Es war ein Apfel, den ich aß.

Gedicht zum Thema Erkenntnis

von  Erebus

.

Ich habe Tag für Tag erkannt,
worin Vertriebensein bestand,
aus einer Welt, die mich vergaß.

Ich kenne den Primatenweg
vom Kambrium zum Holozän;
vom Stärkeren, der souverän
den Schwachen frisst; vom Sakrileg,

das darin liegt, auf Lebenszeit,
versiert, vereinfacht und abstrakt
zu kodizieren: das ist Fakt.
Es bleibt nur Menschenmöglichkeit.

Der Mensch, jedoch, wie man ihn wies,
er glaubt an Hoden und an Blut
und hofft auf Führung, die ihn gut
geleitet in ein Paradies.

Auch wenn ich all das nicht versteh,
ich hoffe auf das eine Glück:
es kehre jene Welt zurück,
noch in der Stunde, wenn ich geh.

Es ist die Welt, die ich besaß,
dieselbe, die mich von sich stieß,
und die mich eins erkennen ließ:
es war ihr Apfel, den ich aß.


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Kommentare zu diesem Text


 Traumreisende (17.07.08)
das ist sehr tief , lieber Uli. eine wunderbar nachdenkliche Stimmung, auch melancholie und schwere.
was es mir allerdings etwas schwer macht sind die worte, die ich erst nachschlagen muss die reißen mich aus dem fluß des lesen raus.
vielleicht bedarf es dieser worte nicht. es sei denn, es soll ausgedrückt werden, dass der Verstand die melancholie im griff hat??

liebe grüße dir
silvi

 Erebus meinte dazu am 19.07.08:
Liebe Silvi

ich danke dir sehr für deinen verstehenden Kommentar. Die Worte, die nicht zum normalen Sprachgebrauch gehören, und das ist wohl so, weil wir uns nur wenig mit unserer Herkunft beschäftigen, waren mir sehr wichtig. Das Kambrium, die explosive Entstehung der Tierwelt, und das Holozän, in dem wir nun selber leben.
Anfang der achtziger Jahre las ich von Max Frisch: der Mensch erscheint im Holozän, ich las das meiner Großmutter vor, und heute scheint es mir, als sei dieses Buch der Anfang meines eigenen wahrgenommenen alterns gewesen.
Kodizieren, nun, darauf hätte ich verzichten können, aber das Wort besitzt Anziehungskraft, mehr als "festzuschreiben", "In Gesetzte giessen" oder ähnliches, außerdem trifft es sinngemäß genau zu.
Ich glaube nicht, dass der Verstand irgend etwas wirklich im Griff hat, auch nicht die Melancholie, und gerade darum geht es ja

Liebe Grüße an Dich

Uli

 Isaban (17.07.08)
Tolle Reime in S2, Uli. Hochachtung.
Klasse auch: Der Reim Blut/gut - auf raffinierte Weise betont dieser aufffallend simpel gestrickte Reim (im Vergleich zu den anderen) im Zusammenhang mit dem Glauben, nach welchen klaren Regeln das Leben funktioniert.

Nicht ganz so toll das "da" S4, V2.
Eventuell "glaubt noch" oder "nur", "stets" oder "stur"?

Die Elisionen S5 braucht es wohl, um die Kadenzen rein männlich zu halten - obgleich - eigentlich dürften die beiden "e" auch ruhig zur Betonung ins Auge springen. Geschmackssache. Im normalen Sprachgebrauch ist beides üblich. Ein winziger Ausbruch des LIs (ich verstehe, ich gehe) würde dem Text nicht schaden, in diesem Monolog, der durch diese Ich-Betonung vielleicht noch etwas "menschlicher" wirken würde. Nun ja. Man kann natürlich auch sagen, dass gerade dieses "passend machen" den Inhalt und die Gesetzmäßigkeiten betont, die dort angesprochen werden. Aber (lediglich meine subjektive Empfindung) grade nach dem Apfel kann sich das LI ja eigentlich winzige Ausbrüche leisten.

S6, V1... Ich hab den Vers viermal gelesen und das "sei" passt mir immer noch nicht wirklich gut.

Wie wäre es damit?

Es ist die Welt, die mich besaß,
dieselbe, die mich von sich stieß,
und die mich eins erkennen ließ:
es war ihr Apfel, den ich aß.


Inhaltlich gefällt mir dein Gedicht sehr gut.
Auch das Weglassen des 4. Verses in S1, nach dem "vergaß".

Die 2. Strophe gefällt mir immer noch am besten, eine großartige Idee, die Geschichte der Menschheit von ihrem Anbeginn bis zum Heute auf diese Weise darzustellen.

Das Gedicht gefällt mir in seiner tiefgründigen Nachdenklichkeit.

Liebe Grüße,
Sabine

 Erebus antwortete darauf am 19.07.08:
Liebe Sabine,

einen ganz herzlichen Dank für deinen Kommentar!
Die Elisionen habe ich gewählt, weil mir der Fluß der Sprache so mehr zusagte als deren Korrektheit, ja, ich hatte das Gefühl, ohne diese Elisionen seien die Verse schwerfälliger. Vielleicht brauche ich noch etwas, um meine Einschätzung zu revidieren.
Derzeit bemerkte ich bei der Durchsicht alter "Werke" häufig, dass ich heute anders schriebe, eine interessante Sache.

Offen gestanden gefiel mir der Reim in S2 selber sehr, ohne dass ich mir über dessen Finesse viele Gedanken gemacht hätte. Was man bei den anderen wohl merkt, so, wie du zu Blut/gut treffend anmerkst.
Der Konjunktiv in S6 ... meine Güte, natürlich hast du völlig Recht, der gehört gestrichen! Ich danke dir sehr für den Hinweis und deine ausgiebige Kommentierung

Liebe Grüße

Uli
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