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Als Kind war ich verrückt nach Science Fiction, jedoch nur als Hörspiel. Wenn meine Eltern einen Film sahen, saß ich in unserem Haus auf der Treppe und lauschte auf dem weichen Plüsch dem Geschehen. Ich stellte mir die größten Roboter, schnellsten Raumschiffe und lautesten Strahlenkanonen vor; wie sie umherflogen durch das All und dabei viele verschiedene Außerirdische trafen.
Den Film selbst wollte ich nie sehen. Als ich etwas größer war, schaute ich einmal einen. Ich hatte Angst und fühlte mich wie eingeschnürt, weil ich mir nichts mehr vorstellen konnte. Von da an gab es wieder nur die Treppe mit meinem Stoffhund für mich.
Es fing alles bei meinem Großvater an. Als ich etwa 3 Jahre alt war, machte er sein großes Röhrenradio an und wollte mir zeigen, was man damit alles hören kann. Er war immer ein großer Freund des Hörfunks und arbeitete auch Ende der 40er in einer Rundfunkstation in Villate. Ich saß in seinem großen Sessel, in dem sonst nur er sitzen durfte, während er vor dem Radio stand und versuchte Sender reinzukriegen; das „magische Auge“ seines Radios zog mich jedes Mal von Neuem in seinen Bann. Wir kamen über Swingmusik und englischen Nachrichten zur Wells-Welles´schen Version vom Krieg der Welten. Mein Opa wollte weiterdrehen, doch mich faszinierte es jemandem, der mir etwas erzählte, zuzuhören, ohne ihn dabei zu sehen. So hörten wir gemeinsam verschiedenste Geschichten.
Auch meine Umgebung verwandelte sich, sie wurde zu meinem Herrschaftsreich. Meine Raketenabwehrbasis hatte ich in La Martinière; die Rue de la Chesnaie dorthin wurde vom Militär überwacht. In Breil-Benoît stand meine Kaserne. Unterhalb von Couëtreux war mein geheimes Forschungslabor, in das man nur durch eine versteckte Geheimtür kam. Und in Montjuan war meine Raumschiffbasis – wir mussten extra die Rue Saint-Joseph verbreitern.
So vertrieb ich mir die Zeit damit mir Geschichten auszudenken, wie ich Feinde abwehrte und selbst auch manch weit entfernten Planeten angriff. Wenn mein großer Bruder am Wochenende nach Hause kam, brachte er mir oft Heftchen mit, die er unterwegs in Bahnhöfen kaufte; so kam ich auch mit russischer Literatur in Kontakt. Ein Heft von Arkadi Strugatzki habe ich immer noch, aber Wladimir Obrutschew war mein Favorit. Und wenn mir mein Bruder nichts vorlas, gingen wir in den Garten und spielten erdachte Szenarien nach. So vergingen die Jahre und mit jedem kamen dutzende Filme, Hörspiele und Bücher hinzu; nicht ausschließlich Science Fiction, aber hauptsächlich.
Ich kam in Kontakt mit Jean de Romoe, von den meisten anderen meist nur „der Fußballer“ genannt, und über ihn kam ich stärker in Kontakt mit französischer Literatur vor 1900. Er war durchaus berühmt in meinem Städtchen. Bei jedem, wirkliche jedem, Fußballspiel wurde er gesehen, Heim-, wie auch Auswärtsspiele. Wind und Wetter, Hitze oder Hagel aber auch Sieg und Niederlage vermochten nichts daran zu ändern. Ich freundete mich über die Zeit allmählich mit ihm an – sein Haus stand schräg gegenüber unserem und ich musste ihm einst ein Päckchen seiner Schwester bringen, die in Pontchâteau wohnte. Von da an ging ich alle paar Tage zu ihm rüber, denn er hatte eine erstaunliche Sammlung an Büchern, Schall- und Schellackplatten, Filmen und unnützem Zeugs. Für mich war das alles viel besser als der größte Berg Spielsachen, den man sich vorstellen kann.
Mit Einigem wusste ich nichts anzufangen, denn er sammelte in erster Linie Altes, Verschollenes, Sachen, für die man heute keine Verwendung mehr hat, die überholt sind. Und so überlegte und phantasierte ich, was man mit den teils grotesk aussehenden Gegenständen anfangen sollte, was einst deren Zweck war. Ich frug ihn auch über sein Leben aus, über ihn selbst, doch er redete wenig darüber. Er sagt immer, daß es da nicht viel zu erzählen gibt. Er hatte keine Kinder, keine Frau und bis auf seine Schwester keinen Kontakt zum Rest seiner Familie; und auch Freunde und Bekannte gab es nicht wirklich. Lediglich beim Fußball wurde er regelmäßig gesehen, hin und wieder kam er auch zum Training. Wenn dann die Winterpause anfing, wurden immer Witze gemacht, was er in dieser Zeit immer mache.
Ich war schon größer - ich weiß nicht mehr, wie alt genau, aber meine Volljährigkeit lag schon mehrere Jahre hinter mir – als ich bei ihm war, im Hintergrund lief „Forbidden planet“ oder „The day the earth stood still“, da kamen wir, oder vielmehr ich, darauf zu sprechen, warum er sich nie eine Frau nahm, sondern solch einen großen Teil seiner Zeit mit Fußball verbrachte.
Diesmal ließ ich nicht locker und versuchte das Gespräch geschickt und subtil so zu lenken, daß er etwas redseliger wurde, was aber bei ihm nie gelang; er durchschaute Tricks solcher Art schnell. Aber dennoch, wohl mehr um es hinter sich zu haben, als wirklich eine Antwort geben zu wollen, an diesem Tage brachte ich in schließlich dazu.
Er sagte, er liebte einst als junger Mann, da er in La Rouaudière lebte, ein Mädchen, das nebenan wohnte. Er freundete sich mit ihr an, und verliebte sich noch mehr. Doch sie sah in ihm nie mehr als eben diesen „Jungen von nebenan“. So richtig erholte er sich nie davon. Wenn er nur eine Frau sah, die ihm gefiel, so maß er sie, früher oder später, an dieser einen, obwohl ihn das selbst mehr als störte. Er hatte noch zwei, drei Male versucht in engeren Kontakt mit einer Frau zu treten, doch hinderten ihn seine Komplexe auf Dauer viel zu sehr, denn er fand, daß er für die Art Frau, die ihm gefiel, nicht gut genug sei, er aber keine andere, wenn überhaupt, haben wolle. Und da er nun nicht mehr jung sei, habe sich das alles zu tief in seine Psyche gebrannt, und ihn seelisch zum Krüppel gemacht, sodaß keine anständige Frau auf Dauer etwas zu tun haben wolle mit ihm; zumal er auch fand, daß er eher seltsam aussah. Er sagte auch, daß er keine mehr in seinem Alter haben wolle, sie fände er alle zu alt, vom Aussehen und Geiste.
Und so machte er sich quasi selbst und über Nacht zum eingefleischten Fußballanhänger. Denn, wenn jeder, wenn er über ihn sprach, immer nur den Fußball erwähnte, dann würde nie jemand mit ihm über solche Sachen reden wollen.
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