Geplatzte Träume

Kurzgeschichte

von  apocalyptica

Sie saß dort, ihr schmaler Rücken lehnte sich an den Stamm der alten Eiche. Ja, Ina war schmal, mager schon, und hätte man von der anderen Seite geschaut, wäre sie vom Baumstamm völlig verdeckt gewesen. Aber wer schaute schon nach ihr? Keiner. Keiner sah sie dort sitzen. Sie war völlig allein mit sich und ihren Gedanken. Sie schluckte.

Das Laub am Boden war warm und weich, gerade so wie ein Sitzkissen, ein Polster. Hin und wieder blinzelte die Sonne hinter den Wolken hervor, um dann sofort wieder zu verschwinden. Ja, der Tag war ideal, geradezu wie geschaffen. Denn jedes Mal, wenn ein Sonnenstrahl sich blicken ließ, pustete Ina eine Seifenblase in die Luft. Innerlich musste sie leise lachen, leise und wehmütig. Wieder schluckte sie.

Als Kind hatte sie sich immer Seifenblasen gewünscht, aber die Lösung aus Spülmittel und Wasser, die die Mutter ihr angerührt hatte, war meistens viel zu wässrig gewesen, die Blasen hatten nie lange gelebt. Dennoch, Seifenblasen hatten sie immer schon fasziniert mit ihrem bunten Schillern. Und nun endlich hatte sie die perfekte Mischung gefunden. Für so vieles.

Da, ein Sonnenstrahl! Schnell tauchte sie den Plastikring in die Flüssigkeit, spitzte die Lippen und pustete…wie eine Kristallkugel glitzerte die Blase und schwebte durch die laue Luft. Diese Blase bekam den Namen Glück. Und es dauerte nicht lange, da platzte die Blase, genau so, wie Inas Traum vom Glück.

Geträumt hatte sie oft, sie hatte auch viele Wünsche gehabt. Doch die meisten ihrer Wünsche –oder waren es alle?- waren nicht in Erfüllung gegangen, sie waren geplatzt wie Seifenblasen. Geplatzt. Hatte sie zu große Wünsche gehabt? Nein, sie hatte sich nur nach ein bisschen Glück gesehnt, etwas Wärme, ein wenig Liebe. Alles war ihr versagt geblieben. Und so saß sie nun hier in ihrer Verzweiflung, schluckte wiederum und pustete die nächste Seifenblase in den Himmel, Wärme. Ina sah ihr hinterher, wie sie sich drehte und ihre wunderschönen Farben leuchteten…bis sie sich mit einem leisen pling! beinah in Luft auflöste. Beinahe, denn ein Wassertropfen blieb übrig und fiel, wie Regen fast, in Inas Gesicht. Mischte sich dort mit ihren Tränen, denn auch Wärme hatte Ina bei den Menschen in ihrer Nähe nur selten empfunden. Und auch jetzt begann sie zu zittern und zu frieren, trotz der wärmenden Sonnenstrahlen.

Immer mehr Blasen pustete sie in die Luft und immer mehr unerfüllte Wünsche schickte sie damit auf die Reise, auf die Reise ins Nichts, denn alle Blasen platzten ebenso wie die unerfüllten Träume. Sie lösten sich auf, wurden zu Erinnerungen und verschwanden, bis auf einzelne Tröpfchen, die Ina kaum mehr spürte.
Langsam wurde sie müde, träge. Sie war tief versunken in ihrem Denken. Das Bild eines kleinen Mädchens erschien ihr, das Mädchen mit den Schwefelhölzchen. Ob es sich auch so verlassen gefühlt hatte? Ach…es hatte doch in den Flammen nur Schönes gesehen und sich an dem Feuer gewärmt. War dann mit einem glücklichen Lächeln eingeschlafen…für immer.

Einschlafen? Ina gähnte, als sie ein letztes Mal den Plastikring eintauchte und ihre Luft hauchte, ein letztes Mal, für den letzten unerfüllten Wunsch, den nach Liebe. Die Blase wuchs und wuchs, wurde immer größer und runder, immer bunter und strahlender, bis sie sich vom Ring löste und kurz darauf sanft zu Boden glitt. Das Funkeln übte eine ungeheure Faszination auf Ina aus und zog sie magisch an. Tief versonnen starrte Ina in das muntere Farbenspiel, bevor sie ein letztes Mal schluckte. Sollte die Liebe etwa bleiben wollen, dort auf dem warmen, weichen Blätterpolster?

Nur langsam verloren die Farben an Intensität…und dennoch…auch der Traum von der Liebe zerbarst. Das Bild des Mädchens mit den Schwefelhölzern tauchte noch einmal kurz auf und das kleine Mädchen streckte verlockend die Arme nach ihr aus, bevor Ina endgültig einschlief. Mit einem glücklichen Lächeln…

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Kommentare zu diesem Text

seelenliebe (52)
(07.10.06)
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 apocalyptica meinte dazu am 17.10.06:
Ja, meine liebe Anne, ein bisschen Ina steckt sicher in jedem von uns! Und die Hoffnung...die sollten wir uns nie nehmen lassen, auch wenn es oft schwerfällt! Lächeln, Anneschwester, lächeln!
Ich dank dir lieb und grüß dich von Herzen,
deine -bea
Einzigartig (42)
(07.10.06)
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 apocalyptica antwortete darauf am 17.10.06:
Solange man in der Lage ist, die schönen Seiten zu betrachten, sollte man es sicher auch so tun, lieber Stefan. Aber in jedem Leben gibt es dennoch leider Momente der Resignation...und da geht manchmal die bunte Farbe verloren.
Hab ganz lieben Dank und herzliche Grüße,
die -bea

 Néniel (07.10.06)
oh wie traurig, liebe bea. und doch eine warme geschichte. seifenblasen platzen nunmal, aber jeder mensch wird ein bisschen glück finden und sei es nur in sich selbst. oft muss man nur genauer hinsehen. ich fand auch schön, dass du das mädchen mit den schwefelhölzern eingebaut hast, das märchen mochte ich schon immer. als kleines mädchen habe ich es oft gelesen und auch heute mag ich es noch. leise wehmut klingt in deinen zeilen, und sie berührt, trifft ins herz.

sei lieb gedrückt, deine ive-sis.

 apocalyptica schrieb daraufhin am 17.10.06:
Ja, liebe kleine sis, das ist eines meiner Lieblingsmärchen...ich brech jedes Mal in Tränen aus, wenn ich mir vorstelle, wie das Mädchen dort sitzt und in die Flammen schaut...voller Hoffnung und Zuversicht...
Ganz liebe Grüße dir,
die -bea
orsoy (44)
(09.10.06)
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 apocalyptica äußerte darauf am 17.10.06:
Danke, liebe Konni, für dein ebenso wundervolles Lob!
Herzliche Grüße,
die -bea

 modernwoman (09.10.06)
liebe bea, seelenliebe hat sicher recht, wenn sie schreibt, so manche wird sich darin wiederfinden. es ist eine schöne, zu herzen gehende geschichte. unsere träume, die seifenblasengleich in ihrer schönheit faszinieren und dann auf dem fasthöhepunkt zerplatzen. ich bin mir auch nicht sicher, ob das mädchen nur einfach schläft. interessanterweise hast du einige sätze vorher etwas angedeutet und nun kann sich der leser selbst etwas aussuchen. eine rundum gelungene geschichte. liebe grüsse, conny

 apocalyptica ergänzte dazu am 17.10.06:
Liebe Conny, ich danke dir dafür, dass du meine Geschichte verstanden hast. So, wie ich sie gemeint habe! Ich wünsche dir, dass möglichst viele deiner Träume in Erfüllung gehen und nicht wie Seifenblasen zerplatzen....
Liebe Grüße,
die -bea

 Sonnenaufgang (09.10.06)
liebe bea, viele solcher träume im leben zerplatzen wie seifenblafen. daran nicht zu zerbrechen ist die kunst. sich die hoffnung bewahren auf wenigsten einen traum. doch ich denke, vieles was man im moment nicht versteht, ist für etwas gut. man reift daran, mit den jahren hat man einen anderen blickwinkel. eine gelungene geschichte. mit gruss von felicitas

 apocalyptica meinte dazu am 17.10.06:
Ich dank dir von Herzen für deine Worte, liebe Felicitas. Es stimmt sicher, dass man auch aus Enttäuschungen sehr viel lernen kann, und der Schmwez wird irgendwann im Laufe der Zeit weniger....auch wenn man zunächst nicht daran glauben mag.
Liebe Grüße,
die -bea
harriebald (67)
(10.10.06)
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 apocalyptica meinte dazu am 17.10.06:
Danke, lieber Hartmut, für deine Anerkennung! Die Geschichte sollte berühren, stimmt schon. Und ich werde sie im Gepäck dabei haben, versprochen!
Bis bald und liebe Grüße,
die -bea
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