Balance

Gedanke zum Thema Wahrnehmung

von  Soshura

Neulich bin ich die Strasse entlanggegangen. Nichts Besonderes an sich. Zumindest nicht für die Strasse. Die ist es noch immer gewöhnt, dass man auf ihr herumtrampelt. Nun habe ich versucht, mich in deren Position zu versetzen. Da fiel mir ein, dass eine Strasse nicht sitzen kann. Denn die liegt ja irgendwo herum, obwohl sie nie verlegt wird. Denn sonst wäre sie ja ein Rohr, ein Kabel oder etwas Ähnliches. Wobei man auf einem Kabel nicht einfach so geht – nein, da muss man schon balancieren, sonst rutscht man herunter. Und trampeln sollte man schon gar nicht.

Habt ihr schon einmal versucht, auf einer Strasse zu balancieren? Ich meine so richtig vorsichtig einen Fuß vor den anderen zu setzen, um nicht gegen die Hauswand zu rutschen oder ganz herunter. Nun, zugegeben, in diesem Moment kam mir das ziemlich lächerlich vor … bestimmt genauso, wie es ausgesehen haben mochte. Den Blick geradeaus – ja nicht zu Boden schauen wegen der Höhenangst bezüglich der Bordsteinkante. Die Arme seitlich weit weggestreckt von meinem Körper bin ich dann einige Meter im Indianerschritt mehr unsicher stolziert und habe versucht, mir einzureden, dass die Strasse plötzlich so dünn sei, dass ich abrutschen könnte.

Abrutschen … nur nicht abrutschen, versuch das Gleichgewicht zu halten! Ich hatte nicht getrunken, vielleicht wäre es mir leichter gefallen – nein, wäre es nicht gewesen - es war nicht möglich. Je mehr ich mich darauf konzentrieren wollte, auf der schmalen Strasse die Mitte zu halten, umso weniger schien es mir zu gelingen. Da war es wieder. Schneller werdend, je näher ich ungewollt dem Schaufenster kam, schien es mich anzuziehen.

Eine alte Frau stand plötzlich kopfschüttelnd neben mir. Ihr verständnisloser Blick, der zwischen den Falten, welche wie halbgeöffnete Vorhänge die matt leuchtenden Augen einzurahmen schien, traf mich wie der Zeigefinger meines Vaters, als ich noch ein kleiner Junge mit dessen Feuerzeug den Stubentisch angebrannt hatte. Es nahm mir den kläglichen Rest des letzten Willens, dem skurilen Augenblicks noch ein wenig Ernst abverlangen zu können und ich musste nur noch lachen. Herzhaft lachen, ich stand vor der kunterbunten Auslage eines Sexshops. Die alte Frau musste also Beate Uhse sein.

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