Wo bis’n Du g’rade? Zur Phänomenologie des Mobiltelefons – Teil zwei: Bekenntnis
Erörterung zum Thema Kommunikation/ Dialog
von JoBo72
So, da bin ich wieder. Und nun ein Bekenntnis: Ich habe kein Handy. Nicht aus finanziellen[1] oder ideologischen[2] Gründen etwa, sondern weil ich meine, keines zu brauchen. Zwar ist diese Konsumphilosophie (Grundsatz: „Kaufe nur, was Du wirklich brauchst.“) antiquiert und asozial, denn schließlich brauchen wir den Konsum (Binnennachfrage) für das Wirtschaftswachstum und dieses für Vollbeschäftigung, welche wir wiederum brauchen, um soziale Ungleichheit zu minimieren und alle Menschen glücklich und zufrieden werden zu lassen.[3]
Der Begriff Bekenntnis ist in diesem Zusammenhang mit Bedacht gewählt, bedeutet er doch das demütige Antworten auf eine Rechtsfertigungsschuld, die sich aus der Weigerung, ein Ding zu besitzen, das man nicht zu verwenden müssen glaubt, das aber jeder andere verwendet, notwendig ergibt. Das Handy hat hinsichtlich der Selbstverständlichkeit im Umgang längst jenen Stellenwert erreicht, den der Glaube an Gott im mittelalterlichen Europa eingenommen hatte. Der Besitz und die Nutzung eines Handys stellt eine nicht weiter hinterfragbare notwendige Tatsache dar. Der Mensch ohne Handy ist eine Unmöglichkeit wie der Wind, der nicht weht. So wie das Wehen zum Wesen des Windes gehört (Wind ist gerade „etwas, das weht“), so gehört das Handy zum Wesen des Menschen. Der Wind definiert sich gerade über das Wehen, er ist das „wehende Wesen“. Der Mensch definiert sich über das Handy, er ist das „mobiltelefonierende Wesen“. Mit geradezu prophetischer Weitsicht entwickelte der französische Philosoph Henri Bergson vor rund 100 Jahren das anthropologische Konzept des homo loquax, des „geschwätzigen“, durch „überflüssiges Reden“ auffallenden Menschen. Es gibt wohl kaum ein Menschenbild, das so gut in das Handy-Zeitalter passt („Wo bis’n du g’rade?“).
*klingel*
Entschuldigung!
Anmerkungen:
[1] Es ist wahr, dass die Kosten des Mobilfunks in den letzten Jahren durch die Liberalisierung des Telekommunikationsmarkts und die wachsende Konkurrenz der Anbieter drastisch gefallen sind. Heute kann sich mithin jeder ein Handy leisten. Dennoch ist es ebenso wahr, dass viele Jugendliche schon erhebliche Verbindlichkeiten haben, die zum Großteil auf exzessive Handy-Nutzung zurückzuführen sind.
[2] Etwa, weil ich einer radikalökologischen Gruppe angehöre, deren Kernanliegen der Kampf gegen Elektrosmog ist, ein Problem, das ich nicht verharmlosen möchte, das mir aber auch nicht am dringendsten erscheint, wenn wir über die Problematik der Mobiltelefonie sprechen (s. Teil 3: Intention).
[3] Dass diese „Rechnung“ – auch wenn sie 100mal am Tag durch den Blätterwald geistert - nicht aufgeht, weil Wachstum nicht in Beschäftigung investiert wird, sondern dem Gewinn weniger Menschen zugute kommt, zeigt ein Blick in die Geschichte. Vergleicht man zwei Werte für den Zeitraum 1991 bis 2004, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Wachstumsindikator und die Arbeitslosenquote als Beschäftigungsindikator, dann stellt man schnell fest, dass Wachstum und Beschäftigung entkoppelt sind: Während die Wirtschaft im fraglichen Zeitraum um etwa 20%, d. h. durchschnittlich 1,6% jährlich gewachsen ist, hat die Arbeitslosenquote in diesen 14 Jahren um etwa 70% zugenommen, also durchschnittlich um 5% pro Jahr. Besonders auffällig ist, dass in den Jahren, in denen die Wirtschaft stark gewachsen ist - 1992 und 1994 etwa – auch die Arbeitslosenquote sprunghaft steigt. Auch wenn dies noch nicht ausreicht, um eine Korrelation zwischen Wachstum und Arbeitslosigkeit zu begründen – also: Je mehr Wachstum, desto mehr Arbeitslose - so ist es doch nicht von der Hand zu weisen, dass das Wirtschaftswachstum für die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen bestenfalls irrelevant zu sein scheint. Auch der Verweis auf die nach den „Boom-Jahren“ 1997-2000 sinkenden Arbeitslosenzahlen verfängt nicht, da die Arbeitslosenzahlen von 1998-2001 zwar von 4,4 auf 3,8 Millionen sanken, dies aber nur deshalb, weil die neue rot-grüne Bundesregierung massiv Bildungs- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auflegen ließ, in denen Hunderttausende mehrere Jahre feststeckten, nicht als „arbeitslos“ gezählt wurden und erst wieder 2003 in der Statistik auftauchten; prompt lag dann auch die Arbeitslosenzahl wieder bei 4,4 Millionen.
Der Begriff Bekenntnis ist in diesem Zusammenhang mit Bedacht gewählt, bedeutet er doch das demütige Antworten auf eine Rechtsfertigungsschuld, die sich aus der Weigerung, ein Ding zu besitzen, das man nicht zu verwenden müssen glaubt, das aber jeder andere verwendet, notwendig ergibt. Das Handy hat hinsichtlich der Selbstverständlichkeit im Umgang längst jenen Stellenwert erreicht, den der Glaube an Gott im mittelalterlichen Europa eingenommen hatte. Der Besitz und die Nutzung eines Handys stellt eine nicht weiter hinterfragbare notwendige Tatsache dar. Der Mensch ohne Handy ist eine Unmöglichkeit wie der Wind, der nicht weht. So wie das Wehen zum Wesen des Windes gehört (Wind ist gerade „etwas, das weht“), so gehört das Handy zum Wesen des Menschen. Der Wind definiert sich gerade über das Wehen, er ist das „wehende Wesen“. Der Mensch definiert sich über das Handy, er ist das „mobiltelefonierende Wesen“. Mit geradezu prophetischer Weitsicht entwickelte der französische Philosoph Henri Bergson vor rund 100 Jahren das anthropologische Konzept des homo loquax, des „geschwätzigen“, durch „überflüssiges Reden“ auffallenden Menschen. Es gibt wohl kaum ein Menschenbild, das so gut in das Handy-Zeitalter passt („Wo bis’n du g’rade?“).
*klingel*
Entschuldigung!
Anmerkungen:
[1] Es ist wahr, dass die Kosten des Mobilfunks in den letzten Jahren durch die Liberalisierung des Telekommunikationsmarkts und die wachsende Konkurrenz der Anbieter drastisch gefallen sind. Heute kann sich mithin jeder ein Handy leisten. Dennoch ist es ebenso wahr, dass viele Jugendliche schon erhebliche Verbindlichkeiten haben, die zum Großteil auf exzessive Handy-Nutzung zurückzuführen sind.
[2] Etwa, weil ich einer radikalökologischen Gruppe angehöre, deren Kernanliegen der Kampf gegen Elektrosmog ist, ein Problem, das ich nicht verharmlosen möchte, das mir aber auch nicht am dringendsten erscheint, wenn wir über die Problematik der Mobiltelefonie sprechen (s. Teil 3: Intention).
[3] Dass diese „Rechnung“ – auch wenn sie 100mal am Tag durch den Blätterwald geistert - nicht aufgeht, weil Wachstum nicht in Beschäftigung investiert wird, sondern dem Gewinn weniger Menschen zugute kommt, zeigt ein Blick in die Geschichte. Vergleicht man zwei Werte für den Zeitraum 1991 bis 2004, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Wachstumsindikator und die Arbeitslosenquote als Beschäftigungsindikator, dann stellt man schnell fest, dass Wachstum und Beschäftigung entkoppelt sind: Während die Wirtschaft im fraglichen Zeitraum um etwa 20%, d. h. durchschnittlich 1,6% jährlich gewachsen ist, hat die Arbeitslosenquote in diesen 14 Jahren um etwa 70% zugenommen, also durchschnittlich um 5% pro Jahr. Besonders auffällig ist, dass in den Jahren, in denen die Wirtschaft stark gewachsen ist - 1992 und 1994 etwa – auch die Arbeitslosenquote sprunghaft steigt. Auch wenn dies noch nicht ausreicht, um eine Korrelation zwischen Wachstum und Arbeitslosigkeit zu begründen – also: Je mehr Wachstum, desto mehr Arbeitslose - so ist es doch nicht von der Hand zu weisen, dass das Wirtschaftswachstum für die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen bestenfalls irrelevant zu sein scheint. Auch der Verweis auf die nach den „Boom-Jahren“ 1997-2000 sinkenden Arbeitslosenzahlen verfängt nicht, da die Arbeitslosenzahlen von 1998-2001 zwar von 4,4 auf 3,8 Millionen sanken, dies aber nur deshalb, weil die neue rot-grüne Bundesregierung massiv Bildungs- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auflegen ließ, in denen Hunderttausende mehrere Jahre feststeckten, nicht als „arbeitslos“ gezählt wurden und erst wieder 2003 in der Statistik auftauchten; prompt lag dann auch die Arbeitslosenzahl wieder bei 4,4 Millionen.