a-u [oder: Paul]

Kurzgeschichte zum Thema Achtung/Missachtung

von  apocalyptica

Für mich heißt er Paul. Er hockte in Lauerstellung am Schlossteich, als ich ihn entdeckte, und balancierte seinen viel zu großen Kopf auf den schmächtigen Schultern, dabei ließ er den nahen Mülleimer nicht aus den Augen. Ich hatte ihn hier im Park noch nie getroffen, obwohl ich fast jeden Tag herkam. Plötzlich bemerkte er, dass ich ihn beobachtete und ein freudiges Lächeln ließ seine himmelblauen, schräg gestellten Augen und eigentlich sein ganzes Gesicht aufblitzen.

Ungelenk richtete er sich auf und kam auf seinen stämmigen Beinen auf mich zu, streckte mir seine kleine Hand entgegen und strahlte mich einfach nur an. Hallo, sagte ich, wer bist denn du? Seine Antwort war ein undeutliches a-u, er sprach beide Vokale einzeln aus, legte seine Stirn in krause Falten und deutete auf mich. Ich stellte mich auch vor, ich bin die Bea, und er wiederholte e-a, e-a, es war ihm mehr als deutlich anzumerken, wie sehr er sich freute, einen Kontakt geknüpft zu haben. Nun, es würde schwierig werden, mit ihm eine Unterhaltung zu führen, doch irgendetwas an ihm faszinierte mich und ich wollte ihn auch nicht enttäuschen. Auf einmal aber stolperte er los so schnell er konnte und rief dabei a-ia, ja! Was auch immer a-ia heißen sollte, war mir nicht klar, erst als er eine Zeitung aus dem Papierkorb fischte, die ein Passant gerade hineingeworfen hatte, mutmaßte ich, dass es wohl Papier heißen sollte…a-ia.

Er nahm die Zeitung mit zu seinem ursprünglichen Platz am Teich und ging dort wieder in die Knie. Deshalb also hatte er die ganze Zeit den Papierkorb nicht aus den Augen gelassen! Er breitete die Gazette aus, strich sie sorgfältig glatt und zerteilte dann die Doppelseiten in jeweils zwei einzelne Bogen. Dabei ging er ungeheuer behutsam vor, um bloß nichts zu beschädigen. Was sollte das werden? Ich hatte keine Ahnung. Doch dann rief er mir zu…e-a, e-a! Sicher wollte er mir etwas zeigen! Er deutete auf den Platz an seiner Seite und ich hockte mich neben ihn. Sofort reichte er mir eines der Blätter und deutete auf den Boden, ich sollte es vor mir hinlegen.

Dann kamen seine Kommandos: inks…echs…bn…ntn! Während er sprach, faltete er seine Zeitung von links nach rechts, von oben nach unten und ich tat es ihm mit wachsendem Erstaunen gleich. Seine Finger waren plötzlich ungeheuer flink und geschickt, die Handbewegungen schienen ihm absolut vertraut, und ich hätte Probleme gehabt mitzuhalten, wenn ich nicht einigermaßen schnell erkannt hätte, was da unter unseren Händen entstand: zwei Papierschiffchen!

Noch ein letztes Falten, Zupfen, Richten…und fertig waren die beiden Boote, dabei ließ er es sich nicht nehmen, meines noch ein wenig in der Form zu korrigieren, er war tatsächlich sorgfältiger gewesen als ich und hatte die jeweiligen Ecken absolut akkurat übereinander gelegt. Während der „Arbeit“ hatte sich sein Gesicht vor Freude gerötet und seine Zunge glitt vor lauter Anspannung ständig über seine Lippen, bis er dann den Startschuss gab: assa, assa! Zu Wasser also mit den Schiffchen!

Gleichzeitig setzten wir die Papierboote in den Teich und er pustete, was seine weit aufgeblähten Wangen nur so hergaben, damit sich die Papierschiffchen in Bewegung setzten. Kurz darauf sprang er vor lauter Stolz auf und unter seinem Jubel vollführte er einen wahren Freudentanz. Der Triumph währte jedoch nicht lange…das weiche Zeitungspapier saugte sich viel zu schnell voll Wasser und die Boote wurden fahruntüchtig. Die Enttäuschung war seinem Gesicht anzumerken, aber er griff sofort zum nächsten Zeitungsblatt und mit schlafwandlerischer Sicherheit falzte er das nächste Papierschiffchen, während er mich selig anstrahlte, er hatte sicher schon sehr, sehr oft diese Handbewegungen vollbracht!

Er wusste scheinbar nicht, dass das nächste Papierschiff das gleiche Schicksal ereilen würde, oder aber es interessierte ihn nicht. Er war einfach überglücklich, dass er es überhaupt schaffte, Boote zu basteln und dass ich ihm dabei zuschaute, ihn lobte, mit ihm lachte und mich mit ihm freute! Und…dass ich ihn akzeptierte so wie er ist…klein, ungelenk und mit einem viel zu großen Kopf auf den schmalen Schultern. a-u…Paul!

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Kommentare zu diesem Text


 Isaban (10.07.07)
Ein sehr berührender Text über eine berührende Begegnung.
Ich persönlich würde die letzten beiden Zeilen (ab dem Ausrufezeichen) einfach weglassen, der Leser weiß auch so, was du sagen, was du zeigen willst. Sie gefällt mir wirklich gut, deine Geschichte.

Liebe Grüße,
Sabine

 apocalyptica meinte dazu am 10.07.07:
Danke, liebe Sabine, für deinen tollen Komm und das Sternchen zu meiner Rechten. Danke auch für den Rat, den du mir gibst. Dennoch - ich liebe es, meine Geschichten "einzurahmen", indem ich am Ende den Anfang wieder aufnehme, ist vielleicht nur ein Tick von mir! ;)
Herzliche Grüße, die -bea
zackenbarsch† (74)
(10.07.07)
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 apocalyptica antwortete darauf am 10.07.07:
Auch dir, lieber Friedhelm, meinen ganz herzlichen Dank! Ich wollte dir zwar sicherlich nicht die Nachtruhe rauben, aber ich denke, du konntest auch anschließend gut schlafen, denn die Geschichte war ja ruhig und besonnen....
Viele liebe Grüße, die -bea
mmazzurro (51)
(10.07.07)
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 apocalyptica schrieb daraufhin am 10.07.07:
Das liegt wohl daran, dass ich zunächst einmal alle Menschen "liebe" und jedem eine Chance gebe. Das dann gepaart mit meinem Einfühlungsvermögen und Beobachtungsgabe, mit der nötigen Ruhe und Ausdauer...das Ergebnis hast du vorliegen. Danke von Herzen, lieber Werner, und danke auch für deinen Wieder-Willkommensgruß!
Liebe Grüße in deinen Abend, die -bea
steinkreistänzerin (46)
(10.07.07)
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 apocalyptica äußerte darauf am 10.07.07:
Du Liebe, ich denke wirklich, dass jeder Mensch eine Chance verdient hat und dass viele Menschen verkannt werden, nur weil irgendetwas sie anders erscheinen lässt. Tief drinnen haben sie doch auch ein Herz und eine Seele, Gefühle....der Kleine war soooo unbändig glücklich, und das strahlt aus! Da könnte manch einer viel lernen!
Danke für deinen Komm und und...und auch für deine weiteren lieben Worte!
Sei herzlich gegrüßt von deiner -bea =)
shadowhunter (28)
(10.07.07)
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 apocalyptica ergänzte dazu am 10.07.07:
Hab ganz doll lieben Dank für deinen Komm und den Extraklicker! Ja, ich beobachte gerne die Menschen, denn hier ist nicht nur Phantasie in meine Geschichte eingeflossen, sondern auch der tatsächlich existente kleine Junge hat viel dazu beigetragen. Er hat mich einfach fasziniert und ich würde ihm gerne die Geschichte vorlesen....
Herzliche Grüße in deinen Abend, die -bea =)
orsoy (56)
(10.07.07)
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 apocalyptica meinte dazu am 10.07.07:
Hab herzlichen Dank, liebe Konni, für diesen Komm und die weiteren lieben Worte! Ich habs eben schon gesagt...das Lob gebührt eigentlich dem kleinen Jungen, der mir gezeigt hat, worauf es auch im Leben ankommen kann und mit wie wenig man auch glücklich sein kann, aber das vergessen wir wohl immer wieder allzu schnell....
Ich versetze mich aber auch unendlich gerne in andere Menschen und kann sie so sicher oft viel besser verstehen und...darüber schreiben!
Ganz doll viele liebe Grüße und bis bald, die -bea
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