Kapitel8 Stimm.enge.wirr

Absurdes Theaterstück zum Thema Ansichtssache

von  DanceWith1Life

Stimmengewirr
Die Kamera flüstert Bildausschnitte auf die Leinwand.
Rechts neben der etwas pompös wirkenden Vorhangattrappe  schweigt ein Stehpult mit Mikrofon.
Statt eines Sprechers sehen die Kinobesucher, ein etwas unbeholfen wirkendes Symbol, wie man es auf Werbeplakaten findet. Der grosse Raum duftet nach mehreren Lippenstiftsorten, die sich zu keiner Einheit mischen konnten, das heisst in der einen Ecke, regiert ein Hauch, der an längst aus der Mode gekommenes Gesichtswasser erinnert und in der anderen verdampftes Deo.
Die Enge der Stimmen wird nicht von allen Besuchern gleich empfunden.
Vor dem Film soll noch ein kurzer Reisebericht erzählt werden.
Eine Notbeleuchtung neben dem Pult geht an, und eine Hand, die sich aus der Vorhangattrappe werkelt, schaltet das Mikrofon an.
Test. Text. Text:
Wort:
Sprache:
Ursache:
Wirkung:
Dasein:
Dagewesen.
Dabeigewesen
oder auch daneben gewesen.
Jetzt.
Ohne Titel.
kein Vorwort.
Auch kein Wohnort
oder Vorort
weder hier, prust, noch dort.
so ein Quatsch
und das alles in einem Wort.
Text.
aber wenn ich was zu sagen hätte, nähme ich dieselben Worte, wie die Lügner im TV, und müsste hoffen, es würde jemand bemerken, was für ein verrückter Planet.
Also dieselbe Sprache in einer ganz anderen Welt, wäre dann doch eine andere Sprache.
Und dieselben Worte würden hier und dort etwas ganz anderes sagen.
Und das alles im selben Text.
Und was sagt da der Verlag dazu?
Und was sagt da der KeinVerlag dazu?
Text. Test.
Also jetzt bitte kein Applaus, sorgfältiges Nachdenken mit Gewürznelke,
Aber bitte ohne Knoblach.
Nein, kein Schreibfehler.
Sehr witzig.
Na ja, also der Text, der wäre dann ab Zeile 43( das war eine grobe Schätzung) noch mal zum Thema, wie war gleich wieder das Thema, verdammt, ach ja, genau, Wie finde ich heraus, dass ich lebendig bin solange ich noch lebe.
Und was bedeutet es mir dann.
Soviel zum Text.
Leben, was für ein Wort.
Ohne das Wort könnten wir leben, ohne das Leben nicht.
Text.
Und wie um alles in der Welt, sagt man das.
Und das in einer Welt, die auf Versmaß und Satzzeichen schaut.
Ich soll jetzt alles neu schreiben.
So mein Anspruch, der an mich selbst, den kennen sie nicht, ich sag's ihnen, das ist vielleicht ein Schlitzohr.
Die Reime seien zu unbeholfen, der Rhythmus zu holprig, gelegentlich sogar Ausrutscher, Lückenfüller, dahin geplappertes Bildwerk.
Das kannst du ( also ich) besser, behauptet er, streng dich mal an.
Irgendetwas, von wegen am Handwerk arbeiten.
Alles neu schreiben.
Das ist natürlich total unmöglich, denn inzwischen würde ich die Hälfte davon überhaupt nicht mehr schreiben, sie verstehen, man hat ja schliesslich gelebt.
Standpunkte verändern sich.
Wenn ich etwas geschrieben hätte, was nicht so platt ist, sollte man mich informieren, die Wortwahl war immer stimmungsbedingt, die Annäherung an die Aussage von subjektiven Empfindungen geleitet, manchmal sogar fehlgeleitet, aber das kann ich schlecht erklären, das merk ich auch erst später.
Es war nur wichtig, oder besser gesagt, erschien mir so, als hätte es mir etwas zu sagen, deshalb habe mich mitgeschrieben, und weil ich ja immer ein gutes Gedicht schreiben wollte. ein einziges nur.
Ich wollte auch noch ein gutes Lied schreiben, also eines das auch mir gefällt, dann später, wenn der erste Taumel verfliegt, die Tiere des Augenblicks, die Lichtung wieder verlassen haben.
In der Wortwahl dessen was in mir rumort.
Hab ich ihnen schon erzählt, dass ich siebenhundert Gedichte aus Indien mitgebracht habe, die ich übersetzen wollte.
Das war auch so eine Idee von mir.
Ich wusste überhaupt nicht, was ich mir da einbildete.
Ich ging also in einen Buchladen in Neu Dehli und kaufte Bücher, natürlich mit englischer Übersetzung, denn ich konnte noch kein Wort Hindi.
Den Rest der Reise lass ich aus, das ist eine ganz andere Geschichte.
Wieder Zuhause stürzte ich mich mit Feuereifer auf meine mitgebrachten Schätze.
Ich sollte vielleicht erwähnen, das war in der Zeit, als Windows 95 gerade rauskam und eine Pizzaschachtel namens Apple McIntosh fast 10000 DM kostete. Sie erinnern sich. So ungefähr, die genauen Preise und Daten suchen sie bitte selber im Web, das ist jetzt nicht mein Punkt.
Und ich bekam eine Schreibmaschine namens 80/86 geschenkt in die ich 700 Gedichte aus Indien eintippte, weil ich mir einbildete, wenn ich sie erstmal alle geschrieben habe, versteh ich sie vielleicht besser.
Wie gesagt, ich war von einer fixen Idee beseelt und das ist glaube ich nur teilweise das richtige Wort, beseelt meine ich, sie verstehen.
Eines der ersten Gedichte. über das ich damals im wahrsten Sinne des Wortes stolperte war ein Couplet von Kabir, und das ging ungefähr so.

Character is man’s only asset
His flesh no use to any one
His bone not fit for ornament
And his skin not fit for the drum.


Also so was.
Auf deutsch heisst das dann:

Der Charakter ist der einzige Nutzen eines Menschen.
Sein Fleisch nützt Niemandem
seine Knochen taugen nicht für Verzierung
und seine Haut nicht zum Trommelbau.

Sie verstehen, ich war nach Indien geflogen und hatte mir die grossen Lieder nach Hause geholt.
Nicht diesen westlichen Mischmasch, diese revidierten Ansichten über den Sinn des Lebens unter Rücksichtnahme auf die Kultur, die den Fragenden beeinflusst.
Und dann so was.

Und das war nur eine von mehreren Übersetzungen ins Englische.
Ich fragte mich allerdings, was dieser Kerl mir sagen will, also Kabir, denn das wollte er ganz offensichtlich.

Und kam zu folgendem Schluss.

Wenn man ein bisschen von dem weglässt was uns Heutzutage so beschäftigt, und eintaucht, all das nützliche, das uns die Säugetiere vom Anbeginn der Menschheit schenkten, Nahrung, Fell und Haut und Knochen, für Werkzeug, Trommel und Verzierung, all dies fehlt beim Menschen, dafür hat er aber Charakter, oder eben nicht.
Und das jetzt übertragen ins 21. Jahrhundert, also DSL-chat, Stalking und Massenvernichtungswaffen vom Feinsten.
LCD-TV und Handy, und wir suchen nach noch besseren Möglichkeiten der Kommunikation, sie erinnern sich, Trommeln waren das erste Telefon, Knochen, die ersten Werkzeuge, der PC ist auch eines.
Und alles was gesagt oder geschrieben wird, entstammt eben dem Charakter, also da finde ich diese Zeilen, ganz schön auf dem Punkt.
Oder halten Sie das für überinterpretiert.

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