Wo bis’n Du g’rade? Zur Phänomenologie des Mobiltelefons – Teil zehn: Kommunikationsstörung
Erörterung zum Thema Kommunikation/ Dialog
von JoBo72
So, da bin ich wieder. Das vierte Problem sind die permanenten Kommunikationsstörungen.
Durch das Mobiltelefon, das Gespräche überall und immer möglich macht, wird einerseits mehr gesprochen, andererseits findet weniger direkte Kommunikation statt. Man unterhält sich lieber mit jemandem, der gar nicht da ist. Mit dem Gegenüber ist dagegen kein (gutes) Gespräch möglich. So wie man bei der Partnersuche eher auf das Internet baut als auf die geselligen Vereine der unmittelbaren räumlichen Umgebung. Diese paradoxe Wirklichkeit verweist auf das Hauptproblem des Handys.
Wie sähe Goethes „Faust“ heute aus? Ich habe mal versucht, es mir vorzustellen:
Goethes „Faust“. Ausgewählte Szenen. In zeitgemäßer Inszenierung.
I. Anfangszene
Nacht. Auftritt Faust.
Faust (zerknirscht):
„Habe nun, ach! Philosophie,
Juristerei und Medizin,
Und leider auch Theologie
Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.
Da steh ich nun, ich armer Tor!
Und bin so klug als wie zuvor;
Heiße Magister, heiße Doktor gar
Und ziehe schon an die zehen Jahr
Herauf, herab und quer und krumm
Meine Schüler an der Nase herum-
Und sehe, daß wir nichts wissen können!
Das will mir schier das Herz verbrennen.
Zwar bin ich geschei...“ (sein Handy klingelt)
„Ja? – Im Anfangsmonolog. – Ja. (geht raus)
10 Minuten. – Ich ruf’ Dich nach dem Osterspaziergang nochmal an.“
II. Wirtshausszene
Eine gesellige Runde in Auerbachs Keller. Alle sprechen mit ihren Handys. Tisch mit Frosch, Brander und Siebel (stumm bzw. telefonierend).
Frosch (ins Handy):
Ich sagte zu ihnen:
Will keiner trinken? Keiner lachen?
Ich will euch lehren Gesichter machen!
Ihr seid ja heut wie nasses Stroh,
Und brennt sonst immer lichterloh.
Brander (ins Handy):
Hast Du gehört?
Ich kann nur sagen:
(zu Frosch) Das liegt an dir; du bringst ja nichts herbei,
Nicht eine Dummheit, keine Sauerei.
(ins Handy) Nein, nicht du. Frosch!
Frosch (ins Handy):
Schlecht. Die telefonieren grad’ alle! Ja... (laut) Nein, „lichterloh“. Ja, genau... Und: „Sauerei“.
(zu Brander) Was?
Brander (zu Frosch):
Sauerei!
(ins Handy) Nein, nicht du... Nichts! Nein, wirklich nicht!
Frosch (ins Handy):
Warte mal eben. Ja. Bleib mal kurz dran!
(legt das Handy zu Seite und gießt ihm ein Glas Wein über den Kopf, zu Brander) Da hast du beides!
Brander (nimmt das Handy vom Ohr):
Doppelt Schwein!
(wieder ins Handy) Nein, nicht du!
Frosch (ins Handy):
Ich habe ihm ein Glas Wein... Ja, Wein! ...über den Kopf.
(zu Brander) Ihr wollt es ja, man soll es sein!
Brander (ins Handy)
...ein Glas Wein über den Kopf geschüttet. Was gibt’s denn da zu lachen!
(zu Frosch) Sie lacht!
Frosch (ins Handy)
Sie lacht. (laut ins Handy) Wer, wer? Wer wohl? Branders Freundin! Nein. Der telefoniert grad mit ihr.
Brander (ins Handy)
Frosch sagt, ich telefonier’ grad mit dir... Zu seinem Bruder... Nein, am Handy. Hallo bist Du noch dran...? (zu Frosch) Weg! (legt Handy zur Seite, ergreift es dann aber wieder, um eine SMS zu schreiben).
III. Schlüsselszene
In Marthens Garten. Aufritt Gretchen und Faust, beide blicken auf ihr Handy und schreiben SMS-Nachrichten oder spielen. Sie setzen sich – ohne auf- oder sich anzublicken - auf die Gartenbank.
Gretchen (während der ganzen Szene teilnahmslos mit Blick auf das Handy):
Versprich mir, Heinrich!
Faust (während der ganzen Szene ebenso teilnahmslos, den Blick fest auf das Handy gebannt):
Was ich kann!
Gretchen:
Nun sag, wie hast du's mit der Religion?
Du bist ein herzlich guter Mann,
Allein ich glaub, du hältst nicht viel davon.
Faust:
Laß das, mein Kind! Du fühlst, ich bin dir gut;
Für meine Lieben ließ' ich Leib und Blut,
Will niemand sein Gefühl und seine Kirche rauben.
Gretchen:
Das ist nicht recht, man muß dran glauben.
Faust:
Muß man?
Gretchen:
Ach! wenn ich etwas auf dich könnte! Du ehrst auch nicht die heil'gen Sakramente.
Faust:
Ich ehre sie.
Gretchen:
Doch ohne Verlangen. Zur Messe, zur Beichte bist du lange nicht gegangen.
Glaubst du an Gott?
Faust:
Mein Liebchen, wer darf sagen: Ich glaub an Gott?
Magst Priester oder Weise fragen,
Und ihre Antwort scheint nur Spott
Über den Frager zu sein.
Gretchen:
So glaubst du nicht?
Faust:
Mißhör mich nicht, du holdes Angesicht!
Wer darf ihn nennen?
Und wer bekennen:
»Ich glaub ihn!«?
Wer empfinden,
Und sich unterwinden
Zu sagen: »Ich glaub ihn nicht!«?
Der Allumfasser,
Der Allerhalter,
Faßt und erhält er nicht
Dich, mich, sich selbst?
Wölbt sich der Himmel nicht da droben?
(stößt Gretchen an, sie blickt auf, er zeigt ihr albern grinsend sein Handy, sie lacht. Ausgangsposition wie zu Beginn der Szene, Faust weiter)
Liegt die Erde nicht hier unten fest?
Und steigen freundlich blickend
Ewige Sterne nicht herauf?
Schau ich nicht Aug in Auge dir,
Und drängt nicht alles
Nach Haupt und Herzen dir,
Und webt in ewigem Geheimnis
Unsichtbar sichtbar neben dir?
Erfüll davon dein Herz, so groß es ist,
Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist,
Nenn es dann, wie du willst,
Nenn's Glück! Herz! Liebe! Gott
Ich habe keinen Namen
Dafür! Gefühl ist alles;
Name ist Schall und Rauch,
Umnebelnd Himmelsglut.
Beide ab, ohne aufzublicken.
IV. Schlusszene
Auftritt Faust (mit Handy telefonierend).
Faust (ganz laut ins Handy):
„Der Tag graut! Liebchen! Liebchen! (Pause) O wär ich nie geboren! (Pause) Du sollst leben!“
Er schaltet das Handy ab, blickt es an und sagt: „Ja, mir auch vor Dir!“.
Ab.
Ende.
*klingel*
Entschuldigung!
Durch das Mobiltelefon, das Gespräche überall und immer möglich macht, wird einerseits mehr gesprochen, andererseits findet weniger direkte Kommunikation statt. Man unterhält sich lieber mit jemandem, der gar nicht da ist. Mit dem Gegenüber ist dagegen kein (gutes) Gespräch möglich. So wie man bei der Partnersuche eher auf das Internet baut als auf die geselligen Vereine der unmittelbaren räumlichen Umgebung. Diese paradoxe Wirklichkeit verweist auf das Hauptproblem des Handys.
Wie sähe Goethes „Faust“ heute aus? Ich habe mal versucht, es mir vorzustellen:
Goethes „Faust“. Ausgewählte Szenen. In zeitgemäßer Inszenierung.
I. Anfangszene
Nacht. Auftritt Faust.
Faust (zerknirscht):
„Habe nun, ach! Philosophie,
Juristerei und Medizin,
Und leider auch Theologie
Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.
Da steh ich nun, ich armer Tor!
Und bin so klug als wie zuvor;
Heiße Magister, heiße Doktor gar
Und ziehe schon an die zehen Jahr
Herauf, herab und quer und krumm
Meine Schüler an der Nase herum-
Und sehe, daß wir nichts wissen können!
Das will mir schier das Herz verbrennen.
Zwar bin ich geschei...“ (sein Handy klingelt)
„Ja? – Im Anfangsmonolog. – Ja. (geht raus)
10 Minuten. – Ich ruf’ Dich nach dem Osterspaziergang nochmal an.“
II. Wirtshausszene
Eine gesellige Runde in Auerbachs Keller. Alle sprechen mit ihren Handys. Tisch mit Frosch, Brander und Siebel (stumm bzw. telefonierend).
Frosch (ins Handy):
Ich sagte zu ihnen:
Will keiner trinken? Keiner lachen?
Ich will euch lehren Gesichter machen!
Ihr seid ja heut wie nasses Stroh,
Und brennt sonst immer lichterloh.
Brander (ins Handy):
Hast Du gehört?
Ich kann nur sagen:
(zu Frosch) Das liegt an dir; du bringst ja nichts herbei,
Nicht eine Dummheit, keine Sauerei.
(ins Handy) Nein, nicht du. Frosch!
Frosch (ins Handy):
Schlecht. Die telefonieren grad’ alle! Ja... (laut) Nein, „lichterloh“. Ja, genau... Und: „Sauerei“.
(zu Brander) Was?
Brander (zu Frosch):
Sauerei!
(ins Handy) Nein, nicht du... Nichts! Nein, wirklich nicht!
Frosch (ins Handy):
Warte mal eben. Ja. Bleib mal kurz dran!
(legt das Handy zu Seite und gießt ihm ein Glas Wein über den Kopf, zu Brander) Da hast du beides!
Brander (nimmt das Handy vom Ohr):
Doppelt Schwein!
(wieder ins Handy) Nein, nicht du!
Frosch (ins Handy):
Ich habe ihm ein Glas Wein... Ja, Wein! ...über den Kopf.
(zu Brander) Ihr wollt es ja, man soll es sein!
Brander (ins Handy)
...ein Glas Wein über den Kopf geschüttet. Was gibt’s denn da zu lachen!
(zu Frosch) Sie lacht!
Frosch (ins Handy)
Sie lacht. (laut ins Handy) Wer, wer? Wer wohl? Branders Freundin! Nein. Der telefoniert grad mit ihr.
Brander (ins Handy)
Frosch sagt, ich telefonier’ grad mit dir... Zu seinem Bruder... Nein, am Handy. Hallo bist Du noch dran...? (zu Frosch) Weg! (legt Handy zur Seite, ergreift es dann aber wieder, um eine SMS zu schreiben).
III. Schlüsselszene
In Marthens Garten. Aufritt Gretchen und Faust, beide blicken auf ihr Handy und schreiben SMS-Nachrichten oder spielen. Sie setzen sich – ohne auf- oder sich anzublicken - auf die Gartenbank.
Gretchen (während der ganzen Szene teilnahmslos mit Blick auf das Handy):
Versprich mir, Heinrich!
Faust (während der ganzen Szene ebenso teilnahmslos, den Blick fest auf das Handy gebannt):
Was ich kann!
Gretchen:
Nun sag, wie hast du's mit der Religion?
Du bist ein herzlich guter Mann,
Allein ich glaub, du hältst nicht viel davon.
Faust:
Laß das, mein Kind! Du fühlst, ich bin dir gut;
Für meine Lieben ließ' ich Leib und Blut,
Will niemand sein Gefühl und seine Kirche rauben.
Gretchen:
Das ist nicht recht, man muß dran glauben.
Faust:
Muß man?
Gretchen:
Ach! wenn ich etwas auf dich könnte! Du ehrst auch nicht die heil'gen Sakramente.
Faust:
Ich ehre sie.
Gretchen:
Doch ohne Verlangen. Zur Messe, zur Beichte bist du lange nicht gegangen.
Glaubst du an Gott?
Faust:
Mein Liebchen, wer darf sagen: Ich glaub an Gott?
Magst Priester oder Weise fragen,
Und ihre Antwort scheint nur Spott
Über den Frager zu sein.
Gretchen:
So glaubst du nicht?
Faust:
Mißhör mich nicht, du holdes Angesicht!
Wer darf ihn nennen?
Und wer bekennen:
»Ich glaub ihn!«?
Wer empfinden,
Und sich unterwinden
Zu sagen: »Ich glaub ihn nicht!«?
Der Allumfasser,
Der Allerhalter,
Faßt und erhält er nicht
Dich, mich, sich selbst?
Wölbt sich der Himmel nicht da droben?
(stößt Gretchen an, sie blickt auf, er zeigt ihr albern grinsend sein Handy, sie lacht. Ausgangsposition wie zu Beginn der Szene, Faust weiter)
Liegt die Erde nicht hier unten fest?
Und steigen freundlich blickend
Ewige Sterne nicht herauf?
Schau ich nicht Aug in Auge dir,
Und drängt nicht alles
Nach Haupt und Herzen dir,
Und webt in ewigem Geheimnis
Unsichtbar sichtbar neben dir?
Erfüll davon dein Herz, so groß es ist,
Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist,
Nenn es dann, wie du willst,
Nenn's Glück! Herz! Liebe! Gott
Ich habe keinen Namen
Dafür! Gefühl ist alles;
Name ist Schall und Rauch,
Umnebelnd Himmelsglut.
Beide ab, ohne aufzublicken.
IV. Schlusszene
Auftritt Faust (mit Handy telefonierend).
Faust (ganz laut ins Handy):
„Der Tag graut! Liebchen! Liebchen! (Pause) O wär ich nie geboren! (Pause) Du sollst leben!“
Er schaltet das Handy ab, blickt es an und sagt: „Ja, mir auch vor Dir!“.
Ab.
Ende.
*klingel*
Entschuldigung!