"Por favor" [oder: warum das Geld nicht auf der Straße liegt]

Kurzgeschichte

von  apocalyptica

„Por favor…“ flüsterte Pablo, immer wieder nur diese zwei Worte „por favor“. Dabei strich er der hellhäutigen Dame leicht über die Hüfte mit seinen kleinen, klebrigen Fingern. Dann hielt er ihr die ausgestreckte Hand entgegen und seine dunklen Augen flehten sie an. Por favor, nur ein paar Pesos, dachte er dabei. Der heutige Tag war nicht gut gewesen, nur wenige Touristen hatten das abgelegene Fischerdorf besucht. Und sie waren nicht gerade spendabel gewesen, sie hatten die Kinder weggescheucht wie lästige Insekten.  Eine sehr korpulente junge Frau hatte Pablo mit großer Geste ein paar Bonbons geschenkt, diese kleinen süßen Zuckerstückchen, die er so liebte. Eins davon hatte er noch in der Tasche seiner ausgefransten, viel zu großen Hose, die hatten vor ihm schon seine zwei größeren Brüder getragen. Immer wieder griff Pablo nach der kleinen Köstlichkeit, um sich zu vergewissern, dass sie noch in seiner Tasche steckte.

Gleich würde die Sonne untergehen und Pablo hatte Angst, Angst vor der Dunkelheit und noch mehr Angst vor seinem Vater. Ohne Pesos traute Pablo sich nicht heim, sein Vater würde ihn wieder bestrafen und ihn ohne Abendessen ins Bett schicken, wie schon an so vielen anderen Abenden. Und der Vater würde wie immer betrunken sein, das wenige Geld, das seine Kinder nach Hause brachten, versoff er stets. Etwas anderes hatte Pablo in seinen knapp fünf Lebensjahren noch nicht kennen gelernt.

Aber vielleicht hatte seine kleine Schwester Maria ja mehr Glück gehabt, sie verkaufte Muscheln an die Touristen, die zu faul waren, selbst am Strand entlang zu laufen und sich danach zu bücken. Und Maria erzählte den Besuchern die Geschichte der Insel, auf der die Familie in einer kleinen baufälligen Wellblechhütte lebte, ohne Strom und sonstigen Luxus. Die Touristen hörten oft lachend zu, sie verstanden meistens kein Wort. Sie verstanden auch nicht die Armut der Kinder, aber hin und wieder griffen sie in die Taschen und holten ein paar klimpernde Münzen heraus, um sie der siebenjährigen Maria zu schenken. Maria träumte ohnehin nur noch davon, endlich größer zu werden.

Dann konnte sie endlich wie ihre große Schwester Juanita in das Einkaufszentrum der nahen Großstadt gehen und würde dort mehr Geld verdienen. Maria erinnerte sich noch immer an Juanitas zwölften Geburtstag, da hatten der Vater und der Onkel gesagt, Juanita sei nun „eingefahren“ genug. Am Tag danach hatten sie die große Schwester in die Stadt gebracht und ihr noch ein paar Gesten erklärt, sie dann allein zurückgelassen.  Eingefahren, Maria wusste nicht, noch nicht, was das bedeutete und sie wusste auch nicht, wie bald sie es erfahren würde.

Als Juanita eine Woche später zurückkehrte, brachte sie ein kleines Bündel fremdartiger Geldscheine mit. Und sie war wunderschön gekleidet, aber ihr Gesicht hatte sich verändert. Anstatt sich über den Reichtum zu freuen, mit dem sie nun anstelle des Vaters die Familie ernähren konnte, weinte sie bittere Tränen. Und seither weinte sie jedes Mal, wenn sie aus der Stadt zurückkam, und das verstand Maria auch nicht, noch nicht. Sie war ja schließlich erst sieben…

[…]


Anmerkung von apocalyptica:

Ich möchte in diesem Zusammenhang auch auf das Elfchen
  Bangkok von Ikarus und Obar75 hinweisen.

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Kommentare zu diesem Text


 Maya_Gähler (05.03.07)
Liebe Bea,
ein sehr zu Herzen gehender Text. Und das Schlimme daran ist, dass das Geschilderte sehr real ist....
Nachdenkliche Grüße von deiner Maya

 apocalyptica meinte dazu am 05.03.07:
Es ist in der Tat real, absolut und jeden Tag aufs Neue. Viel zu viele junge Mädchen, Kinder noch, müssen diesen Weg gehen....
Traurige Grüße zurück an dich von der -bea
Nunny (73)
(05.03.07)
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 apocalyptica antwortete darauf am 05.03.07:
Danke, liebe Gisela, für deinen Kommentar und deinen Klick. Das Thema bewegt mich tatsächlich und ich denke, ich habe es noch relativ harmlos dargestellt. Vielleicht magst du auch das heutige Elfchen von Ikarus und Obar 75 zum (eigentlich) gleichen Thema einmal lesen, aus Zufall hatten wir wohl ähnliche Gedanken!
Ich grüß dich lieb,
die -bea
Nunny (73) schrieb daraufhin am 05.03.07:
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StefanP (58)
(05.03.07)
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 apocalyptica äußerte darauf am 08.03.07:
Und selbst wenn darüber berichtet wird, wird alles oft genug als Kavaliersdelikt abgetan...es ist einfach eine Schraube ohne Ende und es fällt sicher schwer, selbst wenn man eine Lösung findet, dann beiden Seiten gerecht zu werden...den Mädchen, die keinen anderen Weg aus der Unterdrückung und der Armut finden und sich dafür selbst verkaufen und den Männern, die das "Angebot" annehmen, ohne sich Gedanken darüber zu machen, die die Mädchen ausschließlich als Kaufobjekt betrachten...ich könnte seitenweise darüber schreiben und finde ebensowenig eine Lösung. Hatte schon an anderer Stelle mit Obar75 weiter gehend darüber geredet, vielleicht schaust du mal rein?!
Danke für deine Zustimmung und herzliche Grüße,
die -bea

 Néniel (21.03.07)
eine geschichte aus der welt gegriffen, die zu herzen geht, meine liebe bea. wieviel elend gibt es auf der erde, und du hast nur einen klitzekleinen teil davon niedergeschrieben. es macht wütend, traurig und so nachdenklich. nur wird es sich jemals ändern? und ich denke immer wieder; mir gehts schlecht, dabei sind meine probleme ein regentropfen in einer sinnflut. ich drück dich lieb meine große, mit herzgrüßen, von deiner kleinen schwester, ive.
AnnaKarenina (31)
(20.12.07)
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