keinBesuch

Parabel zum Thema Einsamkeit

von  tulpenrot

keinBesuch

keinBesuch

Irgendetwas war anders, als ich die Haustür öffnete. Ein leichter Luftzug kam mir entgegen. Die Balkontür! Ich hatte vergessen, sie zu schließen, bevor ich ging. Wie leichtsinnig von mir! Eilig stellte ich mein Gepäck ab und wollte gerade durchs Wohnzimmer zur Balkontür gehen, als sich mir eine Fremde in den Weg stellte. Ich erschrak. Natürlich hatte sie sich meine Nachlässigkeit zu Nutze gemacht und war einfach gekommen.

Sie lächelte, mir aber lief es eiskalt den Rücken herunter. Wer war sie? Was wollte sie? Ich wich ihrem Blick aus und sah die Bescherung: meine Regale waren leer geräumt, alle Schubladen aufgezogen und durchwühlt, alle Kabel aus den Wänden gerissen. Wohin ich mich auch drehte: Verwüstung überall. Selbst die Noten auf dem Klavier hatte sie hinausgeworfen, sie flatterten noch im Garten vom Wind getrieben auf und ab.

„Du bist zu früh gekommen“, sagte sie mit ironischem Unterton. „Ich war noch nicht ganz fertig. Aber vielleicht ist es auch gut so. Dann kannst du es miterleben.“ Dieses vertraute „Du“ in ihrer Rede störte und verwirrte mich noch mehr. „Du kannst dich setzen“, fügte sie nach einer Pause hinzu. Nichts lieber als das, dachte ich. Mir waren die Knie weich geworden und so ließ ich mich erschöpft in einen der Sessel fallen.

Langsam, jeden Schritt auskostend durchschritt sie den Raum, blieb vor den Fenstern stehen und zog die Rollläden herunter. Einen nach dem anderen. Es wurde dunkler und dunkler und stickiger. „Ich werde nun hier wohnen“, meinte sie kühl, während sie hinter mir die Zimmertür abschloss und den Schlüssel einsteckte. Steif vor Angst und machtlos verfolgte ich ihr Tun.

„Wer sind Sie?“, brach es gepresst aus mir hervor. Sie legte eine Packung Taschentücher auf den Tisch vor mir. „Für deine Tränen“, bemerkte sie lässig. „Wer sind Sie?“, schrie ich sie entsetzt an. Da verriegelte sie auch noch die Balkontür, durch die sie gekommen war und zog den Rollladen auch da herunter. Ich konnte nichts mehr sehen und mir rannen tatsächlich Tränen über die Wangen. „Ich bin die Einsamkeit“, raunte sie mir mit düsterer Stimme ins Ohr.

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Kommentare zu diesem Text

Caty (71)
(21.05.08)
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 tulpenrot meinte dazu am 21.05.08:
Liebe Caty, ja, du hast recht, ich hatte "die Fremde" in der ersten Fassung nicht drin, hab es geändert, dabei aber alles andere übersehen. Außerdem ist das zweimalige "um sie zu schließen" auch ncicht direkt gut gekonnt... das kommt davon, wenn man zu schnell sein möchte!
Ja, es ist eine Allegorie - das wäre ein bessere Beschreibung - ich bin froh, dass du so aufmerksam liest! Danke dir - auch für die "trotzdem"-Empfehlung!!!!
LG
Angelika
P.S. Überarbeitung ist erfolgt - was sagst du jetzt?
(Antwort korrigiert am 21.05.2008)
chichi† (80)
(21.05.08)
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 tulpenrot antwortete darauf am 21.05.08:
Meinst du vielleicht, ich hätte die Geschichte anders einkleiden sollen?
Danke für deinen Kommentar und den klick"
LG
Angelika
chichi† (80) schrieb daraufhin am 21.05.08:
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 AZU20 (21.05.08)
Nach dem Lesen hatte ich eine Gänsehaut. Sehr konzentriert und spannend geschrieben. Überraschende Pointe. Mit einem Wort: Sehr lesenswert. LG

 tulpenrot äußerte darauf am 21.05.08:
Puuhhh .... Ausatmen ist angesagt! Danke dir sehr für Komm und Klick!
Angelika

 styraxx (21.05.08)
Ja, kann mich nur anschliessen sehr spannend im Aufbau und mit einem überraschenden Ende. Ein Besuch der anderen Art. Gern gelesen. Liebe Grüsse c.

 tulpenrot ergänzte dazu am 21.05.08:
Ich danke dir, lieber Cornel.
Ohh und auch für die Empfehlung!!! Hätte ich fast übersehen...
(Antwort korrigiert am 21.05.2008)

 Maya_Gähler (21.05.08)
Guter Spannungsaufbau, gefällt mir...auch wenn der Inhalt selbst alles andere als schön ist.
Ein sehr gelungener Text. Wirklich lesenswert.
Liebe Grüsse,
Maya

 tulpenrot meinte dazu am 21.05.08:
Liebe Maya,
wie sehr freue ich mich über dein Lob und deinen Klick. Danke!
Angelika

 Erebus (21.05.08)
Hallo Angelika,

ich wollte bereits heute Morgen etwas dazu kommentieren, da lief mir die Zeit davon. Ich hoffe, sie wurde inzwischen irgendwo abgegeben.
Im Grunde finde ich die Geschichte sehr gut. Zumindest als Ausgangsmaterial.

Der Umfang erscheint mir grade richtig, der Aufbau ist stringent, spannend ohne Längen.
Das Bild des Heimkehrens - aber eben doch nicht Heimzukehren, sondern eine geänderte Situation zu realisieren, macht die Geschichte glaubhaft und nachvollziehbar.

Was mir nicht so gefiel ... und ich glaube, da hat diese Parabel noch richtig Potenzial: die dezidierte Personifizierung würde ich zurücknehmen, ebenso wie jeden expliziten Hinweis auf die Einsamkeit.

Richtig gelungen wäre es, diese im Leser entstehen zu lassen, bildhaft heraufzubeschwören, ohne sie durch Titel, Rubrik oder sonstigem Hinweis auszusprechen.

Ob das machbar wäre? Ich denke schon.
"... zur Balkontür gehen, als sie sich in meinen Weg stellte. Ich erschrak. Sie hatte sich meine Nachlässigkeit zu Nutze gemacht und war einfach gekommen ..."
Richtiger fände ich auch das Duzen seitens der Protagonistin.

LG
Uli
(Kommentar korrigiert am 21.05.2008)

 tulpenrot meinte dazu am 22.05.08:
Guten Morgen Uli,

ich hab nun eine ganze Nacht nachgedacht über deinen Kommentar ...
Der ist völlig richtig. Es ist dann allerdings eine andere Art von Schreiberei, als ich es beabsichtigte. Bzw. als es mir im Moment gelang.
Du weißt, dass ich unterwegs war und der Moment des Hereinkommens und des Gepäckabstellens ist ja durchaus erlebbar gewesen vor zwei Tagen. Das war der natürliche Ausgangspunkt für meine weiteren Fantasiegebilde.

Ich weiß eigentlich gar nicht richtig, wie man eine Parabel schreibt. Ich dachte aber, dass es gut wäre, einmal einem Phänomen eine Gestalt zu geben, sie dadurch richtig derb plastisch zu machen und sie nicht zu verstecken. Die Einsamkeit im Leser entstehen zu lassen, fordert ja, Bilder aus Worten zu schaffen, Stimmungen zu erzeugen, verhaltener zu agieren. Ich denke, dir liegt so ein Schreibstil mehr??? Ich weiß allerdings nicht, ob ich es hinbekomme. Aber es reizt mich, es zu versuchen.

Dass der/die Protagonist(in) die Einsamkeit siezt, ist eigentlich logischer als sie zu duzen - schließlich ist es jemand Fremdes, dem man da begegnet. Die Einsamkeit jedoch möchte sozusagen auf "Schmusekurs" gehen und duzt daher plump vertraulich. Der/die Protagonist(in) jedoch wahrt den Abstand - voller Entsetzen. Ein Du ist da völlig unangebracht.

So also bin ich "auf dem Weg".... und sende dir liebe Grüße und einen erholsamen Feiertag
Angelika
(Antwort korrigiert am 22.05.2008)

 Erebus meinte dazu am 22.05.08:
Hallo Angelika,

ganz herzlichen Dank für dein ausführliches Eingehen auf meinen Kommentar. Ich äußere nur meine Ideen oder Empfindungen, wenn ich etwas kommentiere, stelle aber keine Forderungen.
Dabei bediene ich mich der Inspiration, die mir ein Text liefert und sicherlich ist das nur ein Weg -meiner- den meine Gedanken nehmen.
Mit Parabeln habe ich mich wenig befasst, niemals "vorsätzlich" ich kenne die Ringparabel von Lessing und ich schätze, der Kaukasische Kreidekreis von Brecht ginge dem Ansinnen nach ebenfalls als Parabel durch.
Offengestanden habe ich mir nicht die Mühe gemacht, an deinem Text die Gattungskonformität zu prüfen, dazu bin ich auch nicht in der Lage. Ich dachte, das wäre so OK.

Mit dem Du/Sie werden wir aber unterschiedlicher Meinung bleiben

Liebe Grüße
Uli
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