Schönen Tag noch!

Glosse zum Thema Alltag

von  ManMan

Die Frau mit dem schönen schwarzen Gesicht vor der Toilette dankt lächelnd, als sie die zwei Münzen klappern hört, die ich auf den Teller lege.
Am Bahnhofschalter hat eine junge, sportlich wirkende Frau mit Jacke die Arme vor der Brust verschränkt. In großen Lettern ist zu lesen: NAZI. Mein Schrecken weicht, als sie die Arme löst. Jetzt lese ich: NAZIJÄGER.
Die Frau im Bankgebäude nimmt das Geld, händigt mir die Quittung aus und wünscht mir einen schönen Tag. Ihr Lächeln wirkt gequält. Das der Kassiererin im Supermarkt ebenfalls. Auch sie sagt: Schönen Tag noch!
Ich antworte lediglich: Danke! Ich gebe zu: Ich bin nicht daran interessiert, ob die Damen einen schönen Tag haben. Sie sind gewiss ebenso wenig daran interessiert, ob ich einen schönen Tag haben werde. Sagen es nur, weil der Chef es von ihnen erwartet. Schließlich bekommen sie Geld dafür…
So ist es. Beziehungen vermitteln sich fast nur noch über Geld. Handelsbeziehungen, könnte man sagen. Einzige Ausnahme an diesem Morgen ist die kleine Nazijägerin. Ob die Nazis Angst vor ihr haben? Kaum anzunehmen, bei diesen Typen handelt es sich meistens um rohe Gestalten, die sich über so eine Möchtegern-Nazijägerin allenfalls totlachen. Leider.
Gern hätte ich mich mit der schwarzhäutigen Frau vor der Toilette ein wenig unterhalten. Sie vielleicht gefragt, woher sie kommt. Wie viel sie für diesen Job erhält. Ob sie Familie hat, Kinder?
Und die Frau in der Bank hätte ich gerne gefragt, ob sie nervös ist wegen ihrer Zukunft, nach den jüngsten Ereignissen in Amerika, Stichwort Immobilienkrise.
Von der Kassiererin im Supermarkt hätte ich auch gerne etwas gewusst. Zum Beispiel, ob sie das nicht nervt, ständig einen schönen Tag zu wünschen. Oder ob ihr Rücken nicht gegen das ständige Sitzen rebelliert. Oder ob …
Ach, man könnte so vieles fragen! Aber Fakt ist: Ich habe keine einzige dieser Fragen gestellt. Nun liegt das gewiss nicht daran, dass ich mich nicht gerne mit Menschen unterhalte. Nein, mir wird nachgesagt, dass ich ein kommunikativer Mann bin.
Übermäßig schüchtern bin ich auch nicht. Warum also habe ich mit keiner dieser Frauen persönlichen Kontakt aufgenommen?
Wahrscheinlich deshalb, weil ich irgendwann beim Erwachsenwerden gelernt habe, dass eine persönliche Frage nicht dazu gehört bei diesen „Handelsbeziehungen“. Jedenfalls keine, die wirkliches Interesse verrät. So geht es den anderen auch. Sie bleiben an der Oberfläche, rennen aneinander vorbei, ohne wirklich etwas voneinander wissen zu wollen.
Sie meinen, das hat keine Auswirkungen auf die angeblich privaten Beziehungen nach Feierabend? Na, dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Tag!

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Kommentare zu diesem Text

Caty (71)
(09.09.08)
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