Dankesschuld? Nein danke!

Glosse zum Thema Dank/(Un-)dankbarkeit

von  ManMan

Früher hörte ich als Kind oft: „Sei dankbar, dass es dir so gut geht! Andere haben es schlechter als du.“ Das  leuchtete mir nicht ein. Denn dass es uns verhältnismäßig gut ging, war doch nicht nur in meinem Interesse. Entweder hatten also alle dankbar zu sein, also auch diejenigen, denen ich angeblich dankbar zu sein hatte. Wem diese aber dankbar zu sein hatten, erschloss sich mir nicht.
In der Politik hörte man: Wir müssen unseren amerikanischen Freunden dankbar sein, weil sie uns nach dem Krieg wieder auf die Beine geholfen haben. Wir müssen ihnen dankbar sei, weil sie die Berliner durch die Luftbrücke gerettet haben und wahrscheinlich müssen wir noch dankbar sein, dass sie Deutschland die Wiederaufrüstung ermöglicht und es so vor den Russen gerettet haben... Nein, also jetzt hört's auf! ruft mein rebellisches Ich, das mich schon oft in Schwierigkeiten brachte:  Das alles war durchaus im amerikanischen Eigeninteresse und viele in den USA haben am Marshallplan gut verdient und die Luftbrücke war eine Station im Feldzug des Kalten Krieges und und und..  Nein, wir müssen uns schon etwas genauer mit den Begriffen befassen. Fangen wir an mit der Dankbarkeit. Während dieses Wort durchweg positiv besetzt ist und in allen Religionen ebenso wie in philosophischen Lehren eine große Rolle spielt, verhält es sich mit dem Begriff  Dankesschuld anders. Schuld hat ja etwas Bedrängendes, Verpflichtendes, das nach Einlösung drängt, in der Religion nach Erlösung. „Vergib uns unsere Schuld“ heißt es im Vaterunser. Die Schuld kann schwer auf uns lasten, ein Umstand, den sich die Religion zunutze macht, indem sie von den Gläubigen fordert, alles zu tun, um die Schuld einzulösen, und zwar durch Gehorsam Gott gegenüber, wovon im Christentum, zumindest im Katholizismus, der Gehorsam gegenüber der Kirche abgeleitet wurde. Bis Luther konnten sich die Christen durch Kauf eines Ablasses ent-schulden, wenn sie über genügend Mittel verfügten.
Als Kind habe ich Dankbarkeit gegenüber meinen Eltern empfunden, aber als ich heranwuchs, wuchsen die Zweifel in mir, ob das Kind seinen Erzeugern Dankbarkeit schuldet, obwohl es doch nicht gefragt werden konnte, ob es seiner Zeugung zustimmte und sich darüber freuen würde. Viele Kinder auf der Welt würden wahrscheinlich ihre Zeugung ablehnen angesichts ihrer katastrophalen Lebensumstände, wenn sie es gekonnt hätten. Nein, Dankbarkeit, so fand ich heraus, macht nur Sinn, wenn ich mich über etwas, das mir zuteil wird, freue. Wird mir aber etwas zuteil, von dem ich nicht weiß, ob ich mich darüber freuen kann, sehe ich keine Notwendigkeit, dankbar zu sein, mithin eine Dankesschuld zu haben. Dankbar war ich nicht dafür, dass ich gezeugt und in diese Welt gesetzt wurde, aber unendlich dankbar bin ich meinen Eltern dafür, dass sie mich gewaltfrei aufgezogen haben, mir eine gute Bildung ermöglicht haben und mich viele Dinge des Lebens gelehrt haben, deren Wert ich mit zunehmendem Alter zu schätzen weiß, wie z.B. die Höflichkeit anderen Menschen gegenüber, die ich dann bei eben diesen anderen Menschen oft vermisse. Natürlich weiß ich inzwischen auch meinen eigenen Anteil an der Ausbildung des Charakters zu schätzen, aber meinen vielen Lehrern und Erziehern bin ich trotzdem dankbar.
Dabei hat mein Begriff von Dankbarkeit nichts zu tun mit einer hierarchischen Unterordnung unter diejenigen, denen ich dankbar bin. Gegen viele von ihnen habe ich rebelliert, und sie haben das gewiss oft als undankbares Verhalten empfunden. Eltern und Erzieher bieten ihren Kindern etwas an, was diese (noch) nicht zu schätzen wissen. Es spricht für ihre Weisheit -und für ihre Liebe-, wenn sie es trotz dieser Ablehnung immer wieder versuchen und Dankbarkeit nicht erwarten, sich aber darüber freuen, wenn die Kinder dankbar sind. Und diese Freude, dieses gute Gefühl ist heute für mich mit dem Begriff Dankbarkeit verbunden und bestimmend. Dankbar bin ich auch dafür, dass ich diese Zeilen, obwohl sie gewiss keine Literatur im Sinne jener Schreihälse sind, die immer wieder behaupten, auf dieser Plattform werde keine Literatur geboten, hier platzieren kann. Ich bin sicher, der eine oder die andere wird sich darüber freuen.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (06.09.17)
Ich glaube der Begriff der Dankbarkeit kommt bestenfalls in der Ethik vor, also nur einem Teilberreich der Philosophie.

P.S.: Fehler in:
"und viel in den USA haben am Marshallplan gut verdient "

 Jorge meinte dazu am 09.09.17:
Dieter, wenn du ManMan wegen eines fehlenden "e" aufmerksam machst, hätte ich bei deinem Kommentar bei Teilbereich auch näher hingeschaut. (doppeltes "r")
Liebe Grüsse
Jorge

 EkkehartMittelberg (06.09.17)
Dankbarkeit ist ein zentraler Begriff in der Ethik, zum Beispiel bei Aristoteles in der Nikomachischen Ethik, wo er über das Schenken und Danken schreibt.
Auch ich kann mit dem Begriff der Dankesschuld wenig anfangen und verbinde wie du danken mit dem Begriff der Freude. Über Dank kann sich nur jemand freuen, der weiß. dass er freiwillig erbracht nwird.
LG
Ekki

 ManMan antwortete darauf am 06.09.17:
Die Behauptung, dass die Dankbarkeit ein zentraler Begriff der Philosophie ist, seht im Brockhaus. Mag er auch veraltet sein: Bei zentralen Kategorien ist er immer noch zuverlässig. Aber davon abgesehen: Auch in der modernen Philosophie, z.B. in den USA, ist Dankbarkeit, also Empathie, eine wichtige Kategorie. Dort läuft die Diskussion über compassion schon lange. Lieber Ekki, danke für die Empfehlung. LG ManMan

 Soshura (06.09.17)
Dankbarkeit ... in meinen Augen ist sie weder eine Pflicht, noch benötigt sie irgendeinen Grund für ihre "Existenz". Dankbarkeit steht in keinerlei Relation zu irgendwelchen Zuständen. Es gibt also auch keine Schuld, welche Dankbarkeit einfordern kann, oder die aus ihr erwächst. Insofern ist sie verwandt mit dem Vertrauen.

 ManMan schrieb daraufhin am 07.09.17:
Stimmt, Und die Moderne, in diesem Fall Lenin, hat daraus gemacht: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Dabei wird umgekehrt ein Schuh daraus.

 Jorge (09.09.17)
Es ist wohltuend diesen Text zu lesen.
Wir, meine Frau und ich, bemerken oft, daß wir dankbar sein können, daß wir leben und wie wir leben.
Dabei haben wir aber nie einen Adressaten im Kopf.
Es ist vielmehr ein Ausdruck von Glück und Zufriedenheit.
Liebe Grüße
Jorge

 juttavon (09.09.17)
Dankbarkeit ist für mich mit Freiheit verbunden. So kann ich es nicht leiden, wenn Kindern Dankesagen antrainiert wird... - lernen kann ein Kind Dankbarkeit nur durch vorgelebte, echt empfundene Dankbarkeit.

Ich frage mich, ob Dankbarkeit unbedingt so eng mit Freude einhergeht. Kann ich nicht auch dankbar für ein Missgeschick, für eine Krankheit, für eine Trennung u.Ä. sein, weil dieses mich wachgerüttelt, mir etwas Wesentliches aufgezeigt hat ?

HG Jutta
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