Personen:
Frau Prof. Dr. Krakenfuß-Dornblecher, K-D
Der Frauenchor der Reinhard-Libuda-Universität Gelsenkirchen, Chor
Frau Prof. Dr. Krakenfuß-Dornblecher betritt den Raum und stellt sich an das Rednerpult, das im Karneval kurz „De Bütt“ genannt wird.
(K-D)
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, mein Name ist Krakenfuß-Dornblecher, ich bin Professorin für Geschlechterstudien und Kulturkritik an der Reinhard-Libuda-Universität Gelsenkirchen. Viele werden meine drei Hauptwerke kennen. „Feministische Politologie“, „Feministische Festkörperphysik“ und „Radwandern in der Niederlausitz“. Ich möchte mit Ihnen heute über die distinguierenden Verhältnisse unter den Konditionalitäten des Patriarchats sprechen, Bedingungen, die die Abhängigkeitsbeziehung der Frau vom Mann manifestieren, der seine ökonomisch-psychosoziale Privilegiertheit schamlos ausnutzt. Ich darf einmal zitieren (sie deutet auf den Chor, der zu singen beginnt):
(Chor)
Er hat ein knall - rotes Gummiboot.
(K-D)
(betont) Er hat ein knallrotes Gummiboot. Er, der Mann, ist im Besitz der Produktionsmittel. Er, der Mann, ist Inhaber des Mobilitätsmonopols. Zitat:
(Chor)
mit diesem Gummiboot fahr’n wir hinaus!
Er hat ein knall - rotes Gummiboot
und erst im Abendrot kommen wir nach Haus!
(K-D)
Mit welchem Recht fährt der Mann mit seinem unschuldigen Opfer „hinaus“, mit welchem Recht erfolgt die Rückkehr „erst im Abendrot“? Was ist dies anderes als romantisch verklärte Freiheitsberaubung unter den Bedingungen gesellschaftlich beförderter ökonomischer Differenz? Selbstverständlich beschränkt sich der Besitz des Mannes auf das zweckrational erforderliche Minimum. Zitat:
(Chor)
Wir haben kein Segel und keinen Motor
und keine Kombüse
Oh nein!
(K-D)
„Kein Segel, kein Motor, keine Kombüse.“ Artefakte, welcher der weiblichen Begleitung in ihrer Zwangslage zumindest einen Rest an Menschenwürde ließen, sind nicht vorhanden. Die revolutionäre Reaktion ist in diesem Kontext nur zu verständlich. Zitat:
(Chor)
Oh nein!
(K-D)
Sie ist das Wiedererwachen und Aufbegehren des antipatriarchalischen Pathos.
(Chor)
Oh nein!
(K-D)
In diesem „Oh nein!“ bündelt sich der Freiheitsdrang der unterdrückten Frau. Dieses „Oh nein!“ ist eine Absage an jede Form maskuliner Oppression. Doch letztlich scheint dieser Schrei der Verzweiflung aussichtslos, denn es bleibt dabei. Zitat:
(Chor)
Er hat ein knall - rotes Gummiboot.
mit diesem Gummiboot fahr’n wir hinaus!
(K-D)
Die hierarchisierte Sozialstruktur zeigt sich bis tief in Rituale an und für sich zweckfreier Freizeitgestaltung. Zitat:
(Chor)
Er steht im Tor, im Tor, im Tor und ich dahinter.
(K-D)
„Er im Tor, ich dahinter.“ Deutlicher ist das Rollenverhältnis selten auf den Punkt gebracht worden. Doch nicht nur das ökonomische Gefälle oder die psychosozialen Interdependenzen der Freizeitgesellschaft stabilisieren das Patriarchat, nein, es sind auch die in den familiären Strukturen über Generationen tradierten männlichen Vorstellungen zu Lebenswelt und Daseinsbewältigung, die Frauen einseitig festlegen. Zitat:
(Chor)
Mein Vater war ein Wandersmann und mir steckt’s auch im Blut.
(K-D)
„Mein Vater war ein Wandersmann und mir steckt’s auch im Blut.“ – Insbesondere diese subtile Indoktrination über genetische Dispositionen muss vor dem Hintergrund verfestigter patriarchalischer Abhängigkeitsverhältnisse kritisch betrachtet werden, denn: Die wehrlose Tochter ist predeterminiert durch Leidenschaften des Vaters, ohne die Möglichkeit zu haben, eigene Strategien zur Verortung von Lebensinteressen zu entwickeln.
(Chor, fängt von alleine an und hört nicht mehr auf)
Mein Vater war ein Wandersmann und mir steckt’s auch im Blut.
D’rum wand’re ich froh...
(K-D)
Stopp!
(Chor singt unbeirrt weiter)
...so lang ich kann
und schwenke meinen Hut.
Falderi, faldera,
falderi, falderahahahaha,
falderi, faldera,
falderi, falderahahahaha,
- und schwenke meinen Hut.