Mein Zwei-Meter-Mann

Kurzgeschichte zum Thema Beziehung

von  Mutter

Ich weiß gar nicht mehr, wie wir darauf gekommen sind. Hatten vermutlich über Männer gesprochen. Wie immer.
Wieso müssen sich zwei Frauen, wenn sie alleine sind, eigentlich so oft über Kerle unterhalten? Vielleicht tun sie das auch gar nicht, und es kommt mir nur so vor.
Jedenfalls hatte mir Betty Vorhaltungen gemacht – ich müsse mich nicht wundern, dass ich immer noch – schon wieder? – alleine sei. Wer so hohe Ansprüche an die Welt und ihre Männer stelle, fordere geradezu heraus, dass unter den Bewerbern keiner geeignet sei.

Ich habe nur geschnaubt – auf alle Jobs der Welt bewerben sich auch immer welche, die überqualifiziert sind. Nur in Beziehungen nicht – hatte noch nie einen Mann, der überqualifiziert gewesen wäre. Ist aber ein netter Gedanke.
Betty hat dann meine alte Theorie wieder auf den Tisch gebracht – in ihren Worten nennt sie sie den ‚Zwei-Meter-Mann’.
‚Dein Fehler ist ja gar nicht, dass du nach jemandem suchst, der die zwei Meter schafft. Träumen können wir ja alle’, sagt sie eindringlich, und lehnt sich mit Rotwein-geschwängerter Stimme verschwörerisch über den Tisch.
Ich verziehe das Gesicht. Schon die Formulierung ‚mein Fehler’ lässt alle innerlichen Blockaden hochgehen. Das ist die größte Leistung des Teufels: Uns Frauen glauben zu machen, es sei ‚unser Fehler’, keinen passenden Kerl finden. Mit den Männern kann das natürlich überhaupt nichts zu tun haben!

‚Jedenfalls’, fährt sie fort, meine abschweifenden Gedanken ignorierend, ‚jedenfalls ist das Problem doch nur das Entweder-Oder. Wenn du einfach nur gerne hättest, dass sie besonders hoch springen, und danach ihren Stil beurteilen würdest, oder ihr Bemühen, dann würdest du dem Ganzen etwas offener gegenüber stehen.’
Ich weiß, wie es weiter geht – immerhin hatten wir genau diese Diskussion bereits eine Million Mal. Betty hat gut reden – die hat (vorerst zumindest) ausgesorgt. Ihr Mark ist ein netter Kerl, relativ unkompliziert, und sie hat sich den so zurechtgebogen, dass es einigermaßen passt.
Auf der anderen Seite ist Mark nun absolut kein Zwei-Meter-Mann – eher so was wie Einszwanzig, wenn’s hoch kommt. Betty hat ihre Marke halt relativ niedrig gehalten, damit er rüberkommt. So bekommt man aber höchstens Bronze, wenn überhaupt. Will aber keine Bronze, ich will Gold.

‚Selbst wenn du einen kennen lernen würdest, der FAST rüber kommt, aber trotzdem die Latte reißt – den würdest du doch genauso abschieben wie den, der nicht mal den ersten Meter schafft – wo bleibt denn da die Fairness? Und die Differenzierung?’
Dafür bekam sie von mir nur ein verächtliches ‚Pfffff …’. Nach Fairness hatte MICH ja wohl auch noch nie jemand gefragt. Für Fairness gibt’s bei den Bundesjugendspielen vielleicht eine Sondermedaille – aber wohl nicht Gold. Und auf keinen Fall einen Zwei-Meter-Mann.
Und für ‚Besondere Bemühungen’ – aber da müssen wir gar nicht drüber reden. Bemüht heißt ja klassisch: Nicht gekonnt. Und Nicht-Könner kommen mir nicht ins Haus. Davon hatte ich in meinem Leben weiß Gott genug!
Jedenfalls endete unser Gespräch klassisch – Betty appelliert an mich, meine Standards nicht zu hoch zu setzen, es den Männern nicht so schwer zu machen, und ich rolle meine Augen, ziehe die Brauen zusammen und schüttele den Kopf. Wenn ich nur einen wollte, der unter der Latte durchrennt, dann hätte ich mir das Leben schon viel früher einfacher machen können.

Jetzt liege ich da, den Rücken an die Wand gelehnt, und kaue auf meiner Unterlippe. Mein Blick wandert hinüber, zu ihm, und wie er so daliegt. Sein Kopf ist neben das Kissen gerutscht und sein Mund steht offen. So sieht er höchstens nach Einssechzig, vielleicht Einssiebzig aus. Ich seufze und schiebe das Kissen etwas bequemer in meinen Rücken.
Es war nett. Unkompliziert, und durchaus angenehm. Ob das beim Aufstehen und gemeinsam Frühstücken so bleibt, weiß ich nicht. Ist auch egal – darum ging’s ja nicht. Eigentlich ist er ja außer Konkurrenz gesprungen, einfach nur so. Als wenn man sich nach dem Unterricht noch ein wenig auf der Tartanbahn rumtreibt und einfach mal ausprobiert, ob man drüber kommt. Schafft man natürlich nicht – man ist ja kein professioneller Springer.

Ich betrachte die Sommersprossen auf seiner Schulter und finde sie süß. Die könnten schon fast zwei Meter sein.
Auch der Sex letzte Nacht war dicht an der Marke – vielleicht sogar drüber. Ohne gerissen zu haben. Aber zusammen die Nacht verbringen – das ist ja nur ein kleiner Teil. Wie eine einzelne Disziplin im Zehnkampf. Da gewinnt auch nicht der, der ganz toll die Kugel stößt.

Er fängt an, leise zu schnarchen und ich rolle mal wieder mit den Augen. Zwei-Meter-Männer schnarchen nicht – sie sind schon wach, wenn ich die Augen öffne, und begrüßen mich mit sanften Bissen und fordernden Blicken.
Ich verziehe das Gesicht – wahrscheinlich ist das Nach-mir-Aufwachen schon die erste Hürde, die sie alle nicht nehmen. Die sie reißen. Geben mir zu viel Zeit nachzudenken, Zweifel zu haben. Gibt so vieles, das man anzweifeln kann.

Mit einem kleinen Laut dreht er sich im Schlaf, schiebt den Kopf gegen das Kissen. Das Geräusch, was er macht, ist niedlich. Wie von einer kleinen Katze. Ich blinzle rüber und fahre ihm sanft durchs Haar. Er atmet laut, stockt kurz, atmet dann wieder.
Ich seufze erneut. Das mache ich viel in meinem Leben.
Eine andere, niedrigere Latte wird er ohne Probleme nehmen, wird möglicherweise elegant über die Einsachtzig springen und dabei noch gut aussehen. Eventuell sollte ich ihn an Betty weitergeben – dann kann sie ihn gegen ihren Einszwanzig-Mark eintauschen.
Noch ein Seufzer. Es wäre soooo schön, wenn er höher gesprungen wäre.
Ich beuge mich vor und küsse ihn sanft aufs Ohr. Vielleicht hat Betty Recht. Ein bisschen Recht?
Sanft streichle ich sein Ohr mit meiner Nase, nur mit der Spitze, und wieder macht er dieses Geräusch, als würde seine Atmung gleich aussetzen.
Entschlossen setze ich mich und nicke dramatisch. Ab heute gebe ich die Suche nach dem Zwei-Meter-Mann auf – zu hoch ist die Hürde, die ich aufgebaut habe. Auf einmal muss ich nicht mehr seufzen, sondern lächeln. Meine Hand fährt sanft über die Zwei-Meter-Sommersprossen und ich beuge mich noch einmal zu seinem Ohr herunter.
Leise flüstere ich: ‚Du schaffst das schon. Komm, versuch’s. Für mich?’
Er nickt im Schlaf, röchelt sanft.
Ich wispere weiter: ‚Komm, es sind nur Einsneunundneunzig – das ist doch eine Kleinigkeit, oder?
Wieder nickt er und grunzt ganz leise.

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Kommentare zu diesem Text


 Sylvia (21.11.08)
Dein Text ist flüssig zu lesen....die Idee und die Umsetzung finde ich gelungen...
Lieben Gruß Sylvia

 Mutter meinte dazu am 21.11.08:
Schön, dass es Dir gefallen hat - vielen Dank ... :)
(Antwort korrigiert am 21.11.2008)

 Sylvia antwortete darauf am 15.12.09:
..auch ein Jahr nach dem ersten Lesen finde ich es immer noch Klasse...lächel

lieben Gruß
Sylvia

 Mutter schrieb daraufhin am 15.12.09:
Schön ... :)
Danke sehr.

Sie hat es inzwischen übrigens mit dem etwas kleineren Mann versucht - bis jetzt läuft es noch ganz gut. :D

 Sylvia äußerte darauf am 15.12.09:
..lach dich an...na, warten wir mal die nächsten Hürden ab....Stolperfallen lauern überall...
Kitten (36)
(23.11.08)
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 Mutter ergänzte dazu am 23.11.08:
Nein, nie selbst erlebt - ich bin zwar auch so'n 'kurz-vor-zwei-Meter-Mann', aber ich hab' das im Leben immer schlauer angestellt - ich bin Stabhochspringer. Da nimmt man auch die Vier-Meter-Marke ganz locker ... =_=
Und wenn man dann den Stab gut versteckt, steht man RICHTIG gut da. ;)

Gruß aus luftiger Höhe, M.
Kitten (36) meinte dazu am 24.02.09:
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Leyla (29)
(20.04.09)
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 Mutter meinte dazu am 20.04.09:
Das ist ein großartiges Kompliment, eins der besten ... :)
Danke schön.
Leyla (29) meinte dazu am 20.04.09:
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AnnaKarenina (31)
(27.05.09)
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 Mutter meinte dazu am 27.05.09:
Hiermit sollst Du doch aufhören: "(das sieht jetzt schlimmer aus, als ich es meine, sind echt bloß nur Kleinigkeiten)" ... :D

Und hör bloß nicht auf - gibt nichts Cooleres, als so einen Kommentar zu bekommen. Dann setzt man sich wieder hin, und schleift. Schleifen iss gut ... :)

Danke schön - ich hab Deine Anmerkungen unter den Text kopiert und schaue mir das heute oder morgen mal genauer an.

Ich hoffe für uns alle, Deine Laune hält noch eine Weile an ... ;)

 Mutter meinte dazu am 27.05.09:
Eigentlich müsste ich gerade andere Dinge tun - aber so eine Gelegenheit kann man ja nicht verstreichen lassen.

Bis auf eine Sache fand' ich alles richtig und gut, und ändernswert, was Du angemerkt hast. :)
Danke schön dafür noch mal ...

So, iss ausgebessert.
AnnaKarenina (31) meinte dazu am 28.05.09:
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 Mutter meinte dazu am 29.05.09:
Oh, das mache ich schon - sehr gut, sogar.
Aber wie gesagt - Deine Quote iss schon ganz bemerkenswert ... :)
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