Postwurfsendung: Verhaltensmusteränderungsseminar

Groteske zum Thema Allzu Menschliches

von  kirchheimrunner

Postwurfsendung!

Verhaltensmusteroptimierungsseminar!
Change your pattern of behaviour


Heben Sie doch unbekümmert unentdeckte Potentiale ihrer Persönlichkeit.
Verlassen sie die geistige Enge ihrer Vorstellungswelt.
Melden Sie sich noch heute an. Vorzugspreis für Schnellbucher!
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Zuerst klang die Aufforderung ganz interessant:
„Ändere doch einfach deine Befindlichkeit“, sagte ich mir. Vor dem Spiegel neigte ich meinen Kopf hin und her. Ich wollte doch sehen, was mein „alter ego“ von dieser  Idee hielt.

Warum lange überlegen? Ich würde endlich ein anderer Mensch werden. Aus dem beklemmenden Käfig meiner kleinen Welt würde ich ausbrechen können; um all das zu verwirklichen, was mir bisher versagt geblieben war.

Doch mein Spiegelbild machte ein sehr seltsam beleidigtes Gesicht. Gar nicht so, wie ich es eigentlich erwartet hätte. Beim Wegdrehen schien es sogar, dass es den Kopf schüttelte! Wieder diese Enge, diese Begrenztheit; - diese jahrelange Gefangennahme in der kleinen Welt meiner Verhaltensmuster.

„Ich werde meinem „alter ego“ etwas husten!“ Nach dem Verhaltensmusteroptimierungsseminar würde meinem Spiegelbild das Lachen schon vergehen.

Allerdings, bereits am 1. Seminartag, den die renommierte Verhaltenswissenschaftlerin, Frau Dr. Genevievé Schwarzfeger-Noeff gestaltete, wurde mir ein bisschen schummerig:

Wenn man es genau nimmt, und die Angelegenheit mit Ernst und Nachdruck verfolgen wollte, waren an jedem Morgen  im Gemüts- und Verhaltenszentrum sage und schreibe 27 Stellhebel neu umzulegen. Affektive Konditionierung heißt der Vorgang. Bitte die Gebrauchsanweisung genau lesen! Die festgelegten Schritte müssten zwingend in der vorgeschriebenen Reihenfolge durchgeführt werden.

Außerdem: Die Reset – Taste der Auto-Tageseinstellungsfunktionen muss spätestens um 06:45 betätigt werden, um den Leistungsbereitschaftsdownload auch erfolgreich in die markierte ego-zentrik-matrix  zu kopieren.  Bei mir leuchtet seitdem ein rotes LED-Lämpchen, das aufgeregt blinkt, wenn ich etwas falsch mache!

Damit nicht genug! Die Achilles-Ferse einer jeden ernsthaft beabsichtigten Verhaltensmusteränderung ist die genaueste wissenschaftliche Aufarbeitung der eigenen, persönlichen Erfahrungen:

In einem pathologisch- forensischen Verfahren werden menschlich/ partnerschaftliche Erinnerungs- und Versatzstücke detailgenau untersucht. Die wissenschaftlich nachvollziehbare Methode und die heuristischen Problemlösungsstrategien sollten über den mathemathisch nicht nachvollziehbaren empirischen Verfahren stehen. Dazu werden in einem virtuellen Labor mikrometerdünne, gefärbte Gefühlsmuster hergestellt und unter dem unbestechlichen Blick eines Rastertunnelmikroskops beurteilt. Man spricht neuerdings von morphologischer Diagnostik, da anhand des Erscheinungsbildes und des chemisch- biologischen Verhaltens der Gefühlswelterinnerungen,  der abschließende Befund erstellt wird.

Zum Experimentierfeld im Verhaltensmechanismus-Labor  gehören Befindlichkeitsmuster wie: Alterstruktur der Trennungstraumata gescheiterter Beziehungen, Biopsien der latent vorliegenden und nicht ausgelebten sexuellen Phantasien und letztendlich auch mikroinvasive Methoden zur Feststellung moralisch- ethischer und gegebenen falls auch religiöser Fixierungen.

„Keine Sorge, meine Damen und Herren“, versprach die Referentin im vertraulichen Ton: „ Die Untersuchungen am Objekt, werden ja von ihnen selbst und mit größter Sorgfalt durchgeführt.

Aber vergessen sie nicht: Damit Schmerzfreiheit garantiert werden kann, ist es notwendig alles von Bord zu werfen, was dem Mainstream entgegen läuft.

Was dem Zeitgeist entspricht, entnehmen Sie bitte der beiliegenden Broschüre. Und nicht vergessen: Ballast gehört über Bord geworfen!

Nach diesem Vortrag, passierte etwas sehr Eigenartiges. Der Kopf von Frau Schwarzfeger-Noeff begann unkontrolliert hin und her zu pendeln. Scharniere knackten, eine gegenläufige Rotationsbewegung der Arme brachten sie aus dem Gleichgewicht. Offensichtlich gab es aufgrund elektro-magnetischer Signal - Intervfrenzen, eine unkontrollierbare Schnittstellenproblematik zur Ego-zentrik-matrix.
Kurz darauf hörte man ein metallisch- mechanisches Klacken im Gehirn der Referentin. Relais schalteten ab und das rote LED-Lämpchen flackerte nur einmal kurz auf, bis es erlosch.


Irgendwie weigere ich mich seit diesem Seminar, beim Zähneputzen in den Spiegel zu schauen!

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Kommentare zu diesem Text


 Isaban (19.03.07)
Herrlich schräg, Hans!
Tja, wäre das Leben nicht wunderbar leicht, wenn wir alle dem Mainstream folgen würden? Und wir um so vieles einfacher zu regieren und zu führen und zu berechnen.

Gefällt mir gut, deine Groteske. Öhm...Ich muss mal gucken, ich glaub, da blinkt schon wieder was...

Liebe Grüße
Sabine

 kirchheimrunner meinte dazu am 19.03.07:
tausend Dank... ganz spontan ist dieser Text entstanden; - natürlich kam die Inspiration... wie könnte es anders sein, von einer Frau aus k.V.

L.G. Hans

 tulpenrot (19.03.07)
Also, was dir da alles gurch den Kopf schwirrt! Da sieht man deutlich, dass du dieser Frau... wie hieß sie gleich noch? ... völlig überlegen bist. Wenn die schon gleich beim ersten Seminar schlapp macht, taugt sie doch nichts ... und erst ihre Methoden nicht! Gut, dass ihre Lämpchen alle aus sind. Die ist ja unerträglich! *schmunzel*
Schau ruhig in den Spiegel - da siehst du jemanden, bei dem noch alle Hebel funktionieren!
Saugut geschrieben - und so bös alles aufgespießt! Ein Genuss!
LG
Angelika

 kirchheimrunner antwortete darauf am 19.03.07:
Danke Angelika. Es ist ja so, ... dass ich nichts bin ohne meine Inspiratorin! Du kennst sie ja gut! Ich bin Frau Dr. G. Schwarzfeger-Noeff - mitnichten überlegen. Vielleicht taugt sie ja was? Aber die Methode Verhaltensmuster einfach zu ändern, das ist einfach zu mechanisch gedacht.

L.G. Hans
Lyrine (43)
(19.03.07)
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 kirchheimrunner schrieb daraufhin am 19.03.07:
Na ja Tine,
ich hoffe, die Warnung kommt auch bei denen an, die immer noch glauben, man könnte das Verhalten anderer Menschen so einfach - mir nichts, dir nichts, - nach gusto zu verändern.

L.G. Hans
Jonathan (59)
(20.03.07)
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Maushamster (30)
(21.03.07)
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 kirchheimrunner äußerte darauf am 21.03.07:
natürlich ... Hoffentlich.. kommt uns so etwas nie zu nahe.
Obwohl: Die Werbung versucht es doch unerbittlich uns zu ändern..

Tausend Dank für den Klick*
zackenbarsch† (74)
(21.03.07)
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 kirchheimrunner ergänzte dazu am 21.03.07:
über diesen Kommentar freue ich mich ganz besonders.
Schön, dass du es komisch findest. .. und hochintelligent!

Mehr kann man sich doch nicht wünschen;
dank dir Friedhelm
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