Fernsehen

Absurdes Theaterstück zum Thema Medien

von  JoBo72

Es gibt so ein paar unhintergehbare Lebenstragiken, Schicksale, die sich wie ein roter Faden durchs Dasein seilen. Nicht verstanden zu werden, wenn man „Dasein“ sagt. Wenn man eine tolle Frau kennen lernt, festzustellen, dass sie (oder man selbst) schon verheiratet ist. Oder auch: Fernsehgebühren zu zahlen und gar nicht fern zu sehen.

Das ist sehr ärgerlich. Man zahlt nämlich doch ganz schön viel an die GEZ, wie mir neulich auffiel als ich deren Mahnung wegwarf. Ich hab’ mir jetzt vorgenommen, jeden Tag zwei Stunden fern zu sehen, um das Geld einigermaßen wieder reinzuholen.

Gut, was soll man gucken? Ich guck meistens Tagesthemen, wo immer jemand anders vor irgendeiner Stadt im Nahen Osten steht, in der Flugabwehrgeschütze aufsteigen. Das ist immer interessant. Oder auch, wenn’s irgendwo Überschwemmung gibt oder so.

Ja, dann haste ’ne halbe Stunde weg. Fehlen anderthalb. Fußball. Ja, mittwochs. UEFA-Cup. Schlachthof Donetzk gegen Swabolow Maribor. Aber sonst? Gut – Tatort! Ja, Tatort guck ich wirklich gerne. Das ist immer spannend. Da ist immer was los. Obwohl ich manchmal den Eindruck hab, die Kommissare, also die Darsteller, sind nicht wirklich zufrieden mit ihrem Job.


Kommissar: Wer ist die Tote?

Spurensicherer: Elvira Schmidtburger, 43 Jahre. Mehr wissen wir noch nicht.

Kommissar: Seit wann ist sie…

Spurensicherer: Das kann ich noch nicht sagen. Frühestens aber gestern Mittag. Genaueres nach der Obduktion.

Kommissar: O.K., alles klar. (weinerlich) Ich wollte immer an die Wiener Burg. (begeistert) Shakespeare. (als Romeo) „dass dein süßer Atem mit meinem sich vereint“ (als Hamlet) „Sein oder nicht sein, das ist…“ Scheiße! Jetzt bin ich hier, Tatortkommissar. Immer die gleichen Scheiß-Texte... (wieder als Kommissar) Wer hat die Leiche gefunden?

Spurensicherer: Ein Pärchen, steht dort drüben (deutet mit dem Kopf rüber, packt seinen Koffer, erhebt sich, klopft dem Kommissar auf die Schulter, geht).

Kommissar: (weinerlich) Wenn ich nur ein Jahr länger auf der beschissenen Schauspielschule geblieben wär’, dann könnt’ ich jetzt…. (wieder als Kommissar) Guten Tag, Hauptkommissar Schröder, Mordkommission. Sie haben die Tote entdeckt?

Pärchen (unisono): Ja, wir gingen…

Kommissar: (weinerlich) Oder am Berliner Ensemble. (begeistert) Brecht. (laut) „Nun geht hinaus und macht Revolution!“ (weinerlich) Scheiße!


Schön ist ja auch, dass der Tatort immer von woanders kommt, also aus einer anderen Gegend, mit ganz, ganz vielen Dialekten.


Sekretärin: Hä Kommissa, wi hänn do a schon lang koi Urlaub g’het?

Kommissar: Na, dös is ebbet so, des Verbräche schlafet halt net!

Sekretärin: Aba, Hä Kommissa, zwee, drei Daach, amol ausspanne!

Kommissar: Jo, dös wär’ scho sche, aba I hob da noch a Leich un koi Daadvadächtiche!


Herrlich!

Es ist ja auch wichtig, dass man sich im Fernsehen informiert, z. B. über wichtige aktuelle Dinge wie… ähm… oder wenn zum Beispiel ein Krieg ausbricht, dann wird das im Fernsehen bekannt gegeben. Da muss man gut aufpassen. Wie letztens als Außerirdische die Welt besetzt hatten. (im Stile eines Nachrichtensprechers) „Wir unterbrechen das laufende Programm für eine wichtige Mitteilung. Die Erde wurde von bisher nicht identifizierten Wesen besetzt, die mit großer Brutalität vor allem gegen Fußballprofis und Nachrichtensprecher vorgehen…ah…“ (bricht zusammen)

Außerirdischer (monotone Stimme) „Bürger der Erde! Mein Name ist Kapitän CV-67. Die Erde steht von nun an unter meinem Kommando.“ (für sich) „Eigentlich wollte ich Arzt werden, aber Vater hatte ja schon den Job bei der Luftwaffe für mich.“ (wieder mit monotoner Stimme) „Widerstand ist zwecklos!“ (für sich) Oder Florist. Ich hab als Kind so gerne Blumengestecke arrangiert, hat Mutti immer erzählt, wenn Tante Ulla zum Kaffee kam.“ (wieder mit monotoner Stimme) „Widerstand ist…“

Also, dafür ist Fernsehen wirklich praktisch.

Oder auch zum Shoppen!


Moderatorin (begeistert, sich in die Anmoderation hineinsteigernd): Hallo und herzlich willkommen zum Bastelinfo auf QVC, Ihrem Shoppingkanal! Heute zeigen wir Ihnen „White Papers“. Sie bekommen diese Papers nur hier bei QVC, Ihrem Shoppingkanal. Wir haben heute für Sie, limitiert, in begrenzter Auflage, drei „White Papers“ für nur 9,99 Euro. Da heißt es: Schnell zugreifen! Das ist aber noch nicht alles. Sie bekommen einen original „Blue Writer“ gratis dazu. Also, drei Papers, ein Writer. Für nur 9,99 Euro. Bestellen Sie – jetzt! (drück sich einen Knopf tiefer ins Ohr) Ich höre gerade aus der Regie, es sind nur noch 940 Paper/Writer-Pakete da, greifen Sie also schnell zu! (verschwörerisch) Wie man diese Papers gestaltet, ganz individuell mit dem Writer bearbeitet, dazu haben wir uns einen Studiogast eingeladen, der damit ganz viel Erfahrung hat und aus „White Papers“ schon wunderschöne Dinge gezaubert hat. Hallo, Martin Heidegger.

Martin Heidegger: Guten Tag.

Moderatorin: Martin, ich darf Du sagen, nicht wahr.

Martin Heidegger: Nein.

Moderatorin: Nein? Gut. – Herr Heidegger, was haben Sie uns heute Schönes mitgebracht.

Martin Heidegger: Einige Manuskripte.

Moderatorin (völlig außer sich vor Begeisterung): Ja! Hier kann man sehen, wie toll man diese Papers mit dem Writer bearbeiten kann. Wie gesagt, Sie erhalten alles zusammen für nur 9,99 Euro. Und wenn sie mehrere Pakete kaufen, können sie die anschließend zusammenheften und erhalten etwas ganz tolles, das man in der Fachsprache „Buch“ nennt. So etwas haben Sie uns hier mal mitgebracht. (mit zusammengepressten Lippen) Und ich darf wirklich nicht „Du“ sagen?

Martin Heidegger: Nein.

Moderatorin: Obwohl es vorher anders vereinbart war?

Martin Heidegger: Ja.

Moderatorin: Herr Heidegger, zeigen Sie uns doch mal, was Sie da Schönes gebastelt haben!

Martin Heidegger: Ja, das ist „Sein und Zeit“.

Moderatorin: Sehr schön! Zeigen Sie es doch mal in die Kamera.

Martin Heidegger (zeigt das Buch in die imaginäre Kamera)

Moderatorin: Wirklich wunderschön! Es gibt ja da ganz viele Varianten. (drück sich wieder ihren Knopf tiefer ins Ohr) Ich höre wir haben nur noch 12 Pakete auf Lager. Nur noch 12! Zeigen wir schnell noch einige Beispiele, an denen man erkennt, wie toll man diese Papers mit dem Writer bearbeiten kann. (zeigt diverse philosophische Bücher in die imaginäre Kamera) Es ist ja auch immer etwas individuell.

Martin Heidegger: Ja, in der Tat.

Moderatorin: So, meine Damen und Herren! Das letzte Paket ist verkauft. Vielen Dank für’s Zuschauen und Kaufen beim Bastelinfo auf QVC, Ihrem Shoppingkanal! Morgen haben wir an dieser Stelle den Techno-Shop mit den neusten Neuheiten auf dem Gebiet der Unterhaltungselektronik. Zum Beispiel mit dieser CD (hält sie hoch), auf der man ganz tolle Musik speichern kann. Im Studio sind dann Johann-Sebastian Bach und Wolfgang Amadeus Mozart. (zu Heidegger) Tschüss und auf wieder sehen, Herr Heidegger.

Martin Heidegger (nickt)

Moderatorin (in die Kamera): Tschüss! (winkt, stupst Heidegger an, der daraufhin auch winkt)


So gesehen lohnt sich Fernsehen!

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Kommentare zu diesem Text

Caterina (46)
(05.06.09)
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