Über die Angst vor der Angst

Short Story zum Thema Ausweglosigkeit/ Dilemma

von  apocalyptica


Früher, vorher, hatte ich eine verdammt große Klappe gehabt, toll. So etwas wird mir, kann mir nie passieren, und wenn, dann weiß ich mir zu helfen, irgendwie.

Und jetzt hockte ich hier, wie lange schon? Kein Plan, endlos lange auf jeden Fall. Zu lange schon. Die Hände auf den Rücken gebunden, dieses dämliche Seil, das meine Handgelenke langsam aufschürfte, war einfach nicht zu lockern. Auch nicht die Klebstreifen über meinen Augen, die mir jegliche Sicht nahmen. Es war dunkel, unglaublich dunkel. Wie auch immer hatte ich es geschafft, in das verfluchte Klebeband, das auch meine Lippen zunächst verschlossen hatte, erst ein kleines Loch zu beißen und eben dieses dann zumindest so weit aufzuknabbern, dass ich durch den Mund atmen konnte. Und schreien, ja, schreien, brüllen…oder auch nur jammern, seufzen. Doch all das wurde sowieso nicht gehört, denn ich war allein, mutterseelenallein.

Hockte hier, an einen dicken Baumstamm gelehnt, irgendwo mitten im Wald. Es war lausig kalt, was hatte ich überhaupt noch an? Egal, ich muss hier weg, kann nicht einfach hier bleiben und warten. Warten, worauf? Verdammt, was soll ich tun? Erst einmal aufrichten, ja, damit ich gehen kann, laufen vielleicht. Aber wohin? Ohne zu sehen…Mir tat alles weh von dieser blödsinnigen Körperhaltung. Augen zu und durch, sagte ich mir. Augen zu, klasse, das waren sie doch ohnehin schon. Mehr zu, als mir lieb war.

Dennoch, ich wagte einen ersten Schritt, prima, ich stand noch und stolperte nicht direkt über die erste Wurzel. Langsam, schrittchenweise, tastete ich mich vorwärts ins stockfinstere Nichts. Bloß nicht in ein Bodenloch treten, nicht stolpern, nicht fallen. Wieder ein Schritt. Natürlich spürte ich die Zweige, die mir durchs Haar strichen. Das Laub unter meinen Füßen raschelte, ich atmete den Wald intensiver als jemals zuvor. Warum hatte ich mir die Gegend nicht genauer eingeprägt, als ich es noch hätte tun können? Vor dem Klebeband…

Das Prickeln in meinem Gesicht wurde intensiver, ich schüttelte mich und geriet plötzlich in Panik. Wenn da nun eine dicke Spinne über meine Wangen krabbelte?! Widerliche Viecher, vor denen ich mordsmäßige Angst und Abscheu habe! Ich schrie, hysterisch, und wurde dann schlagartig wieder leise, jämmerlich leise, rief mich zur Ordnung. Herrjeh, und wenn schon! Eine Spinne dürfte ja wohl das allerkleinste Problem sein, Hauptsache ich finde hier raus. Bald, hoffentlich möglichst bald!

Wieder ein Schritt geschafft, ein zweiter, ein dritter. Bleib stehen und horche, sagte ich mir. Vielleicht gibt es irgendwo Motorengeräusch, eine Straße? Kurzes Innehalten…nichts. Vogelzwitschern, okay. Blätter im Wind, Idylle schlechthin. Unsichtbare Idylle allerdings. Ich muss hier raus, weg hier! Laufschritt also in eine mir unbekannte Richtung und dann das Unausweichliche…ich falle. Zum Glück auf weiches Moos. Wenn mir jetzt nicht zum Heulen zumute wäre, würde ich lachen, lachen über meine unendliche Dummheit. War doch klar, dass ich mich langlegen würde! Glanzleistung meinerseits, Glückwunsch!

Wie ein auf den Rücken gefallener Käfer wand ich mich, strampelte wohl irgendwie auch mit den Beinen, was weiß ich, kam jedenfalls wieder zum Stehen. Und jetzt? Hatte ich die Richtung gewechselt, würde demnach im Kreis laufen? Wo war bloß mein Mut geblieben, meine vermeintliche Stärke? Wie lange war ich jetzt schon hier? War es Nachmittag, Abend? Ich wusste es nicht mehr, wusste eigentlich gar nichts mehr, konnte mich an nichts mehr erinnern. Sollte ich etwa aufgeben und einfach hier sitzen bleiben? Mich in mein Schicksal ergeben?

Wieder verging scheinbar unendlich lange Zeit. Dann plötzlich hörte ich Rascheln, Knistern, Schritte und von jetzt auf gleich schallend lautes Gelächter. „Wer hat denn gesagt, spätestens in einer Stunde bin ich wieder an der Waldschänke? Zieht den Strick ruhig feste zu, ich schaff das schon? Du bist seit zehn Minuten überfällig! Willst du nächsten Sonntag die nächste Mutprobe bestehen? Dann solltest du aber ein Bierchen weniger trinken!“

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Kommentare zu diesem Text


 Maya_Gähler (03.03.08)
das hätte ich besser erst dann gelesen, wenn ich schon Schlaf hinter mir gehabt hätte... aber eben, wenn das Wörtchen wenn nicht wär... so werde ich wohl heute nacht von Mutproben träumen....
klasse erzählt
herzliche Grüsse,
Maya

 apocalyptica meinte dazu am 09.03.08:
Danke fürs Kompliment, liebe Maya! Und du hast irgendwie Recht...als Bettlektüre ist der Text denkbar ungeeignet...*huch*

Liebe Grüße und eine gute Nacht diesmal,

die -bea ;)
steinkreistänzerin (46)
(03.03.08)
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 apocalyptica antwortete darauf am 09.03.08:
Na siehste, am Ende siegt das Lächeln! Und mal ehrlich: ich würde es wohl auch nicht tun!

Liebe Grüße von der (stocknüchternen) -bea ;)

 AZU20 (03.03.08)
Ganz schön heftig, so eine Mutprobe. Gut geschrieben. Ich würde nur das ganze Ereignis mehr als einmalige Idee darstellen, nicht so, dass sich so etwas jetzt jeden Sonntag wiederholt. LG

 apocalyptica schrieb daraufhin am 09.03.08:
Nun, bezogen auf die sonntägliche Wiederholung ist mir wohl ein Projekt noch im Kopf rumgegeistert, worüber ich zuvor gelesen hatte. Aber trotzdem, auch für eine einmalige Mutprobe diesen Ausmaßes wäre ich persönlich ungeeignet.
Hab lieben Dank und noch einen schönen Sonntag,

die -bea
Ralf61 (48)
(03.03.08)
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 apocalyptica äußerte darauf am 09.03.08:
Stolz?? Da werd ich doch gleich verlegen rot oder so.... trotzdem: klickerdicken Dank von mir an dich!
Auch dir ganz liebe Grüße in den sonntäglichen Abend,

die -bea

P.S.: guck mal auf den Kalender....owehoweh ;)
steyk. (55)
(02.05.08)
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 apocalyptica ergänzte dazu am 02.05.08:
Freut mich! ;)
Auch dir einen lieben Gruß, die -bea =)
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