnis war für mich schlimmer als der Tod, dem ich ins Auge blickte. Nein, wenn er schon nicht in Würde sterben konnte, so sollte er wenigsten eine eigene Grabstelle haben. Ich bat ihn darum die Überreste von Jo würdig bestatten zu lassen. Dort am Meer, das er so sehr geliebt hat...

Der Bürgermeister hatte durch diesen Skandal sein allgemeines Ansehen zwar nicht verloren, dennoch hielt das Gericht es für besser, den Namen von Jo für immer in Vergessenheit zu bringen. Selbst unter dem Aspekt das sein Vater keinen Ort hatte, wo er um seinen Sohn trauern konnte. Im Grunde jedoch ging es nur darum, dass keiner seinen Kopf dafür hinhalten müsste, wenn diese Peinlichkeit außerhalb des Ortes bekannt werden würde. Immerhin war der alte Brockheim eine angesehene Persönlichkeit.
Der war vom Verlust seines Sohnes noch so gezeichnet, dass er es bisher nicht gewagt hatte, der Obrigkeit zu widersprechen. Auch wenn er es niemals im Leben verkraften würde, wenn er nicht einmal ein Grab besuchen könnte.
Meine Bitte gab ihm jedoch neue Kraft, dies auch für seinen Sohn zu verlangen. Seine Frau hatte auch eine Ruhestätte, die er sehr oft besuchte. Wo er mit ihr sprechen konnte, als wäre sie noch da. Wie oft hatte er sie um Rat gefragt, wie oft ihre Stimme in Gedanken gehört. Dies hatte ihm geholfen den schmerzlichen Verlust zu verarbeiten.
Jo war vielleicht nicht der Sohn den der alte Brockheim sich immer gewünscht hatte, er war vielleicht ein Mörder und Pirat, aber selbst in der schlimmsten Zeit, ist die Familie der wichtigste Rückhalt. Weil er ihm in Leben kein richtiger Vater sein konnte, wollte er ihm wenigstens im Tod noch ein wenig Würde zurückgeben...

Nach einigen Schwierigkeiten mit dem Gericht, welches sich anfangs immer noch querstellte, bekam der alte Mann schließlich doch noch recht. Jo’s Überreste wurden endlich doch freigegeben und ich durfte an einem kleinen Begräbnis am Meer dabei sein. Das Tageslicht stach mir unangenehm in die Augen. Ich war so sehr an die Dunkelheit gewöhnt, dass ich im ersten Moment glaubte ich würde erblinden.
In Begleitung von vielen Soldaten, die eine mögliche Flucht von mir verhindern sollten, wurde er an dem Strand vor dem Haus begraben, wo wir uns damals immer wieder im Sonnenaufgang getroffen hatten. Der alte Brockheim hatte keinen Mühen gescheut, diesem Tag eine feierliche Note zu geben, auch wenn es ein sehr trauriges Ereignis war, zu dem wir zusammen gekommen waren. Meine Mutter, meine Schwestern und mein Bruder waren ebenfalls anwesend. So gaben wir Jo in engstem Kreise die letzte Ehre.
Nun stehe ich hier und die letzten Tränen, die noch in mir sind, fallen auf das kleine Grab. Nachdenklich streichle ich über den Sand und den Grabstein, in dem auch mein Name schon eingemeißelt steht. „Der Ruf der Freiheit hat Euch in die Ferne geführt. Mit Engelsflügeln seid ihr hinfort geflogen. Nun seid ihr wahrhaftig frei von allen Grenzen.“ ist als letzter Gruß darauf geschrieben. Es schnürt mir den Hals zu, wenn ich daran denke, dass ich bald ebenfalls dort liegen werde. Doch ich weiß ebenfalls, dass das Leben mich nicht mehr glücklich machen würde.
„Wohin uns die Winde auch wehen mögen, wir werden immer an Eurer Seite stehen. Und wenn der Ruf der Freiheit Euch erreicht, dann werden wir uns wiedersehen“ flüstere ich als letzte Worte den Anwesenden zu. Denn es ist Zeit zu gehen. Noch ein letzter Blick auf das Meer, in dessen Wellen ich Jo meinen Namen rufen höre.
Meine Mutter beginnt schrecklich zu weinen, als die Wachen mir wieder Ketten anlegen und mich fortführen. Schweigend und in mich versunken kehre ich wieder zurück in das Gefängnis, zurück in die Dunkelheit. Nur noch wenige Stunden, dann wird auch meine Stunde geschlagen haben. Die Gedanken wollen heute nicht mehr ruhen...

(c)by Arcana Moon


Anmerkung von Mondsichel:

Letztes Kapitel morgen. "Der letzte Gang" zittert schon seinem Ende entgegen...

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Kommentare zu diesem Text

seelenliebe (52)
(17.07.06)
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